„Wir haben damals in 39 Monaten den Neubau errichtet“, sagt Jürgen Ledderboge stolz. Der Mann zeigt Bilder von dem „größten Projekt seiner Karriere“, wie er sagt. Der Neubau des Friedrichstadt-Palastes, eine der meistbesuchten Varieté-Bühnen in Europa, wird am 27. April 40 Jahre alt. Das Revuetheater, das den 1985 abgerissenen alten Friedrichstadt-Palast ersetzte, kann auf eine reiche Geschichte zurückblicken.

Jürgen Ledderboge, damals Oberbauleiter, kann einiges davon erzählen. Er blättert durch das Manuskript seines Buches mit dem Titel „Der Friedrichstadt-Palast Berlin, vom Neubau zum Denkmal“, das er zum Interview mit der Berliner Zeitung mitgebracht hat. Vier Jahre hat er daran gearbeitet und seine Erinnerungen zusammengetragen.

Für die Veröffentlichung seines Buches sucht er noch einen Sponsor. „Viele Verlage haben mir abgesagt“, sagt er und senkt den Blick. Das Manuskript umfasst Anekdoten, Bilder und Informationen zu dem Bauwerk, das 2020 unter Denkmalschutz gestellt wurde. Der Friedrichstadt-Palast sei in der DDR das beliebteste Unterhaltungstheater gewesen, erzählt Ledderboge: „Die Shows waren fast immer ausverkauft.“

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Begonnen hat die Sache mit dem Neubau mit einer Frage des damaligen Professors und Generaldirektors der Berliner Baudirektion Ehrhardt Gißke. Ledderboge kannte den Mann von der Bauakademie. Gißke erinnerte sich an ihn und kam auf ihn zu: „Hast du nicht Lust, den Friedrichstadt-Palast zu machen?“ Der alte Friedrichstadt-Palast wurde geschlossen, weil das historische Gebäude langsam zu knirschen begann. 1980 fasste der Magistrat von Ost-Berlin den Beschluss, das Haus aus Sicherheitsgründen nicht mehr zu nutzen. Am 29. Februar 1980 wurde die letzte Veranstaltung im alten Friedrichstadt-Palast im DDR-Fernsehen übertragen, erinnert sich Ledderboge.

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Während des Gesprächs deutet Ledderboge hin und wieder mit dem Zeigefinger auf verschiedene Bilder, so auch auf eines, das den Bau zeigt, wie er heute bekannt ist. Lächelnd sagt er, dass der Neubau im historischen Quartier der Spandauer Vorstadt statt der angesetzten 219 Millionen Mark nur 214 gekostet habe. „Wir haben bestimmte Konstruktionen weggelassen oder preiswerter ausgeführt.“ Ledderboge und das Team arbeiteten äußerst kostenbewusst.

Als klar wurde, dass die geplante Fassade aus Stahl, Glas und Aluminium zu teuer wurde, ersetzten die Ingenieure die Materialien durch Stahlbeton und Glasbausteine. Er erinnert sich an eine Geschichte, bei der er heute noch schmunzelt: In den Garderoben und Werkstätten wurde Kalksandstein verbaut, die den Putz ersetzten. Für diese Arbeit haben die Arbeiter Löffel aus der Kantine verwendet. Diese gingen dadurch kaputt. „Wir mussten ständig Teelöffel nachkaufen“, sagt Ledderboge und lacht.

Er erinnert sich während des Gespräches auch an einen heiklen Moment aus der DDR-Zeit. „Vier Wochen vor der Eröffnung stattete uns die Stasi einen Besuch ab. Die Stromkabel für den eisernen Vorhang waren durchtrennt.“ Daraufhin sei ein General zu ihm gekommen und habe das Personal auf der Baustelle aufgestockt. „Er ging von Sabotage aus.“

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Die Ära Friedrichstadt-Palast kann in zwei Bücher unterteilt werden. In das des alten Friedrichstadt-Palastes und das des Neubaus. Die Geschichte des alten erstreckt sich bis in das 19. Jahrhundert. Nach einem Pariser Vorbild entstand 1867 am Ufer der Spree eine Markthalle. Elf Jahre später wurde der Bahnhof Friedrichstraße einen Steinwurf entfernt gebaut. Die Markthalle, eine seinerzeit hochinnovative Stahlkonstruktion, sollte den vielen Marktständen geordnet Platz verschaffen. Zuvor hatten Lebensmittelhändler ihre Waren auf der Oranienburger Straße und dem Karlplatz verkauft und dort ihre Abfälle hinterlassen. Die Berliner nahmen die Markthalle jedoch nicht an.

Eine neue Nutzungsidee für die Markthalle musste her: Nach einem Umbau zog ein Zirkus ein, der Bau bot rund 5000 Zuschauern Platz. Der Zirkus begeisterte die Massen deutlich stärker als die Markthalle. Das Rondell wurde ausgebaut. Mit dem Ersten Weltkrieg kam der Ruin – die Dressurpferde, die Stars in der Arena, wurden zur Kriegskavallerie eingezogen. So endete das Projekt Zirkus, und die Theater-Ära begann.

Max Reinhardt, Theaterdirektor und Regisseur, übernahm den Zirkusbau, mit dem Ziel, ein „Riesenvolkstheater“ zu gründen. Reinhardt lässt das Haus 1918 zu einem Arenatheater umbauen. Der Wandel hin zur Revue, wofür die Shows, die im Friedrichstadt-Palast aufgeführt werden, noch heute bekannt sind, geschah nach einer Übergabe an Erik Charell, einen Mitarbeiter Reinhardts. Vom New Yorker Broadway inspirierte „Girlreihen“ begeistern das Publikum. „Der alte Friedrichstadt-Palast war wirklich ein Magnet für die Berliner“, sagt Ledderboge.

Ein dunkles Kapitel in der Geschichte des alten Friedrichstadt-Palastes kam mit dem Nationalsozialismus. Der jüdische Besitzer Max Reinhardt wurde enteignet und das Gebäude zum Propaganda- und Operettentheater – populär nicht nur in NSDAP-Kreisen. Jüdische Schauspieler verloren ihren Job, Stücke von jüdischen Autoren wurden nicht mehr aufgeführt. Als „entartet“ eingestufte Teile des Bauwerks wurden entfernt. Joseph Goebbels kümmert sich höchstpersönlich um den Palast, der nun „Theater des Volkes“ hieß. Nachdem 1944 eine Bombe in das Bühnenhaus gefallen war, schloss das Theater. In der Nachkriegszeit kamen wieder Revuen auf die Bühne.

Ledderboge schreibt in seinem Manuskript, dass er damals die zerbombte Friedrichstraße gesehen habe. „Die gesamte Friedrichstraße sollte ab dem Checkpoint Charlie aufgebaut werden“, sagt er. „Wir haben die Auflage bekommen, Gaststätten und Geschäfte zu errichten, damit auch am Abend Leben in der Friedrichstraße ist.“ In der Hauptbauzeit zwischen 1982 und 1984 waren teils bis zu 520 Personen am Tag im Zweischichtbetrieb im Einsatz, erzählt Ledderboge. Sein Gehalt als Oberbauleiter war nicht üppig. 1700 Mark der DDR habe er pro Monat erhalten.

Mit dem Neubau nach der Schließung des maroden alten Gebäudes 1980 und dem Abriss 1985 wollte die DDR neue Maßstäbe setzen. „Wir haben nach dem Vorbild von großen Moskauer Theatern gebaut“, sagt Ledderboge. „Die Ideen des damaligen Intendanten Wolfgang E. Struck und seines Teams wurden mit umgesetzt. Die für das neue Revuetheater vorgesehenen Techniker waren seit 1982 mit in seiner Oberbauleitung tätig“, sagt Ledderboge. Auch der sowjetische Staatszirkus in Moskau wurde besucht und konsultiert.

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Am 27. April 1984 hob sich der Glitzervorhang des neuen Hauses zur Revue „Premiere: Friedrichstraße 107“. Zu dem Galaabend, gleichsam ein Staatsakt, kamen Staats- und Parteichef Erich Honecker, seine Frau Margot und die gesamte Staats- und Parteiführung. Wieder übertrug das Fernsehen der DDR. Die Berliner Zeitung berichtete begeistert unter der Überschrift: „Ein attraktives Haus für viele Attraktionen – Friedrichstadtpalast mit modernster Technik / Kleine Revue als intimes Galerietheater (sic)“.

Anfang der 1990er-Jahre habe man den Friedrichstadt-Palast als Konkurrenten ausschalten wollen, erzählt Ledderboge. Grund hierfür war offenbar der Verdacht, es könnte Asbestmaterial verbaut worden sein. „Wenn etwas gefunden worden wäre, hätte das Theater schließen müssen – wie der Palast der Republik“, ist Ledderboge überzeugt. Der ehemalige Oberbauleiter erzählt, dass sie auf den Einbau von Asbest verzichtet hätten, nachdem sie von gesundheitlichen Schäden bis hin zum Tod eines Bauleiters am Palast der Republik gehört hätten. „Die Untersuchung wurde von den Mitarbeitern des Berliner Kulturbetriebes veranlasst“, sagt er. Es sei jedoch „kein Stäubchen Asbest“ gefunden worden.

Mittlerweile ist das Verhältnis zur Intendanz nicht so, wie er sich es gewünscht hätte. Ihn stören einige Dinge, die im Nachhinein verändert wurden. „Wir haben rote Sessel ausgesucht, weil unser Auftrag war, ein Theater zu bauen. Inzwischen sind die ursprünglichen Sitze durch blaue ersetzt worden“, sagt Ledderboge enttäuscht. Manchmal gehe er noch am Friedrichstadt-Palast vorbei und schaue ihn sich lange an. Ein vorgesehenes Treffen der ehemaligen Oberbauleitung zum 40. Jahrestages im Friedrichstadt-Palast kam nicht zustande.

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40 Jahre Friedrichstadt-Palast: „Die Stasi stattete uns einen Besuch ab“

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26.04.2024

„Wir haben damals in 39 Monaten den Neubau errichtet“, sagt Jürgen Ledderboge stolz. Der Mann zeigt Bilder von dem „größten Projekt seiner Karriere“, wie er sagt. Der Neubau des Friedrichstadt-Palastes, eine der meistbesuchten Varieté-Bühnen in Europa, wird am 27. April 40 Jahre alt. Das Revuetheater, das den 1985 abgerissenen alten Friedrichstadt-Palast ersetzte, kann auf eine reiche Geschichte zurückblicken.

Jürgen Ledderboge, damals Oberbauleiter, kann einiges davon erzählen. Er blättert durch das Manuskript seines Buches mit dem Titel „Der Friedrichstadt-Palast Berlin, vom Neubau zum Denkmal“, das er zum Interview mit der Berliner Zeitung mitgebracht hat. Vier Jahre hat er daran gearbeitet und seine Erinnerungen zusammengetragen.

Für die Veröffentlichung seines Buches sucht er noch einen Sponsor. „Viele Verlage haben mir abgesagt“, sagt er und senkt den Blick. Das Manuskript umfasst Anekdoten, Bilder und Informationen zu dem Bauwerk, das 2020 unter Denkmalschutz gestellt wurde. Der Friedrichstadt-Palast sei in der DDR das beliebteste Unterhaltungstheater gewesen, erzählt Ledderboge: „Die Shows waren fast immer ausverkauft.“

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Begonnen hat die Sache mit dem Neubau mit einer Frage des damaligen Professors und Generaldirektors der Berliner Baudirektion Ehrhardt Gißke. Ledderboge kannte den Mann von der Bauakademie. Gißke erinnerte sich an ihn und kam auf ihn zu: „Hast du nicht Lust, den Friedrichstadt-Palast zu machen?“ Der alte Friedrichstadt-Palast wurde geschlossen, weil das historische Gebäude langsam zu knirschen begann. 1980 fasste der Magistrat von Ost-Berlin den Beschluss, das Haus aus Sicherheitsgründen nicht mehr zu nutzen. Am 29. Februar 1980 wurde die letzte Veranstaltung im alten Friedrichstadt-Palast im DDR-Fernsehen übertragen, erinnert sich Ledderboge.

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Während des Gesprächs deutet Ledderboge hin und wieder mit dem Zeigefinger auf verschiedene Bilder, so auch auf eines, das den Bau zeigt, wie er........

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