Wahrscheinlich bin ich es doch. Neidisch. Und das nicht nur ein bisschen. Ich habe Penisneid. Bewusst wurde mir das zuletzt auf meinem Balkon. Da saß ich mit einer Schweizer Freundin, die wie ich Künstlerin ist und auf ein Kunstwerk schlicht mit den Worten reagiert hatte: Ist geil. Wirklich geil. Es war keine ihrer Arbeiten, meine auch nicht, aber nach einer kurzen Überlegung wurde uns klar, dass wir das ebenfalls gern über eines unserer Bilder kundtun würden, mitten im Gespräch auf Anfrage nach dem Preis. Den Preis nennen und dann hinzufügen: Greifen Sie zu, ist ein geiles Kunstwerk.

Wir waren uns in diesem Moment einig, dass wir eine solche eigene Wertschätzung kaum über die Lippen brächten, weil es prompt eingebildet oder überheblich oder im schlimmsten Falle sogar falsch eingeschätzt wirken könnte. Warum eigentlich?

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Einen meiner Schreibkollegen zum Beispiel interviewte ich einmal privat im Park, die Sonne blitzte, und ich fragte, was er denn derzeit schreibe. Woraufhin er knapp von der bereits zu erledigenden Fahnenkorrektur seiner neuen Romans berichtete. Er habe dafür nur zwei Wochen Zeit. Und ich: Wie viele Seiten umfasst es denn? Mehr als 500. Ui, meinte ich, da müsse er sich aber ranhalten. Und er: Nee, das geht schon, ist ja auch gut geschrieben. – Der Roman wurde wie jedes seiner Bücher ein Bestseller.

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Das sind so Augenblicke, in denen ich auch mal breitbeinig in der U-Bahn hocken möchte, weil ich eine Menge Potenz zwischen meinen Beinen lüften muss. Nicht die Beine adrett übereinanderschlagen, wie es einem Mädchen ohne große Erklärung beigebracht wird; die Scham verdeckend, um Himmels willen nicht aufreizend sein. Wie lange haben wir damals über die Szene in „Basic Instinct“ gestaunt. Wie verwegen ungehörig wurde der Blick unter den Rock von Sharon Stone wahrgenommen. Statt gleich zu denken: Cool, die nimmt sich, was sie will.

Warum und wann eigentlich hat sich der Reflex eingeschlichen, auf ein Kompliment mit vorgeschützter Bescheidenheit zu antworten, artig bitte und danke zu sagen und vor allem zu jedem Lob einen zarten Zweifel zu liefern? Nach dem Motto: Das freut mich sehr, dass dir mein Bild gefällt. Könnte allerdings sein, dass es noch nicht fertig ist.

Schluss! Ist ein geiles Bild. Kauf es.

In meiner Jugend wurden Mädchen dafür gerügt, Dreck unter den Fingernägeln zu haben, während es bei Jungen ein Abbild ihrer Talente war, auf Bäume zu klettern, faustdicke Bretter zu sägen, sich im Schlamm zu raufen. Verkläre ich das jetzt? Gibt es diese Klischees noch? Die jungen Frauen von heute sehen doch eigentlich so lässig aus. Wobei sich auch Jungs unters Schönheitsmesser legen, Nagellack tragen und Mädchen sich selbstverständlich mit den MINT-Fächern rumschlagen.

Trotzdem lässt mich vor allem durch Instagram der Eindruck nicht los, dass es bei Frauen immer noch viel um Haare und bei Männern um pferdestarke Autos und Muckis geht.

Tatsächlich ist das sogar ein „Luxus“, sich darüber Gedanken zu machen, während es in den meisten außereuropäischen Ländern reicht, einen Penis zu besitzen, um wie in Indien zum Beispiel nicht abgetrieben zu werden.

In meiner Teenie-Zeit hatte ich eine absolute Jungsphase. Ich zog die Mütze tief über meine längeren Haare, beugte die Schultern vor, sodass man meine Brüste unter den weiten Klamotten nicht sehen konnte. Die meisten meiner Freunde waren männlich. Sie mussten die Arme nicht groß anheben, um ihr schnelles Bedürfnis zu erledigen, kein luftiges Hocken hinterm Baum, verschämt das Gesäß wie ein Vollmond im Halbdunkeln. Darum beneidete ich sie. Zugleich liebte ich es, mit ihnen zu frotzeln, mit dem einen raufte ich hin und wieder. Aber als er partout wollte, dass ich dann einfach auf seinem Schoß sitzen bleibe, war es mit der Freundschaft irgendwie aus. Warum verstand er das nicht?

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Zu der Zeit ungefähr stieß ich auf das ikonische Foto von Louise Bourgeois, die in hohem Alter von Robert Mapplethorpe wie folgt porträtiert wurde: ein süffisantes Lächeln im Gesicht, und unter dem Arm ihrer fluffigen Jacke ein Riesenpenis aus Bronze, eines ihrer Meisterwerke. Nun gut, dachte ich, muss ich halt noch ein paar Jährchen warten, dann wird das schon. Vor einiger Zeit fand man dann endlich auch einen passenden Begriff dafür. The Big Dick Energy (kurz: BDE), Selbstbewusstsein ohne Großspurigkeit, das zum Glück auch Frauen zugeschrieben wurde. Rihanna, Serena Williams, Cate Blanchett ... Komisch nur, dass man das Gefühl nicht verliert, dass man diese Titulierung über Schwangerschaft und Alter dann doch einbüßt, oder? Bei mir kam nach einem abgebrochenen Regiestudium (aus Gründen, für die diese Kolumne nicht ausreicht) endlich auch dieser Augenblick der totalen Stärkung.

Als mein erster Sohn geboren wurde – ja, von mir, und wie man so adrett sagt: natürlich spontan –, schrie ich so laut, dass die Schüchternheitswände brachen, mein Gemächt wuchs; jetzt, dachte ich, könne mir niemand mehr „ans Bein pinkeln“. Es war wie ein Erwachen und gleichzeitig das Begreifen, dass man an dieser Stelle ja auch mal sterben kann. Ich habe das überlebt. Noch besser. Mein Sohn war gesund und munter und überhaupt toll. Ja. In diesem Kontext flutscht mir das immer leichtfüßig über die Lippen: Ich habe großartige Jungs. Bestimmt die großartigsten.

Und die Kunst?

Das Verrückte an ihr ist, dass man seine schöpferische Sensibilität pflegen sollte. Künstlerinnen wollen in der öffentlichen Wahrnehmung als brüchige Erscheinungen dargestellt sein. Oder als dunkelgesichtige Rächerinnen, bei denen man mit allem rechnen muss. Aber so eine Macherin? Eine, die es einfach draufhat, das dicke Ding durchzieht, die Dollarscheine als Geldbündel in der Arschtasche?

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Viele, sehr, sehr viele meiner Kolleginnen sind coole, selbstbewusste, erfolgreiche, bewunderungswürdige Künstlerinnen. Fragt man jedoch den Kunstmarkt, zeigen die Quoten von Ranking und Verdienst ein trauriges Bild. Jung, schön, kinderlos, frisch von der Akademie, das funktioniert. Oder die zarte Witwe. Womit wir wieder mal beim Klischee des kreativen Opfers wären.

Was hilft, ist das Bewusstsein darüber, wie geil es sich als Frau lebt. Meine Mutter zum Beispiel war ein wichtiges Vorbild für das Eintreffen meiner Periode. Als ich das Blut in der Toilettenschüssel entdeckte, ging sie zur Feier mit mir eine große Pizza essen und schenkte mir (ha ha!) ein Tagebuch. Sie sagte: Man kann aus einer Schwäche auch eine Stärke machen. Das hat mich geprägt. Schön wäre nun, wenn man Schwächen wie diese und viele andere eben auch mal von vornherein als Stärke ansehen würde. Dann bräuchte ich auch keinen Penisneid mehr. Schon gar nicht, wo mir mit dem Älterwerden jetzt einige Barthaare wachsen. Na gut, packen wir’s an.

QOSHE - Ein Hoch auf die Breitbeinigkeit oder: Warum sind Frauen immer so bescheiden? - Susanne Schirdewahn
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Ein Hoch auf die Breitbeinigkeit oder: Warum sind Frauen immer so bescheiden?

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03.12.2023

Wahrscheinlich bin ich es doch. Neidisch. Und das nicht nur ein bisschen. Ich habe Penisneid. Bewusst wurde mir das zuletzt auf meinem Balkon. Da saß ich mit einer Schweizer Freundin, die wie ich Künstlerin ist und auf ein Kunstwerk schlicht mit den Worten reagiert hatte: Ist geil. Wirklich geil. Es war keine ihrer Arbeiten, meine auch nicht, aber nach einer kurzen Überlegung wurde uns klar, dass wir das ebenfalls gern über eines unserer Bilder kundtun würden, mitten im Gespräch auf Anfrage nach dem Preis. Den Preis nennen und dann hinzufügen: Greifen Sie zu, ist ein geiles Kunstwerk.

Wir waren uns in diesem Moment einig, dass wir eine solche eigene Wertschätzung kaum über die Lippen brächten, weil es prompt eingebildet oder überheblich oder im schlimmsten Falle sogar falsch eingeschätzt wirken könnte. Warum eigentlich?

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30.11.2023

•vor 2 Std.

Das sind so Augenblicke, in denen ich auch mal breitbeinig in der U-Bahn hocken möchte, weil ich eine Menge Potenz zwischen meinen Beinen lüften muss. Nicht die Beine adrett übereinanderschlagen, wie es einem Mädchen ohne große Erklärung........

© Berliner Zeitung


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