Als Richard Strauss damit liebäugelte, aus der „Elektra“ von Hugo von Hofmannsthal seine nächste Oper zu machen, zögerte er wegen der Ähnlichkeit zur vorausgegangenen „Salome“: wieder eine Oper in der antiken Welt, wieder ein Einakter, wieder eine junge Frau mit eher ausgefallenen Vorstellungen zur weiteren Gestaltung des angebrochenen Abends. Aber das Stück würde den von beiden Seiten begrüßten Arbeitskontakt mit Hofmannsthal herstellen und dem singulären Erfolg der „Salome“ etwas Ähnliches hinterherschicken, konnte finanziell kein Fehler sein.

Künstlerisch war es einer. Wie fein und gedankenvoll, sogar handlungssatt scheint uns heute Oscar Wildes „Salome“ gegen Hofmannsthals von Psychoanalyse inspirierten und plattgemachten „Elektra“-Text, der in der Oper mehr oder weniger zu einer Folge von Monologen wird. Und mag Hofmannsthals Sprachmacht den Komponisten zu einer schier nicht abreißenden Fülle an Klangbildern inspiriert haben, so wirkt die ironiefreie Besessenheit von Blut, Rache und Mord doch mittlerweile eher albern als grausig.

Und vermochte Strauss der „Salome“ noch eine Form zu geben, so überlässt er sich in der „Elektra“ der Bilder- und Klangflut, bis sie zur Stummfilmmusik wird: Wo nebenher von Pferden oder Hunden die Rede ist, wiehert oder bellt es im Orchester; Graben, Springen, Jaulen, Reiten, Bedrückung finden natürlich erst recht eine drastische Illustration. Dass er derlei nicht auch noch auf der Bühne verdoppelt sehen wollte, hat Strauss ausdrücklich gewünscht, und den Berichten aus Baden-Baden zufolge, bei deren Osterfestspielen die Berliner Philharmoniker die Oper aufgeführt haben, hat der Regisseur Philipp Stölzl das zur Anregung genommen, mehr oder weniger gar nicht zu inszenieren und den Text des Werks in unruhiger Projektion zur Hauptattraktion zu machen.

Das Berliner Publikum litt demnach bei der konzertanten Nachlese der Osterproduktion in diesem Jahr keinerlei Mangel. Und bei der zweiten Aufführung am Sonntag war auch Nina Stemme in der Titelrolle wieder einsatzfähig, nachdem sie sich bei der ersten am Mittwoch noch von Ricarda Merbeth vertreten lassen musste. Es war ein Triumph der Professionalität, unglaublich zuverlässig singt Stemme die gnadenlose Partie, mit nie erlahmendem Schönklang, auch wenn die noch gnadenlosere Orchesterbegleitung sie zum Forcieren und einmal auch zum Griff nach dem Inhalator-Spray zwang.

06.04.2024

05.04.2024

gestern

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Kirill Petrenkos Interpretation begann dabei sehr kontrolliert: Das Gespräch der Mägde, oft ein von spontanen Orchesterzuckungen zerrissenes rezitativisches Hin und Her, erklang hier als periodisch klar gegliederte Form, die auch ihre dramaturgische Funktion glänzend erfüllte, zeigen uns die Mägde doch, wie unterschiedlich man diese Elektra in ihrem sonderbaren Verhalten bewerten kann.

Berliner Philharmonie: Benjamin Grosvenor begeistert als Solist in Busonis Klavierkonzert

25.02.2024

Derart geordnete Verhältnisse wecken die Erwartung, man würde diese Horrorschwarte aus einem anderen Winkel kennenlernen. Sorgfältig gestuft erklingt das bitonale Akkord-Siegel des Werks, immer mit festem Blick auf die irritierende Nonen-Dissonanz, die auch das spätere Spiel mit Dur- und Mollterz vorbereitet. Elektras erster Auftritt aber bereits zuckt vor Unregelmäßigkeiten, und was Stemmes Vortrag dann doch hier und da fehlt, verdeutlichen Elza van den Heever als ihre Schwester Chrysothemis und Michaela Schuster als ihre Mutter Klytämnestra: Van den Heever bringt noch ein größeres Legato mit, während Schuster im Gegensatz dazu einen schauspielerischen Reichtum der Artikulation investiert, der ihren Auftritt zum Höhepunkt des Abends macht.

Und dann kippt die Aufführung. War hier vor einem Jahr anlässlich der „Frau ohne Schatten“ ernsthaft angemahnt worden, dass Petrenko einem Lautstärke-Pegel jenseits der Schmerzgrenze zustrebt, so sieht man heuer jedem neuen Höhepunkt mit Bangen entgegen. Man versteht zwar Petrenkos Absicht, dieses Orchester immer wieder neu aus der Reserve und aus der Selbstsicherheit zu locken – und der Klang verliert auch in unmittelbarer Nähe zum schieren Radau nie seine Form, nie seine polyfone Struktur –, aber wohin soll das noch führen? Eine gewisse Hoffnung besteht darin, dass Petrenko mit der Exzess-Literatur so langsam durch ist und dann vielleicht wieder vom Pianissimo ausgegangen wird.

Lang Lang: „Ich würde niemals ein Gewehr nehmen!“

16.03.2024

Eine „Elektra“-Aufführung ist für alle Beteiligten eine Angelegenheit höchster Erregung und Anstrengung. Da aber alle Personen in ihren pathologischen Fixierungen unsympathisch sind und am Ende nur das geschieht, was sich Elektra von Anfang an wünscht, bleibt das Stück jedoch eine kalte Virtuosennummer, die beim Hörer keinen tieferen Eindruck hinterlässt, auch wenn es das Publikum am Ende von den Stühlen riss.

Einzig Elektras Wunscherfüller, der Bruder Orest, der die eigene Mutter töten wird, wird in Johan Reuters Interpretation zu einer tiefen Figur: Bei aller Beherrschung vermittelt Reuter einen klaren Eindruck davon, wie belastet, wie beunruhigt und wie gequält dieser Orest von seinem Schicksal und seinem Auftrag ist – aber auch, dass nur Beherrschung zum Ziel führt.

QOSHE - Lauter, immer lauter: „Elektra“ mit Starbesetzung bei den Berliner Philharmonikern - Peter Uehling
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Lauter, immer lauter: „Elektra“ mit Starbesetzung bei den Berliner Philharmonikern

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08.04.2024

Als Richard Strauss damit liebäugelte, aus der „Elektra“ von Hugo von Hofmannsthal seine nächste Oper zu machen, zögerte er wegen der Ähnlichkeit zur vorausgegangenen „Salome“: wieder eine Oper in der antiken Welt, wieder ein Einakter, wieder eine junge Frau mit eher ausgefallenen Vorstellungen zur weiteren Gestaltung des angebrochenen Abends. Aber das Stück würde den von beiden Seiten begrüßten Arbeitskontakt mit Hofmannsthal herstellen und dem singulären Erfolg der „Salome“ etwas Ähnliches hinterherschicken, konnte finanziell kein Fehler sein.

Künstlerisch war es einer. Wie fein und gedankenvoll, sogar handlungssatt scheint uns heute Oscar Wildes „Salome“ gegen Hofmannsthals von Psychoanalyse inspirierten und plattgemachten „Elektra“-Text, der in der Oper mehr oder weniger zu einer Folge von Monologen wird. Und mag Hofmannsthals Sprachmacht den Komponisten zu einer schier nicht abreißenden Fülle an Klangbildern inspiriert haben, so wirkt die ironiefreie Besessenheit von Blut, Rache und Mord doch mittlerweile eher albern als grausig.

Und vermochte Strauss der „Salome“ noch eine Form zu geben, so überlässt er sich in der „Elektra“ der Bilder- und Klangflut, bis sie zur Stummfilmmusik wird: Wo nebenher von Pferden oder Hunden die Rede ist, wiehert oder bellt es im........

© Berliner Zeitung


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