Also gut, wenn es unbedingt sein muss, dann jammere ich mal los. Über diese Welt, die einem echt schlechte Laune macht, oder? Die schnappatmende Nachrichtenwelt vor allem. Ständig Krisen, Katastrophen und eine Kriegsrhetorik mit immer mehr neuen Aufrüstungsvokabeln. Dazu immer lautere Meinungsmarktschreier, die sich so stark fühlen, als könnten sie irgendeine Halbinsel im Alleingang befreien.

Und dann ziehen wieder Tage und Wochen und Monate vorbei, ohne Hoffnung auf Weltverbesserung zu wecken.

Oder einigen wir uns darauf, dass es einem zurzeit schwerfällt, gut gelaunt zu sein, okay? Begnügen wir uns damit, dass die Welt noch nicht gänzlich untergegangen ist. Und dass die Nachrichtenwelt uns manchmal doch mit Meldungen versorgt, die einen Das-tut-zur-Abwechslung-mal-gut-Effekt haben wie diesen: Einer kanadischen Studie zufolge kann das Hören der eigenen Lieblingsmusik das Schmerzempfinden spürbar reduzieren. Hilft hoffentlich auch bei Weltschmerz. Oder wenigstens dabei, nicht die Work-Life-Love-Lunch-Lanz-Balance zu verlieren.

Die Arbeit mit dem Restleben zu vereinbaren ist ohnehin anstrengend. Zumal für zu Jammeranfällen neigende Eltern, die ihre Kinder auf die Reise in eine sich zunehmend verdüsternde Zukunft schicken müssen. Zu den weniger beachteten Erziehungsaufgaben zählt dabei, einen guten Musikgeschmack in den Reiserucksack zu packen. Und zu den unerforschten Gebieten, was einen guten Musikgeschmack eigentlich ausmacht. Kein ernsthafter Experte würde doch einen für alle Menschen verbindlichen Best-of-all-Times-Mix behaupten.

Damit die Kinder sich nicht blamieren auf Klassenfahrten, Partys, ersten Dates oder wo auch immer Gespräche um musikalische Früheinflüsse kreisen, reicht es wohl kaum, dass der Vater mal eine grungige Nirvana-Pearl-Jam-Phase und die Mutter eine Schwäche für The-National-Nives-Smiths-Bands hatte, bevor sie dann ihre Platten zu einer gemeinsamen Sammlung vereinten und natürlich für bedeutend befanden. Grunge? Kann man das essen? The – what? Unsere Töchter nennen sich neuerdings Swifties.

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Sie sind vier und acht Jahre alt und damit noch etwas entfernt von der totalen Elternrebellion, doch beim Thema Musik merke ich schon, was da auf uns zukommen könnte. Papas Playlist nehmen sie jedenfalls nicht mehr klaglos hin. Sind wir mit dem Auto unterwegs, fordern sie von der Rückbank: „Wir wollen Energy hören!“ Aus Familienfriedensgründen gebe ich nach.

Also hören wir Radio Energy Sachsen, einen Sender, der „Hits Music Only“ verspricht und dieses Versprechen erbarmungslos durchzieht. Taylor Swift, Dua Lipa oder Beyoncé on heavy rotation, dazwischen der übliche Elektro-90s-Hit-Remix-Quatsch, und ich zuckte neulich zusammen, als der überdrehte Moderator Purple Disco Machine ankündigte. Doch dann passierte etwas unerwartet Wunderbares. „Mach mal lauter, Papa!“

Hinter Purple Disco Machine, sollte ich später erfahren, verbirgt sich der Dresdener Tino Piontek, einer der erfolgreichsten DJs und Produzenten der Welt, ausgezeichnet mit einem Grammy, mehr als eine Milliarde Streams auf Spotify. Und nun hatte er auch mich. Hatte sich sein 80s-Disco-Synthie-Sound in mein Ohr geschlichen, im Kopf die Synapsen zum Tanzen gebracht, mir ein Lächeln ins Gesicht gemalt, kurzum: Ich hatte plötzlich sehr gute Laune. Auf der Rückbank stieg eine Kindersitzparty.

Drei Dinge lernte ich an diesem Tag: Dass ich meinen Musikgeschmack gelegentlich updaten sollte. Dass Purple Disco Machine bei Weltschmerz hilft. Und dass man Kinder vor der Nachrichtenwelt schützen sollte. Die Gründe, warum Tino Piontek eine Zusammenarbeit mit Taylor Swift ablehnt, haben meine Töchter nicht erfahren. Sonst hätten sie schlechte Laune bekommen.

In der Kolumne „Ostbesuch“ berichtet Paul Linke alle zwei Wochen aus seinem Zwischenleben in Chemnitz und Umgebung. Sachsen sucks? Von wegen!

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Das beste Rezept gegen schlechte Laune: Purple Disco Machine aus Dresden

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16.04.2024

Also gut, wenn es unbedingt sein muss, dann jammere ich mal los. Über diese Welt, die einem echt schlechte Laune macht, oder? Die schnappatmende Nachrichtenwelt vor allem. Ständig Krisen, Katastrophen und eine Kriegsrhetorik mit immer mehr neuen Aufrüstungsvokabeln. Dazu immer lautere Meinungsmarktschreier, die sich so stark fühlen, als könnten sie irgendeine Halbinsel im Alleingang befreien.

Und dann ziehen wieder Tage und Wochen und Monate vorbei, ohne Hoffnung auf Weltverbesserung zu wecken.

Oder einigen wir uns darauf, dass es einem zurzeit schwerfällt, gut gelaunt zu sein, okay? Begnügen wir uns damit, dass die Welt noch nicht gänzlich untergegangen ist. Und dass die Nachrichtenwelt uns manchmal doch mit Meldungen versorgt, die einen Das-tut-zur-Abwechslung-mal-gut-Effekt haben wie diesen: Einer kanadischen Studie zufolge kann das Hören der eigenen Lieblingsmusik das Schmerzempfinden spürbar reduzieren. Hilft hoffentlich auch bei Weltschmerz. Oder wenigstens dabei, nicht die Work-Life-Love-Lunch-Lanz-Balance zu........

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