Es war vor ein paar Tagen, als mich meine Freundin fragte: „Glaubst du, wir werden in unserem Leben einen Krieg erleben?“ Ich stand gerade am Herd und kochte Pasta, auf dem Laptop liefen die „heute“-Nachrichten. Die Woche war geprägt von besorgniserregenden Meldungen.

Am Montag zuvor hatte der französische Präsident Macron bei einer Rede in Paris gesagt, man dürfe nichts mehr ausschließen, um Russlands Sieg zu verhindern, auch nicht die Entsendung von Nato-Truppen in die Ukraine. Der russische Präsident hatte drei Tage später darauf reagiert und gesagt, solche Äußerungen, schüfen eine „reale Gefahr eines Konflikts mit dem Einsatz von Atomwaffen“. Die westlichen Länder, sagte Wladimir Putin, „sollten endlich begreifen, dass auch wir über Waffen verfügen, die Ziele auf ihrem Territorium treffen können“.

Es war eine angsteinflößende verbale Aufrüstung. Es fühlte sich an, als müsse nur einer der Mächtigen etwas Unbesonnenes tun und alles würde eskalieren.

In den Nachrichten ging es jetzt um die Tonaufnahmen hochrangiger Bundeswehrsoldaten, in denen sie darüber fachsimpelten, welche Ziele deutsche Marschflugkörper in Russland treffen könnten. Gesundheitsminister Lauterbach wolle nun, das war die nächste Meldung, Krankenhäuser auf den Krieg vorbereiten. Ich sagte zu meiner Freundin: „Auf jeden Fall.“

In den letzten Monaten habe ich oft über diese Fragen nachgedacht: Werde ich einen Krieg miterleben? Was werde ich tun? Werde ich mein Land verteidigen oder fliehen? Ich spreche selten mit jemandem über diese Fragen, obwohl ich glaube, dass viele sie beschäftigen. In meinem Freundeskreis wird über solche Dinge überhaupt nicht gesprochen.

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gestern

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Kurz nach Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 war das anders. Damals schien ganz Europa erfasst von großer Kriegsangst. Ich erinnere mich an besorgte Gespräche mit Freunden, an die Tränen meiner Verwandten.

Die Spannung hielt lang. Jetzt aber, im zweiten Kriegsjahr, scheint sie hier in Berlin völlig verflogen. Bei Abendessen, in Bars, auf dem Weg ins Kino oder Theater sprechen wir über den Alltag. Unsere Jobs, Projekte, Hobbys, die wir gern beginnen würden, aber es doch nicht tun. Über das Weltgeschehen sprechen wir nicht. Ist das Desinteresse? Oder Sprachlosigkeit angesichts des Unvorstellbaren?

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Russland-Reise mit Hindernissen: Was ich bei einem Ausflug nach Kaliningrad erlebte

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Auf einem Flohmarkt ist mir vor einer Weile eine zerfledderte Version von Anna Seghers’ Roman „Transit“ in die Hände gefallen. Ich kannte Christian Petzolds Film-Interpretation, das Buch noch nicht. Anna Seghers beschreibt darin die chaotische Flucht vor den Deutschen während des Zweiten Weltkriegs, das Ausharren der Flüchtlinge im Hafen von Marseille, das Hoffen auf ein Visum, auf die Flucht in die freie Welt.

Seitdem denke ich oft an all diejenigen, die es damals schafften, Nazideutschland noch rechtzeitig zu entkommen, den Krieg und die Verfolgung zu überleben. An Heinrich Mann, Stefan Zweig, Hannah Arendt. Ich ertappe mich bei romantischen Gedanken über die Flucht und das Exil als ein großes Abenteuer. Dann wiederum denke ich daran, wie irrsinnig das doch ist, überhaupt darüber nachzudenken. Dass nichts an einer Flucht romantisch ist.

Würde der Krieg nach Deutschland kommen, würden die Deutschen kämpfen? Nur 38 Prozent wären dazu, laut einer aktuellen Umfrage, bereit. Vielleicht ist das einer der Gründe, warum so wenig darüber gesprochen wird. Noch befinden wir uns offenbar in der Phase des Nicht-wahrhaben-Wollens. „Was würden wir tun, wenn es tatsächlich dazu käme?“, fragt mich meine Freundin in der Küche. Ich bin mir sicher: Wir würden fliehen.

Bericht: Wie man Friedensverhandlungen zwischen Ukraine und Russland ermöglichen könnte

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QOSHE - Macron, Putin, Lauterbach und die Frage: Was, wenn der Krieg zu uns kommt? - Niklas Liebetrau
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Macron, Putin, Lauterbach und die Frage: Was, wenn der Krieg zu uns kommt?

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07.03.2024

Es war vor ein paar Tagen, als mich meine Freundin fragte: „Glaubst du, wir werden in unserem Leben einen Krieg erleben?“ Ich stand gerade am Herd und kochte Pasta, auf dem Laptop liefen die „heute“-Nachrichten. Die Woche war geprägt von besorgniserregenden Meldungen.

Am Montag zuvor hatte der französische Präsident Macron bei einer Rede in Paris gesagt, man dürfe nichts mehr ausschließen, um Russlands Sieg zu verhindern, auch nicht die Entsendung von Nato-Truppen in die Ukraine. Der russische Präsident hatte drei Tage später darauf reagiert und gesagt, solche Äußerungen, schüfen eine „reale Gefahr eines Konflikts mit dem Einsatz von Atomwaffen“. Die westlichen Länder, sagte Wladimir Putin, „sollten endlich begreifen, dass auch wir über Waffen verfügen, die Ziele auf ihrem Territorium treffen können“.

Es war eine angsteinflößende verbale Aufrüstung. Es fühlte sich an, als müsse nur einer der Mächtigen etwas Unbesonnenes tun und........

© Berliner Zeitung


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