Man stellt sich das ja manchmal vor, wie die Verstorbenen von da oben zuschauen, was hier unten in ihrer Abwesenheit passiert, wie über sie gesprochen wird, während der Beisetzung etwa, des Gedenkens und Abschiednehmens. Katarina Witt hat das auf der Trauerfeier für Jutta Müller an diesem Mittwoch getan.

„Meine liebe Frau Müller“, begann sie ihre Rede, die mit einem Blick in die Wolken endete und einer Bitte: „Bringen Sie doch den Engeln das Schlittschuhlaufen bei. Wundern Sie sich aber nicht, denn sie sind tatsächlich ein wenig pummelig.“ Lachen war nicht mal in der „Feierhalle Krematorium“ des städtischen Friedhofs Chemnitz verboten.

Katarina Witt und wahrscheinlich alle anderen Trauergäste konnten sich nämlich auch das vorstellen: Wie die frühere Eiskunstlauftrainerin, die für Pelzmäntel und Goldschmuck bekannte, für ihre Strenge und Unnachgiebigkeit berüchtigte Jutta Müller, die Nase rümpft über das Hüftgold der Engel. Wie sie gleich die gesamte Himmelsgesellschaft auf Diät setzt, ihre Löckchen glättet, alle mit harschen Kommandos zurechtweist, Disziplin einfordert, Perfektion verlangt. Denn wie soll sonst ein dreifacher Rittberger oder Toeloop gelingen?

„Sie waren eine harte Nuss“, sagte Katarina Witt. Kaum zu knacken. Aber irgendwo, da war er schon, der weiche Kern.

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Anfang November ist Jutta Müller, die erfolgreichste Eiskunstlauftrainerin der Welt, in einem Berliner Seniorenheim verstorben. An diesem Mittwoch, ihrem 95. Geburtstag, wurde sie in ihrer Heimatstadt Chemnitz öffentlich verabschiedet und beigesetzt. „Time To Say Goodbye“, „My Heart Will Go On“ – Bilder, Momente, das volle Tränendrüsenprogramm. Wenn sie sich im Fernsehen am Ohr zupfte, Sarajevo 1984, Calgary 1988, dann war das ein Gruß in die Heimat, erzählte die Enkelin über ihre Omi, die partout nicht Oma genannt werden wollte.

Bis vor einem Jahr wohnte Jutta Müller noch im siebten Stock eines Plattenbaus, mit Panoramablick auf Chemnitz, die Wohnung eingerichtet wie das Museum ihres Lebens: Medaillen, Akkreditierungskarten, Art-déco-Möbel, ein Tresen mit Schaukelpferdbarhockern, das vierbeinige Nähkästchen, aus dem beim Öffnen eine Spieluhr erklingt. Jutta Müllers Nachlass wird sicherlich einen Platz im Schloßbergmuseum bekommen.

Und was für ein Leben das war! „Sie haben die kleine DDR auf die Landkarte des Weltsports gebracht, ihr damit Bedeutung gegeben und zahlreiche Menschen stolz gemacht“, sagte Katarina Witt, die zweifache Olympiasiegerin, die 20 Jahre lang alles gab für ihre Trainerin, und trotzdem war es nur selten genug. „Ich habe viel verlangt“, sagte Müller ein paar Jahre vor ihrem Tod.

So ein Leben lässt sich nicht wiederholen, so ein Leben wäre überhaupt nicht mehr möglich in dieser Zeit. „Leider nicht mehr zeitgemäß“, sagte Katarina Witt. Dieser Drill, die absolute Fokussierung auf Leistung, aufs Gewinnen – das war ja bereits nach der Wende nicht mehr gefragt. Plötzlich war nicht mehr richtig und vermittelbar, was Jutta Müller so erfolgreich gemacht hatte, was ihr Karriereangebote aus dem Westen eingebracht hatte. Sie lehnte jedes Mal ab.

Sie wollte ihr geliebtes Chemnitz nicht verlassen, die Eissporthalle am Küchwald, ihr kleines Trainerzimmer, in dem die Zeit stillstand und nicht davoneilte. Die Bundesjugendspiele sollen kein Wettkampf mehr sein? Nicht mit Jutta Müller.

„Es hätte ihr gefallen“, sagte jemand am Ende der Trauerfeier. Doch so sicher kann man sich da nicht sein.

In der Kolumne „Ostbesuch“ berichtet Paul Linke alle zwei Wochen aus seinem Zwischenleben in Chemnitz und Umgebung. Sachsen sucks? Von wegen!

QOSHE - Katarina Witt nimmt Abschied von Jutta Müller: „Bringen Sie den Engeln das Schlittschuhlaufen bei“ - Paul Linke
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Katarina Witt nimmt Abschied von Jutta Müller: „Bringen Sie den Engeln das Schlittschuhlaufen bei“

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13.12.2023

Man stellt sich das ja manchmal vor, wie die Verstorbenen von da oben zuschauen, was hier unten in ihrer Abwesenheit passiert, wie über sie gesprochen wird, während der Beisetzung etwa, des Gedenkens und Abschiednehmens. Katarina Witt hat das auf der Trauerfeier für Jutta Müller an diesem Mittwoch getan.

„Meine liebe Frau Müller“, begann sie ihre Rede, die mit einem Blick in die Wolken endete und einer Bitte: „Bringen Sie doch den Engeln das Schlittschuhlaufen bei. Wundern Sie sich aber nicht, denn sie sind tatsächlich ein wenig pummelig.“ Lachen war nicht mal in der „Feierhalle Krematorium“ des städtischen Friedhofs Chemnitz verboten.

Katarina Witt und wahrscheinlich alle anderen Trauergäste konnten sich nämlich auch das vorstellen: Wie die frühere Eiskunstlauftrainerin, die für Pelzmäntel und Goldschmuck bekannte, für ihre Strenge und Unnachgiebigkeit berüchtigte Jutta Müller, die Nase rümpft über das Hüftgold der Engel. Wie sie gleich die........

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