„Drei-geteilt? Niemals!“, stand auf BRD-Wahlplakaten in den Fünfzigern. Dazu die alte Deutschlandkarte, die von 1937, wie ein Zebra mit drei Streifen, den beiden deutschen Staaten und den ehemaligen Ostgebieten.

Das Berlin-Ergebnis bei der Europawahl erinnert daran. Eine dreigeteilte Stadt, eine Dreizonenstadt. Im Westen schwarz, in der Mitte von Pankow bis Tempelhof grün, im Osten blau. Auch die Deutschlandkarte – am Wahlsonntag prangte sie in den Grenzen von 1990. Vor dem 3. Oktober. Blau der Osten, ehemals DDR, schwarz der Westen, immer noch BRD.

Berliner, auch Wahlberliner, sehen das Positive. Teilung sind wir gewöhnt, war nie anders. Alex und Mitte im Osten, Kudamm und Zoo im Westen. Die wenigsten Touristen, die ausländischen sowieso, erklären sich die Existenz zweier Zentren in der einen großen Stadt anders als mit dem antifaschistischen Schutzwall. Wie sonst? Wer hat schon eine Ahnung, dass noch 1920 westlich des Tiergartens eine andere Großstadt begann: Charlottenburg, das schon im 19. Jahrhundert reicher, glitzernder und mondäner war als die Preußenhauptstadt.

Zwiefältigkeit ist Berlin in die Wiege gelegt, schon mit dem fast gleichzeitigen Entstehen Alt-Cöllns und Alt-Berlins beidseits der Spree im 13. Jahrhundert. Zwiefältigkeit und Zwiespältigkeit, beides passt. Oder eigentlich: passt nicht. Berlin läuft nämlich nie rund. Irgendwas hakt immer. Fehlt, quietscht oder eiert. Rund laufen München und Hamburg, bairisch gestopft die einen, hanseatisch überlegen die anderen. Rundum rheinisch ist Köln. Wer käme auf die Idee, eine der drei Städte zu teilen?

In Berlin hat man es versucht. Eine Stadt – zwei Systeme. Funktioniert hat es nicht, aber immerhin. Aus so vielen Kiezen zusammengesetzt, in zwei Meta-Kieze zerhaut. Nur die Mauer war singulär, einzigartig und in sich selbst ein Beispiel, zu welchem Wahn- und Unsinn diese Stadt fähig ist.

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•vor 4 Std.

Mit beiden Janusköpfen durch die Wand, das ist Berlin. Widersprüche und Dissonanzen allenthalben. Kein Geld und 23 Sternerestaurants. Hamburg hat weniger als die Hälfte, dabei schwimmen die Pfeffersäcke nur so in ihren Dukaten. Pro Kopf gerechnet liegt München mit 17 solcher Restaurants zwar vorn, aber die Münchner leben ja auch vom Angeben. Im Schnitt 760 Euro kostet dort das Zimmer in einer Studenten-WG. Da kann die Uni sich den Numerus clausus sparen.

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•vor 4 Std.

Vergessen wir München; in Sachen Penunse hält der Berliner es mit den Hanseaten. Über Geld redet man nicht. Der einzige Unterschied: In Hamburg hat man’s, in Berlin nicht. Man braucht es auch nicht – jedenfalls nicht das fünfstellige Delta zum Existenzminimum. Das ist der Unterschied zu München und Hamburg: Dort regieren artige Ideale, homogene, stadteinheitliche Wertepyramiden. Die richtige Wohnadresse, die richtigen Clubs für die Kleinen.

Die Wohnadressen und Clubs gibt es auch in der Hauptstadt, aber hier sind sie irrelevant. Allenfalls blasenrelevant. Die Westendblase oder die vom Kollwitzplatz. Die Blasen der Künstler und Klugen. Vorn mit dabei, woke und wichtig. Staatstragend und/oder individualistisch. Die Hippen. Die Kleingärtner in Kaulsdorf oder Britz – nicht so wichtig, dafür mehr „wir“.

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Dabei muss Berlin ganz schön stemmen mit seinen nicht mal vier Millionen Einwohnern. Wer aus London, Rio oder Moskau kommt, nimmt die Stadt als Metropole gar nicht wahr. Doch was macht eine Metropole aus? Es ist das Egalsein. Das leben und leben lassen. Oder eigentlich: das leben und sterben lassen. Und beim Egalsein kann Berlin auftrumpfen. Was ist der Westen dem Osten? Egal. Der Osten dem Westen? Ditto. Was sind Kreuzberg und Grunewald? Einander schnuppe. Hertha und Union? Raten Sie mal.

Zwiefalt, Zwiespalt, Vielfalt – das ist die Berliner Luft: Arabien auf der Sonnenallee, Boomerglück in Zehlendorf, Bullerbü am Prenzlauer Berg. Glücklich nebeneinander statt gequält miteinander. Die Provinzler begreifen das nicht, die Werbefuzzis aus dem Schwabenland, deren Vorstellung von Diversität sich erfüllt, wenn alle Hautfarben und sexuellen Orientierungen sinnentleert lächelnd im Morgenkreis sitzen.

Du, Berlin, bist anders. Du bist das deutsche Babylon. Zwie- und vielgefaltet, wie damals das Zweistromland vor über 4000 Jahren. Alle Sprachen unter der Sonne … Babylonisch, Assyrisch, Sumerisch, Aramäisch, Eblaitisch, Ägyptisch. Da passt auch noch das Kalifat. Oder grün-schwarz-blau. Recke deine Köpfe, Hydra! Nichts für Feiglinge. Brutal.

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QOSHE - Berlin dreigeteilt: Schwarz-Grün-Blau - Thomas Fasbender
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Berlin dreigeteilt: Schwarz-Grün-Blau

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11.06.2024

„Drei-geteilt? Niemals!“, stand auf BRD-Wahlplakaten in den Fünfzigern. Dazu die alte Deutschlandkarte, die von 1937, wie ein Zebra mit drei Streifen, den beiden deutschen Staaten und den ehemaligen Ostgebieten.

Das Berlin-Ergebnis bei der Europawahl erinnert daran. Eine dreigeteilte Stadt, eine Dreizonenstadt. Im Westen schwarz, in der Mitte von Pankow bis Tempelhof grün, im Osten blau. Auch die Deutschlandkarte – am Wahlsonntag prangte sie in den Grenzen von 1990. Vor dem 3. Oktober. Blau der Osten, ehemals DDR, schwarz der Westen, immer noch BRD.

Berliner, auch Wahlberliner, sehen das Positive. Teilung sind wir gewöhnt, war nie anders. Alex und Mitte im Osten, Kudamm und Zoo im Westen. Die wenigsten Touristen, die ausländischen sowieso, erklären sich die Existenz zweier Zentren in der einen großen Stadt anders als mit dem antifaschistischen Schutzwall. Wie sonst? Wer hat schon eine Ahnung, dass noch 1920 westlich des Tiergartens eine andere Großstadt begann: Charlottenburg, das schon im 19. Jahrhundert reicher, glitzernder und mondäner war als die Preußenhauptstadt.

Zwiefältigkeit ist Berlin in die Wiege gelegt, schon mit........

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