Im Sommer 1988 wurden meine Mutter und ich des Zigarettenschmuggels beschuldigt. Die DDR-Grenzpolizisten hatten im Kofferraum unseres roten Lada 2107 zwei Stangen Marlboro gefunden. Ich war acht Jahre alt, wir wollten über die Oder, durch den Eisernen Vorhang von Zgorzelec nach Görlitz und dann weiter auf der Flucht nach Westdeutschland, wo mein Vater bereits auf uns wartete. Und auf seine Lieferung.

Was zumindest ich damals nicht wusste: Erlaubt war die Einfuhr von lediglich einer unversteuerten Stange pro Erwachsenenkopf. Also mussten wir ranfahren, aussteigen und zur Strafe die Schmuggelware zerstören, jede Zigarette einzeln, zweihundert Stück, man hatte uns einen Eimer hingestellt. Während der Tabak durch meine Finger rieselte, schwor ich mir, niemals mit dem Rauchen anzufangen.

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Daran musste ich denken, als ich vor ein paar Tagen in Reitzenhain, am Grenzübergang zwischen Sachsen und Tschechien, auf einem Parkplatz stand und rauchend auf die gegenüberliegende Kontrollstation der Bundespolizeiinspektion Chemnitz blickte. Zwei weiße Zelte, davor Wassertanks, Dieselgeneratoren, langsam schob sich die Autoschlange an den Beamten vorbei. Die Grenzen werden wieder sichtbar. Unüberwindbar sind sie aber nicht. Waren sie eh noch nie.

Monatelang hatte Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) stationäre Kontrollen gefordert, um illegale Migranten zurückweisen zu können. Und als die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) dann Mitte Oktober und nach langem Zögern zustimmte, war der Freistaat gar nicht vorbereitet. Dass sie wieder Grenzen schützen sollten, erfuhren einige Inspektionen aus den Medien. An den ersten regnerischen Kontrolltagen standen die Beamten schon mal unter ihren geöffneten Kofferraumklappen und fragten sich, was das alles soll.

Als wären sie beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge angestellt, übernahmen die Polizisten den Papierkram, registrierten aufgegriffene Migranten und leiteten sie an Erstaufnahmen weiter. Mal stoppten sie einen wegen Trunkenheit am Steuer gesuchten Slowaken. Mal einen moldawischen Kleintransporter, der illegal Hundewelpen geladen hatte. „Nur weil in Sachsen Wahlkampf ist, stehen die sich an der Grenze in der Kälte sinnlos die Beine in den Bauch und müssen in Dixiklos pinkeln“, sagte der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei Sven Hüber, ein ehemaliger Politoffizier der DDR-Grenztruppen aus Görlitz. Sorry noch mal wegen damals.

Hübers Kritik richtete sich an den Innenminister, der bei den Landtagswahlen im kommenden Jahr den von der AfD regierten Landkreis Sächsische Schweiz zurückgewinnen möchte. Die Forderung nach stationären Grenzkontrollen sollte seine Bekanntheit steigern. Hatte niemand Schuster erklärt, dass man die AfD nicht mit AfD-Positionen besiegen kann und dass Schleuser mobile Kontrollen mehr fürchten?

Das gilt natürlich auch für Schmuggler. Vor ein paar Monaten in Reitzenhain etwa kontrollierten Bundespolizisten zufällig drei Bulgaren mit niederländischen Zulassungspapieren. Da einer bereits mit unversteuerten Zigaretten erwischt worden war, durchsuchten die Beamten das Fahrzeug und fanden im Kofferraum, auf der Rücksitzbank und in mehreren Hohlräumen versteckte Stangen, insgesamt 49.000 Zigaretten. Die landeten nicht in Eimern, sondern im Hauptzollamt Erfurt. Rauchen hat keine Zukunft.

In der Kolumne „Ostbesuch“ berichtet Paul Linke alle zwei Wochen aus seinem Zwischenleben in Chemnitz und Umgebung. Sachsen sucks? Von wegen!

QOSHE - An der DDR-Grenze: Wie ich als Kind beim Zigarettenschmuggeln erwischt wurde - Paul Linke
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An der DDR-Grenze: Wie ich als Kind beim Zigarettenschmuggeln erwischt wurde

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06.11.2023

Im Sommer 1988 wurden meine Mutter und ich des Zigarettenschmuggels beschuldigt. Die DDR-Grenzpolizisten hatten im Kofferraum unseres roten Lada 2107 zwei Stangen Marlboro gefunden. Ich war acht Jahre alt, wir wollten über die Oder, durch den Eisernen Vorhang von Zgorzelec nach Görlitz und dann weiter auf der Flucht nach Westdeutschland, wo mein Vater bereits auf uns wartete. Und auf seine Lieferung.

Was zumindest ich damals nicht wusste: Erlaubt war die Einfuhr von lediglich einer unversteuerten Stange pro Erwachsenenkopf. Also mussten wir ranfahren, aussteigen und zur Strafe die Schmuggelware zerstören, jede Zigarette einzeln, zweihundert Stück, man hatte uns einen Eimer hingestellt. Während der Tabak durch meine Finger rieselte, schwor ich mir, niemals mit dem Rauchen anzufangen.

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