Ein ungleiches, dabei nicht unsympathisches Paar: der schlumpfig grinsende Bundeskanzler und der chinesische Staatschef, der lächeln kann wie Buddha. Etwas wie Bauernschläue strahlen beide aus, auch die Überzeugung von sich selbst. Der Chinese genießt seine Rolle ganz offensichtlich; er gibt der Welt Rätsel auf.

Seit ihrem 45-minütigen Tête-à-Tête im Park des Pekinger Staatsgästehauses Diaoyutai wissen nur die beiden und ihre Dolmetscher, was Sache ist. Ein einziger Satz drang nach außen: „Alle Länder müssen Platz haben am Tisch. Keines darf auf der Speisekarte stehen.“ Fragt sich nur, wer auftischt. Und weil der Satz von Xi Jinping stammt, liegt die Antwort auf der Hand. Deng Xiaopings Motto „Verstecke deine Stärken und warte auf den richtigen Moment“ hat ausgedient. Der richtige Moment ist da.

Im geopolitischen Spiel hat China ein Level erreicht, wo es beim Placement mitbestimmt, der Sitzordnung, um beim Bild des globalen Diners zu bleiben. Allerdings nicht in dem Sinn, dass in Zukunft nur Xi Jinping die Tischkarten verteilt, keineswegs. Die Welt der Diplomatie, auch die der internationalen politischen Willensbildung, wird asiatischer.

Die Zeitenwende, die sich vor unseren Augen abspielt, ändert auch den Stil globaler Problemlösung. Ohne China geht es nicht mehr, aber die politische Mentalität der Chinesen hat mit der europäischen Tradition (und der ihrer Neuwelt-Erben) nicht viel zu tun. Das macht es für westliche Menschen mitunter so schwierig, China zu „lesen“.

gestern

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Der Westen ist vergleichsweise schlicht. Er schreibt sich auf die breite Brust, was er will und erwartet – voran die Anerkennung seiner Werte und Ordnungen. China hingegen gibt international weder Werte noch Ordnungen vor. China muss auch nicht das große Sagen haben. Es will respektiert werden, ernst genommen und geachtet. China definiert vor allem, was es nicht will. Für die chinesische Führung sind Macht und Einfluss gleichbedeutend mit der Fähigkeit, eben das zu verhindern.

In ihrem kürzlich erschienenen Buch „The Political Thought of Xi Jinping“ zeichnen die britischen Wissenschaftler Steve Tsang und Olivia Cheung ein Psychogramm des mächtigsten Chinesen. Dessen Vision für das 21. Jahrhundert zielt auf eine weithin sinozentrische, auf China ausgerichtete Welt. Indes sieht er das Reich der Mitte nicht als imperialen Hegemon alten Stils, sondern als Macht, an der es kein Vorbeikommen gibt. Allseits anerkannt und allseits hofiert. Ein 3000 Jahre altes Selbstverständnis, transponiert in die Gegenwart und Zukunft unserer Zeit.

Die Lösung der konkreten geopolitischen Konflikte ist ein Probelauf, ein gutes Jahrzehnt nach Xis Amtsantritt. Dabei hilft ihm die kolossale Fehlentscheidung der Russen, politisch und militärisch, im Februar 2022. Die missratene Invasion in der Ukraine hat China im geopolitischen Spiel um mehrere Level nach oben gespült.

Im Westen isoliert und von Sanktionen gekniffen, hängt Russland wirtschaftlich und militärisch vom Wohlwollen seiner internationalen Brics-plus-Partner ab, namentlich China, Indien und Iran, dazu noch Schurkenstaaten wie Nordkorea. China schlägt daraus auch politisch Kapital. Mit Russland an seiner Seite reicht der chinesische Arm tief ins geografische Europa hinein; statt „Europa von Lissabon bis Wladiwostok“ wird es künftig heißen „Asien von Hongkong bis Sankt Petersburg“.

Die Augenhöhe zwischen Peking und Moskau ist nur noch fürs Protokoll. Und damit die Russen sich nicht selbstzufrieden auf die chinesische Partnerschaft verlassen, sendet Peking widersprüchliche Signale. Strategische Ambiguität à la chinoise. So schrieb der in Peking lehrende Russland-Experte Feng Yujuin in einem Text für das britische Magazin Economist dieser Tage, die russische Niederlage sei gewiss, einschließlich des Rückzugs aus der Ostukraine und von der Krim.

Wo der Westen Parteinahme und Bekenntnis fordert, wahrt China die überlegene Distanz. Ernst Jüngers Begriff der Désinvolture wäre nicht fehl am Platz. Peking beachtet auch die angedrohten Sekundärsanktionen; man hält sich dort alle Optionen offen.

Russlands größte Erniedrigung steht ohnehin noch aus. Das Ende des Ukrainekriegs, wann immer und egal in welcher Form – Einfrieren, Waffenstillstand oder Frieden –, wird nämlich in Washington und Peking bestimmt. Mit anderen Worten: Der russische Krieg in der Ukraine entwickelt Züge eines chinesisch-amerikanischen Stellvertreterkriegs. Das war absehbar. China und die USA sind beide an einem schwachen Russland interessiert – allerdings nicht an einem allzu schwachen. Russland soll den Chinesen nicht wie eine reife Frucht in den Schoß fallen (so sehen es die Amerikaner), und Russland soll die USA auch künftig in Europa binden (so sehen es die Chinesen).

Wann Washington und Peking ein Kriegsende favorisieren, ist offen – es kann in wenigen Monaten so weit sein oder erst im kommenden Jahr. Abhängig von der Weltlage ist auch eine Eskalation möglich, auch ein Übergreifen auf den pazifischen Raum.

Im Iran wird das russische Schicksal mit größter Aufmerksamkeit verfolgt. Putins Fehler – in ihrem Fall wäre es ein missratener Krieg gegen Israel – werden die Mullahs nicht wiederholen. Sie spüren, wie Peking seine Fühler ausstreckt; der Iran passt perfekt ins chinesische Portfolio. Ein Erzfeind des Westens, ein Baustein der eurasischen Konnektivität (Neue Seitenstraße) und eine Verbindung in die muslimische Welt. Mit dem Iran im Süden und Russland im Norden wäre China an die großen eurasischen Kulturräume gewissermaßen angeflanscht.

Das erklärt auch die zurückhaltende iranische Reaktion auf den israelischen Botschaftsangriff in Damaskus. Brauch und Sitte der Region verlangten einen Vergeltungsschlag. Dennoch: In ihrer konkreten Umsetzung war die iranische Attacke weniger Rache als Symbol. Definitiv kann der Iran keinen Krieg gebrauchen – nur die Chinesen hätten ein Interesse daran.

Der Blick nach Teheran verdeutlicht die Widerstände, denen die chinesische Strategie begegnet. Die Pax Sinica, der chinesische Friede, fällt nicht vom Himmel. Da sind die uralten Rivalen Indien und Vietnam, da sind die gleichfalls uralten Reibereien der Han-Chinesen mit den Muslimen Zentralasiens. Auch die russische Kultur ist nicht eben china-affin. In allen Fällen ist die einende Klammer die Ablehnung des als übergriffig empfundenen Westens, sei es aus postkolonialer Auflehnung, sei es aus Groll über die vermeintliche Heuchelei und Verlogenheit westlicher Politik.

Der Westen könnte die eurasischen Rivalitäten zu seinen Gunsten nutzen, doch da steht die Ideologie im Weg. Gemeinsame Sache mit einem islamischen Gottesstaat geht gar nicht. Schon bei der Umsetzung eigener mit China konkurrierender Konnektivitätsprojekte wie dem „Wirtschaftskorridor India-Middle East-Europe“gibt es Probleme; schließlich sitzen da die ungeliebten Saudis mit im Boot.

Das Dilemma der Europäer ist, dass sie nur ihresgleichen als ebenbürtig erachten – heutzutage in Gestalt liberaler, die Menschenrechte achtender Demokratien. Anders als in der Vergangenheit fehlt allerdings die Macht, den Rest der Welt zur Folgsamkeit zu zwingen. Indem Europa die Unvereinbarkeit von Demokratie und Autokratie zum Antagonismus des Jahrhunderts erhebt, sinkt die Zahl potenzieller Bündnispartner in realen Konflikten. Das europäische Schicksal: in Schönheit sterben.

QOSHE - Der Ukraine-Krieg wird zum chinesisch-amerikanischen Stellvertreterkrieg - Thomas Fasbender
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Der Ukraine-Krieg wird zum chinesisch-amerikanischen Stellvertreterkrieg

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22.04.2024

Ein ungleiches, dabei nicht unsympathisches Paar: der schlumpfig grinsende Bundeskanzler und der chinesische Staatschef, der lächeln kann wie Buddha. Etwas wie Bauernschläue strahlen beide aus, auch die Überzeugung von sich selbst. Der Chinese genießt seine Rolle ganz offensichtlich; er gibt der Welt Rätsel auf.

Seit ihrem 45-minütigen Tête-à-Tête im Park des Pekinger Staatsgästehauses Diaoyutai wissen nur die beiden und ihre Dolmetscher, was Sache ist. Ein einziger Satz drang nach außen: „Alle Länder müssen Platz haben am Tisch. Keines darf auf der Speisekarte stehen.“ Fragt sich nur, wer auftischt. Und weil der Satz von Xi Jinping stammt, liegt die Antwort auf der Hand. Deng Xiaopings Motto „Verstecke deine Stärken und warte auf den richtigen Moment“ hat ausgedient. Der richtige Moment ist da.

Im geopolitischen Spiel hat China ein Level erreicht, wo es beim Placement mitbestimmt, der Sitzordnung, um beim Bild des globalen Diners zu bleiben. Allerdings nicht in dem Sinn, dass in Zukunft nur Xi Jinping die Tischkarten verteilt, keineswegs. Die Welt der Diplomatie, auch die der internationalen politischen Willensbildung, wird asiatischer.

Die Zeitenwende, die sich vor unseren Augen abspielt, ändert auch den Stil globaler Problemlösung. Ohne China geht es nicht mehr, aber die politische Mentalität der Chinesen hat mit der europäischen Tradition (und der ihrer Neuwelt-Erben) nicht viel zu tun. Das macht es für westliche Menschen mitunter so schwierig, China zu „lesen“.

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Der Westen ist vergleichsweise schlicht. Er schreibt sich auf die breite Brust, was er will und erwartet – voran die Anerkennung seiner Werte und Ordnungen. China hingegen gibt international weder Werte noch Ordnungen vor. China muss auch nicht das große Sagen haben. Es will respektiert werden,........

© Berliner Zeitung


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