Es war ein Debakel mit Ansage: Die ehrwürdige Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), laut ihrem Selbstverständnis Produzentin „nachfrageorientierter Politikberatung“, lud vergangene Woche zu der Veranstaltung „Der Schutz des bedrohten Kulturgutes von Bergkarabach“. Angekündigt war eine Buchvorstellung: „Das kulturelle Erbe von Arzach“.

Am Tag davor erhielten die Teilnehmer eine Mail: „Aufgrund einer massiven Kampagne gegen die Durchführung“ und um die „Sicherheit der Gäste und Teilnehmenden“ zu gewährleisten, habe die DGAP entschieden, die Diskussion „rein virtuell“ durchzuführen. Angeblich hat die Polizei dazu geraten.

Was war geschehen? Auf Nachfrage berichtet die DGAP von „E-Mails, Nachrichten in sozialen Medien, einem Schreiben sowie Anrufe vom aserbaidschanischen Botschafter und einem offenen Brief“. Diese „Kommunikationen enthielten Beschuldigungen von Propaganda, Islamophobie, Rassismus“. So habe man behauptet, die Nutzung von Begriffen wie „bedrohtes Kulturgut, Arzach, Bergkarabach oder Republik Bergkarabach“ sei „armenische Propaganda“ – was die DGAP wiederum „entschieden zurückweist“. Auch Behauptungen, wonach die Veranstaltung politisch intendiert sei und „den Friedensprozess behindern“ wolle, seien „haltlos“.

Ein „großer Teil“ der „aggressiven Nachrichten“ stamme von „Personen, die entweder aserbaidschanische Gongos (Government-operated non-governmental organization) vertreten oder sich als Bürger bezeichnen“. Die Aktion sei „offensichtlich von der Botschaft orchestriert“.

Der Sturm der Entrüstung begann also nicht nach der Veranstaltung, sondern bereits mit der Einladung. Das war vorhersehbar; wer mit den Fallstricken der armenisch-aserbaidschanischen „Erbfeindschaft“ vertraut ist, wird bei dem Wort „Arzach“ stutzen – ein armenisches Königreich, das im 13. Jahrhundert der Mongolenherrschaft und den einwandernden Turkvölkern aus den Steppen Asiens weichen musste. Seitdem war der in seinem Zentrum (bis 2023) armenisch besiedelte Höhenzug Karabach, zu deutsch schwarzer Garten, nur ein Fragment einstiger Größe, eine armenisch-christliche Enklave in mehrheitlich muslimischen Landen.

13.03.2024

14.03.2024

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14.03.2024

Eine Renaissance erfuhr Arzach nach 1990 als Kampfbegriff der Karabach-Armenier im Konflikt mit dem aserbaidschanischen Staat, ab 2017 dann im Namen der selbsternannten, von keinem Staat der Welt – nicht einmal von Armenien – völkerrechtlich anerkannten „Republik Arzach“ auf aserbaidschanischem Territorium. Es ist angezeigt, daran zu erinnern: Völkerrechtlich gehörte und gehört Bergkarabach so sehr zu Aserbaidschan wie der Donbass zur Ukraine.

Nun geht es bei der Diskussion zwischen Armeniern und Aserbaidschanern nicht sachlich um Geschichte und internationales Recht. Das Verhältnis erinnert eher an katholische und protestantische Iren nach dem dritten Guinness. Als Außenstehender tut man gut daran, Neutralität zu wahren. Das allein ist konstruktiv; nicht umsonst ist es dem Bundeskanzler gelungen, den aserbaidschanischen Präsidenten und den armenischen Premierminister im Februar in München zum gemeinsamen Gespräch zu bewegen – gefolgt von einem Treffen der Außenminister in der Villa Borsig in Berlin.

Vor dem Hintergrund ist die Frage legitim: Was reitet die DGAP, zu solch einer Veranstaltung einzuladen? Ausgerechnet in dem Moment, da Deutschland als Verhandlungsplattform für den Südkaukasus einen diplomatischen Coup landet.

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Wie sich herausstellte, war das Arzach im Veranstaltungstitel kein lässlicher Irrtum – mitnichten, es war Programm. Das vorzustellende Buch „Das kulturelle Erbe von Arzach“ vereint die Ergebnisse einer Konferenz in Armenien im Juli 2022, organisiert unter anderem vom Konfessionskundlichen Institut der Evangelischen Kirche Deutschlands und der Amerikanischen Universität in Jerewan. Deren Vertreter, die Orthodoxiereferentin Dagmar Heller und der Jerewaner Professor Harutyun Harutyunyan, waren bei der virtuellen DGAP-Veranstaltung die zentralen Köpfe, als Moderatoren wirkten der letzte DDR-Außenminister Markus Meckel und der DGAP-Osteuropachef Stefan Meister.

Den Online-Chat und öffentlich sichtbare Fragen oder Kommentare hatte man vorsorglich ausgeschaltet. Mit gutem Grund. Sowohl Heller als auch Harutyunyan referierten das armenische Narrativ – um nicht das P-Wort zu benutzen –, und zwar lupenrein und mit der Emphase tiefer Glaubensüberzeugung. Es lohnt nicht, ins Detail zu gehen. Das Fatale an dem Konflikt ist nämlich, dass beide Seiten, Armenier und Aserbaidschaner, das gleiche Narrativ vortragen. Nur hat der Gegner einen anderen Namen; die Massaker geschahen zu anderen Zeiten und an anderen Orten; die geschändeten Kulturgüter heißen auf der einen Seite Moscheen und auf der anderen Kirchen und Klöster.

Und beide Seiten haben recht. Es ist auch jede Seite überzeugt, das weitaus größere Leid zu tragen. Das kann tausend Jahre so weitergehen – bis einmal eine Generation ermüdet und Frieden schließt.

Der Zeitpunkt ist im Grunde geeignet. Nach drei Kriegen und Bergen von Unrecht zwischen 1992 und 2023 sind immerhin die völkerrechtlichen Grenzen wiederhergestellt. Deutschland kann eine aktive, konstruktive Rolle spielen, ist beidseits als Vermittler akzeptiert.

Warum dann eine solche Veranstaltung? Im Gespräch mit dem DGAP-Experten Stefan Meister ist zu spüren, dass er selbst nicht glücklich ist. Aber – der Druck seitens der Aserbaidschaner sei inakzeptabel gewesen und Deutschland nicht das Land, wo solche Methoden ziehen. Eine Botschaft könne nicht einfach fordern, eine Veranstaltung abzusagen.

Der Brief des aserbaidschanischen Botschafters an Meister liegt der Berliner Zeitung vor. Vielleicht gab es noch weitere Kontakte, doch in dem Schreiben steht „schlage ich Folgendes vor: Die genannte einseitige und proarmenische Propagandaveranstaltung abzusagen.“ Eine Forderung ist das nicht. Im Weiteren referiert auch der Botschafter sein Narrativ. Nur müsste man ihn und den Professor aus Jerewan nebeneinander setzen – auch wenn man damit einen wenig zielführenden Schlagabtausch riskiert.

Sinnvoller als das Repetieren altbekannter Narrative ist die konkrete Vermittlerarbeit. Deutschland hat einen Fuß in der Tür, man kann sagen: die Nase vorn. Die EU gilt den Aserbaidschanern wegen des französisch-armenischen Näheverhältnisses als voreingenommen, Russland hat in Armenien an Ansehen eingebüßt, die USA haben andere Sorgen, und China ist noch nicht so weit.

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16.10.2023

Der Berliner Zeitung gegenüber äußerte sich der für Außenpolitik zuständige aserbaidschanische Präsidentenberater Hikmet Hadschijew vor wenigen Tagen verhalten optimistisch. Die bisherigen Verhandlungen hätten Vertrauen geschaffen, doch der Weg bleibe steinig. Ein Zankapfel ist die armenische Verfassung. Deren Präambel beruft sich auf die Unabhängigkeitserklärung von 1990; dort ist die Rede vom gemeinsamen Schicksal Armeniens und Bergkarabachs. Aserbaidschan liest das als Territorialanspruch. Ein Friedensvertrag ohne Anpassung der armenischen Verfassung scheint kaum vorstellbar.

Ein weiterer Stein des Anstoßes ist der sogenannte Sangesur-Korridor, eine von Aserbaidschan geforderte (und von Armenien 2020 zugesagte) Straßen- und Bahnverbindung zwischen Aserbaidschan und seiner Exklave Nachitschewan. Der Knackpunkt: Insoweit es sich um Transporte zwischen Hauptland und Exklave handelt, beharrt die Regierung in Baku auf zoll- und dokumentenfreier Abwicklung.

Beide Punkte sind im Grundsatz lösbar; talentierte Diplomatie hat in der Vergangenheit ganz andere Nüsse geknackt. Hinzu kommt, dass Deutschland (nicht die EU) die Reputation und die Ressourcen besitzt, um wirksam zwischen den Parteien zu vermitteln. Wenn die politikberatenden Institutionen, beispielsweise die DGAP, ihr Scherflein Detailwissen und Fingerspitzengefühl beitragen, könnte im Südkaukasus eine Win-win-Situation näherrücken.

QOSHE - Debakel mit Ansage: Denkfabrik DGAP blamiert sich mit proarmenischer Veranstaltung - Thomas Fasbender
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Debakel mit Ansage: Denkfabrik DGAP blamiert sich mit proarmenischer Veranstaltung

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16.03.2024

Es war ein Debakel mit Ansage: Die ehrwürdige Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), laut ihrem Selbstverständnis Produzentin „nachfrageorientierter Politikberatung“, lud vergangene Woche zu der Veranstaltung „Der Schutz des bedrohten Kulturgutes von Bergkarabach“. Angekündigt war eine Buchvorstellung: „Das kulturelle Erbe von Arzach“.

Am Tag davor erhielten die Teilnehmer eine Mail: „Aufgrund einer massiven Kampagne gegen die Durchführung“ und um die „Sicherheit der Gäste und Teilnehmenden“ zu gewährleisten, habe die DGAP entschieden, die Diskussion „rein virtuell“ durchzuführen. Angeblich hat die Polizei dazu geraten.

Was war geschehen? Auf Nachfrage berichtet die DGAP von „E-Mails, Nachrichten in sozialen Medien, einem Schreiben sowie Anrufe vom aserbaidschanischen Botschafter und einem offenen Brief“. Diese „Kommunikationen enthielten Beschuldigungen von Propaganda, Islamophobie, Rassismus“. So habe man behauptet, die Nutzung von Begriffen wie „bedrohtes Kulturgut, Arzach, Bergkarabach oder Republik Bergkarabach“ sei „armenische Propaganda“ – was die DGAP wiederum „entschieden zurückweist“. Auch Behauptungen, wonach die Veranstaltung politisch intendiert sei und „den Friedensprozess behindern“ wolle, seien „haltlos“.

Ein „großer Teil“ der „aggressiven Nachrichten“ stamme von „Personen, die entweder aserbaidschanische Gongos (Government-operated non-governmental organization) vertreten oder sich als Bürger bezeichnen“. Die Aktion sei „offensichtlich von der Botschaft orchestriert“.

Der Sturm der Entrüstung begann also nicht nach der Veranstaltung, sondern bereits mit der Einladung. Das war vorhersehbar; wer mit den Fallstricken der armenisch-aserbaidschanischen „Erbfeindschaft“ vertraut ist, wird bei dem Wort „Arzach“ stutzen – ein armenisches Königreich, das im 13. Jahrhundert der Mongolenherrschaft und den einwandernden Turkvölkern aus den Steppen Asiens weichen musste. Seitdem war der in seinem Zentrum (bis 2023) armenisch besiedelte Höhenzug Karabach, zu deutsch........

© Berliner Zeitung


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