Friedensfreunde hatten in Deutschland noch nie einen leichten Stand. „Hunde, wollt ihr ewig leben?“, fauchte der alte Preußenkönig seinen Kerls entgegen, wenn sie nicht freudig genug ins Feuer eilten. Nach dem Sieg über Frankreich 1871, dem Fundament der Reichsgründung, übernahm die junge SPD die Friedensführerschaft. „Diesem System keinen Mann und keinen Groschen“, rief ihr legendärer Führer August Bebel dem imperialistischen Establishment entgegen. Das revanchierte sich mit dem Etikett „vaterlandslose Gesellen“ – es haftete bis in die frühe Bundesrepublik hinein.

Noch am 25. Juli 1914, wenige Tage vor dem deutschen Kriegseintritt, mobilisierten die Sozialdemokraten eine halbe Million Menschen für eine Friedensdemonstration. Dann, zehn Tage später, stimmte die SPD-Reichstagsfraktion den Kriegskrediten zu. Der spätere KPD-Gründer Hugo Eberlein über die Reaktion der (damals noch) Sozialdemokratin Rosa Luxemburg: „Sie lag auf dem Diwan und weinte. ‚Ich werde mir eine Kugel durch den Kopf schießen, das wird der beste Protest gegen den Verrat der Partei sein.‘“

Was hatte den Ausschlag gegeben? Russenangst und Russenhass. Schon 1907 hatte der damals 67-jährige Bebel kundgetan: „Wenn es gegen den russischen Zarismus als Feind aller Kultur und aller Unterdrückten geht, werde selbst ich als alter Knabe noch die Flinte auf den Buckel nehmen.“

110 Jahre und zwei Weltkriege später steht ein sozialdemokratischer Kanzler weithin allein in Europa. Von grün bis konservativ, die Medien sind ebenso auf Kriegs- und Siegeskurs geschwenkt wie die Politik: Die Ukraine muss gewinnen. Bislang ging es „nur“ um Waffenlieferungen. Bis rund 25 europäische Staats- und Regierungschefs am Montag im Pariser Élysée-Palast zusammentrafen, darunter Olaf Scholz, der Pole Andrzej Duda, Pedro Sánchez aus Spanien und die Führer des Baltikums.

Gastgeber Emmanuel Macron betonte im Anschluss, der Krieg bestimme unsere Zukunft. Europa sei in Gefahr. „Wir sind entschlossen zu tun, was nötig ist und solange es nötig ist.“ Wie beiläufig fügte er hinzu, es gebe „keinen Konsens über die Entsendung von Bodentruppen“ in die Ukraine – aber „alles ist möglich, wenn es uns hilft, unser Ziel zu erreichen“.

Et voilà, der Geist ist aus der Flasche. Das Fass ist auf. Da hilft es nichts, wenn der Bundeskanzler tags darauf versichert, auch für die Zukunft gelte, „dass es keine Bodentruppen, keine Soldaten auf ukrainischem Boden gibt, die von europäischen Staaten oder Nato-Staaten dorthin geschickt werden“. Wer fragt schon Berlin, wenn Washington, Paris und Warschau sich einig sind?

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•vor 15 Min.

25.02.2024

Zumal Macron im Anschluss konkret wird. Die europäischen Staatenlenker hätten sich auf neue Initiativen geeinigt, darunter Minenräumaktionen und der Einsatz „nichtmilitärischer Kräfte“ an der ukrainisch-weißrussischen Grenze. Der französische Präsident: „Um diese Punkte vollständig umzusetzen, können wir nicht ausschließen, dass sie gesichert werden müssen“ – was dann „einige Elemente“ eines militärischen Einsatzes rechtfertige.

Schritt für Schritt dem Abgrund zu – wie anders lässt sich die westeuropäische Politik derzeit charakterisieren? Macrons Vorstoß kommt nicht von ungefähr. Krieg liegt in der Luft; wofür haben erfolgreiche Politiker ihren Riecher? Der zaudernde Scholz ist nicht mehr zeitgemäß. Jeder Talkshow-Moderator, wenn er nur einigermaßen auf Zack ist, macht sich über ihn lustig.

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Der französische Präsident hingegen – mag sein, dass er nur ein Westentaschen-Napoleon ist. Aber ein Bonaparte ist er, einer, der im Handstreich nimmt und einsackt. Mit dem mentalen Rückzug der Amerikaner sieht er seine Stunde nahen. Europa giert nach Führung – jedoch bestimmt nicht durch die biedere deutsche Sozialdemokratie, müde, matt und altbacken im Vergleich mit den grün-gefährlichen Taurus-Marschflugkörpern unter den Flügeln ihrer schmucken F/A-18 Super Hornets.

Wird also der Kriegsgott den neuen Ost-West-Konflikt entscheiden? Das hängt nicht nur von Wladimir Putin ab. Man muss den Krieg nicht wollen – es reicht, ihn wissentlich-willentlich in Kauf zu nehmen, es darauf ankommen zu lassen. Ihn vielleicht sogar herbeizureden. Kein Historiker wird je vom derzeitigen Westen behaupten, er habe alles getan, den Krieg zu vermeiden.

Ob die Sozialdemokratie sich dem entgegenstellt? Noch verdient Olaf Scholz unseren Respekt, noch steht er gegen Taurus-Lieferungen, gegen „Boots on the ground“ – Stiefel an der Front. Aber er steht auch mit dem Rücken zur Wand; der Druck, den der Kanzler auszuhalten hat, ist enorm. Dabei hat er sowohl das Recht als auch die Moral auf seiner Seite. Die Ukraine ist „out of area“, kein Nato-Gebiet. Und solange Putin kein Nato-Mitglied überfällt, gibt es weder Grund noch Anlass, einen Krieg mit deutschen Opfern zu riskieren. Selbst dann nicht, wenn die Kriegspartei noch so laut „Der Russe kommt!“ ruft.

QOSHE - Der Geist ist aus der Flasche: Macron spricht von Truppen für die Ukraine - Thomas Fasbender
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Der Geist ist aus der Flasche: Macron spricht von Truppen für die Ukraine

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27.02.2024

Friedensfreunde hatten in Deutschland noch nie einen leichten Stand. „Hunde, wollt ihr ewig leben?“, fauchte der alte Preußenkönig seinen Kerls entgegen, wenn sie nicht freudig genug ins Feuer eilten. Nach dem Sieg über Frankreich 1871, dem Fundament der Reichsgründung, übernahm die junge SPD die Friedensführerschaft. „Diesem System keinen Mann und keinen Groschen“, rief ihr legendärer Führer August Bebel dem imperialistischen Establishment entgegen. Das revanchierte sich mit dem Etikett „vaterlandslose Gesellen“ – es haftete bis in die frühe Bundesrepublik hinein.

Noch am 25. Juli 1914, wenige Tage vor dem deutschen Kriegseintritt, mobilisierten die Sozialdemokraten eine halbe Million Menschen für eine Friedensdemonstration. Dann, zehn Tage später, stimmte die SPD-Reichstagsfraktion den Kriegskrediten zu. Der spätere KPD-Gründer Hugo Eberlein über die Reaktion der (damals noch) Sozialdemokratin Rosa Luxemburg: „Sie lag auf dem Diwan und weinte. ‚Ich werde mir eine Kugel durch den Kopf schießen, das wird der beste Protest gegen den Verrat der Partei sein.‘“

Was hatte den Ausschlag gegeben? Russenangst und Russenhass. Schon 1907 hatte der damals 67-jährige Bebel kundgetan: „Wenn es gegen den russischen Zarismus als Feind aller Kultur und aller Unterdrückten geht, werde........

© Berliner Zeitung


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