Gestern Adidas, heute Reebok, morgen Nike. Mal etwas ausgefallener, dann wieder ein bisschen schlichter. Schnürsenkel oder Klettverschluss. Hauptsache Sneaker – etwas anderes kommt Amadeus Thüner nicht an die Füße! Thüner ist Experte für Sneaker-Kultur, setzt sich intensiv mit der Geschichte und der Zukunft der Turnschuhe auseinander, berät Unternehmen zu diesen Themen.

Als wir ihn ein paar Tage vor dem Crepe City Festival treffen, einem der größten Sneaker-Festivals Europas, das am Sonntag (19. November) zum zweiten Mal in Berlin stattfindet, trägt er einen blau-weißen Turnschuh mit fetten, rosafarbenen Schnürsenkeln. Der Name des Schuhs: „Born x Raised x Nike SB Dunk Low“; er soll an den kürzlich verstorbenen Chris „Spanto“ Printup und seine in Los Angeles gegründete Modemarke Born x Raised erinnern.

Bloß nicht wie ein Deutschlehrer aussehen: Warum trägt ganz Berlin Turnschuhe?

vor 1 Std.

15.11.2023

•gestern

•gestern

Sneaker und Streetwear, das sind zwei Gebiete, auf denen sich Thüner auskennt wie kaum ein anderer – und für die speziell Berlin ein Dreh- und Angelpunkt ist. Warum? Das haben wir Thüner vor dem großen Festival am Sonntag gefragt.

Herr Thüner, Sie sind als „Street-Culture-Experte“ bekannt, beraten Firmen zu entsprechenden Themen. Was genau muss ich mir darunter vorstellen?

Ich befasse mich mit dem Status Quo der Sneaker- und Streetwear-Szene. Wo kommen Trends her, wo gehen sie hin? Ich berate Unternehmen, die sich mit ihrer Marke im Lifestyle-Bereich aufstellen wollen. Es geht darum, Zusammenhänge zu erkennen, ein Gefühl für den Markt und einzelne Geschichten zu entwickeln. Über solche Themen spreche ich dann auch in meinen beiden Podcasts.

Am Sonntag moderieren Sie auf dem „Crepe City Festival“ auch eine Podiumsdiskussion zum Thema.

Richtig, es soll darum gehen, was die Kultur und die Szene ausmacht, wie viel Geld darin steckt und ob das alles in Einklang zu bringen ist. Mit Julia Schoierer, eine der größten Vintage-Sammlerinnen der Welt, dem Markenberater Maurice Caiza Andresen und Fabian Gorsler, der an meiner Seite den „Oh, Schuhen!“-Podcast moderiert und außerdem für Marken wie High Snobiety oder Zalando gearbeitet hat, haben wir fachkundige Gäste. Der Titel des Podiums ist als polemische Frage formuliert: „Ist die Sneaker-Kultur tot?“

Die Netflix-Serie „Halston“: Ein Modemacher zwischen Fashion, Kippen und Kokain

23.05.2021

Fynn Kliemann in der Stilkritik: Der ewige Kika-Moderator

15.11.2023

Und? Haben Sie eine Antwort darauf?

Der Sneaker ist gekommen, um zu bleiben. Das ist kein Trendthema, das plötzlich riesengroß ist und dann wieder verschwindet. Die Bandbreite an Turnschuhen ist mittlerweile gewaltig, Marken haben das erkannt und werden weiterhin viele solcher Schuhe veröffentlichen. Das ist aber Fluch und Segen zugleich: Auf der einen Seite haben wir dadurch viele Geschichten, die wir erzählen können. Auf der anderen Seite muss man sich die Frage stellen: Wie viele neue Sneaker-Modelle brauchen wir wirklich?

Sie spielen auf Themen der Nachhaltigkeit an.

Ja, und ich gehe davon aus, dass dieses Thema weiterhin wichtig bleibt. Wobei sich die Modeindustrie und somit auch der Sneaker-Bereich nicht zeitnah komplett nachhaltig umgestalten lässt. Das ist mittelfristig nicht umsetzbar.

Und langfristig?

Es geht erst mal darum, ein Bewusstsein für die Wichtigkeit des Themas zu schaffen. Allerdings sprechen wir hier von einer milliardenschweren Industrie und von einem sehr mehrteiligen Thema – da reicht kein Fingerschnippen. Nachhaltigkeit muss auch über Marketing und Preisgestaltung hinaus gedacht werden.

Wie hat das überhaupt angefangen mit Ihnen und den Turnschuhen?

Mit zehn Jahren etwa habe ich angefangen, mich für Basketball zu interessieren. Wenn du diese Sportart betreiben willst, brauchst du einen Basketballschuh. Danach kam bei mir Skateboarding. Auch da war der Schuh wichtig – wobei es mir dann schon etwas mehr um den Style als nur um den Sport ging. Ich bin in der HipHop- und der Harcore-Punk-Szene sozialisiert worden. Und in beiden Genres ist der Sneaker ein wichtiges Erkennungsmerkmal.

Für die HipHop-Kultur ist 2023 ein bedeutendes Jahr. Vor 50 Jahren wurde in New York der Grundstein gelegt für das Musikgenre und den zugehörigen Lifestyle, weswegen nun weltweit zahlreiche Veranstaltungen zum Thema stattfinden. Welchen Einfluss hat die HipHop-Kultur noch heute auf Sneaker-Trends?

Die HipHop-Kultur geht noch immer Hand in Hand mit der Sneaker-Kultur. Wir haben einmal den sportlichen Aspekt beim Thema Turnschuh. Zum anderen haben wir einen soziokulturellen Aspekt. Im HipHop ging es schon immer um Abgrenzung, aber auch um ein Gemeinschaftsgefühl innerhalb dieser Abgrenzung. Wenn Menschen sagen, dass sie individuell sein möchten, sind sie es oft nur bis zu einem gewissen Punkt, weil sie immer noch zu einer bestimmten Gruppe dazugehören möchten, auch wenn diese viel kleiner ist als der Mainstream. Man sieht die Vermischung längst auch bei Luxusmarken wie Gucci oder Louis Vuitton – und das nicht erst seit Virgil Abloh, dem ehemaligen Kreativdirektor Vuittons oder Pharrell Williams, dem jetzigen Kreativdirektor der Marke. Früher wollten diese Labels mit Streetculture nichts zu tun haben. Inzwischen haben sie aber erkannt, dass jüngere Zielgruppen eben darauf stehen und sich also viel Geld damit verdienen lässt.

Wie hat sich die Sneaker-Kultur seit Ihrer Jugend außerdem verändert?

Heute kommen, verschwinden und wiederholen sich Trends viel schneller. Viele Stylecodes sind aufgebrochen worden, dadurch entstehen neue Richtungen, die nicht mehr nur in klassischen Subkulturen zu finden sind. Die Dichte an Neuerscheinungen im Turnschuhbereich ist zudem viel höher, liegt bei etwa 700 verschiedenen Exemplaren im Jahr – und dabei spreche ich nur über limitierte Sneaker. Durch Social Media sieht man heute außerdem, was die Menschen in Tokio, New York oder Amsterdam gerade tragen. Das prägt.

Warum sind Sneaker in Berlin so ein großes und wichtiges Thema?

Berlin ist, was Sneaker und Streetwear angeht, eine wichtige Stadt in Europa und auch weltweit – eine Metropole mit Einfluss. Stilistisch wird sich hier viel an Basketball orientiert. Gerade jetzt: Wir sind Weltmeister, die NBA wird wieder im deutschen Fernsehen übertragen. Den „Air Jordan 1“ und den „Air Jordan 4“ sieht man im Moment sehr häufig auf den Straßen. Berlin ist aber auch eine Stadt, in der es eine große Running-Culture gibt, also werden hier auch viele entsprechende Modelle getragen. Was die Farben angeht: gerne dunkel, viel schwarz, schließlich hat Berlin eine große Techno-Historie.

Und wo können in der Stadt besonders gute Sneaker gekauft werden?

Läden wie Solexbox, Overkill, Civilist, Sneakersnstuff oder Firmament haben sich auch international einen Namen gemacht, außerdem gibt es zahlreiche Ketten wie Foot Locker, JD Sports, Snipes oder Defshop.

Gibt es einen Sneaker, der in keinem Schuhschrank fehlen darf?

Nein. Aber es gibt natürlich Sneaker, auf die sich viele Leute einigen können. Der „Chuck Taylor All Star“ von Converse ist einer der meistverkauften Schuhe überhaupt, er funktioniert sowohl in der Punk- als auch in der HipHop-Szene. Viele besitzen auch einen weißen „Air Force 1“, den „Air Max 1“ oder „Air Max 90“. Für Adidas ist der Superstar ein echter Klassiker.

Ich gehe davon aus, dass in Ihrem Schrank ein paar mehr Modelle als „Chucks“ und „Air Force“ stehen. Wie viele Sneaker muss man besitzen, um als „Streetculture-Experte“ durchzugehen?

Ein „Muss“ gibt es nicht. In meinem Falle sind es etwa 400 Paare.

Gibt es ein Paar, mit dem Sie eine besondere Geschichte verbinden?

Die schönsten Geschichten sind die, die eine Emotionalität mit sich bringen. Ich hatte mal ein Interview mit dem Profiskateboarder Chad Muska, der in einem Store in Paris europaweit exklusiv einen Schuh herausgebracht hat – limitiert auf 600 Paar. Trotz einer riesigen Schlange vor dem Geschäft hatte ich das Glück, einen dieser Sneaker zu bekommen. Ich hatte also ein Interview in einer Stadt, die ich mag, hatte eine gute Zeit dort und konnte dann auch noch diesen seltenen Schuh kaufen – das Gesamtpaket hatte für mich eine emotionale Verbindung.

QOSHE - Street Culture für alle – Europas größtes Sneaker-Festival kommt nach Berlin - Robin Schmidt
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Street Culture für alle – Europas größtes Sneaker-Festival kommt nach Berlin

8 0
18.11.2023

Gestern Adidas, heute Reebok, morgen Nike. Mal etwas ausgefallener, dann wieder ein bisschen schlichter. Schnürsenkel oder Klettverschluss. Hauptsache Sneaker – etwas anderes kommt Amadeus Thüner nicht an die Füße! Thüner ist Experte für Sneaker-Kultur, setzt sich intensiv mit der Geschichte und der Zukunft der Turnschuhe auseinander, berät Unternehmen zu diesen Themen.

Als wir ihn ein paar Tage vor dem Crepe City Festival treffen, einem der größten Sneaker-Festivals Europas, das am Sonntag (19. November) zum zweiten Mal in Berlin stattfindet, trägt er einen blau-weißen Turnschuh mit fetten, rosafarbenen Schnürsenkeln. Der Name des Schuhs: „Born x Raised x Nike SB Dunk Low“; er soll an den kürzlich verstorbenen Chris „Spanto“ Printup und seine in Los Angeles gegründete Modemarke Born x Raised erinnern.

Bloß nicht wie ein Deutschlehrer aussehen: Warum trägt ganz Berlin Turnschuhe?

vor 1 Std.

15.11.2023

•gestern

•gestern

Sneaker und Streetwear, das sind zwei Gebiete, auf denen sich Thüner auskennt wie kaum ein anderer – und für die speziell Berlin ein Dreh- und Angelpunkt ist. Warum? Das haben wir Thüner vor dem großen Festival am Sonntag gefragt.

Herr Thüner, Sie sind als „Street-Culture-Experte“ bekannt, beraten Firmen zu entsprechenden Themen. Was genau muss ich mir darunter vorstellen?

Ich befasse mich mit dem Status Quo der Sneaker- und Streetwear-Szene. Wo kommen Trends her, wo gehen sie hin? Ich berate Unternehmen, die sich mit ihrer Marke im Lifestyle-Bereich aufstellen wollen. Es geht darum, Zusammenhänge zu erkennen, ein Gefühl für den Markt und einzelne Geschichten zu entwickeln. Über solche Themen spreche ich dann auch in meinen beiden Podcasts.

Am Sonntag moderieren Sie auf dem „Crepe City Festival“ auch eine Podiumsdiskussion zum Thema.

Richtig, es soll darum gehen, was die Kultur und die Szene ausmacht, wie viel Geld darin steckt und ob das alles in Einklang zu bringen ist. Mit Julia Schoierer, eine der größten Vintage-Sammlerinnen der Welt, dem Markenberater Maurice Caiza........

© Berliner Zeitung


Get it on Google Play