Hinter dem Zaun stehen Tausende von Bierkästen: Weiße, meterhohe Blöcke von Berliner-Kindl-Kisten, daneben etliche rote von Schultheiss, dazu noch Hasseröder und Jever. Wie viel Geld das wohl wäre, wenn man all die leeren Flaschen in den Pfandautomaten werfen würde? Wohl auch deswegen schützt ein etwa drei Meter hoher Zaun mit Nato-Stacheldraht das Areal.

Von weitem sind drei Flaggen zu sehen: eine grüne, eine rote und eine weiße. Willkommen in der Berliner-Kindl-Schultheiss-Brauerei, dem Bierparadies mitten in Hohenschönhausen. Die Heimstätte der drei großen Berliner Biermarken liegt mittig an der Indira-Gandhi-Straße, die vor mehr als 100 Jahren die Dörfer Weißensee und Lichtenberg verband.

Das imposante Sudhaus, das schon 1895 in Betrieb genommen wurde, überragt die Bierkastentürme und einige Dutzend Lastkraftwagen, die auf dem Gelände stehen. Vor seiner Fahrt quer durch die Hauptstadt wird gerade ein E-Lkw vollgeladen – es sei einer der wenigen elektronisch betriebenen Lastkraftwagen, die in der Region Bier ausliefern, heißt es von Seiten der Radeberger-Gruppe.

Garlich von Essen, so etwas wie der Einstein der Berliner Biere, begrüßt uns, als wir an einem grauen Februartag das Brauereigelände in Hohenschönhausen besuchen. Man merkt direkt: Von Essen fühlt sich wohl in seinem Terrain. Er ist Betriebsleiter der Brauerei, seine Leidenschaft ist seit mehreren Jahrzehnten das Bierbrauen, es bereitet ihm das größte Vergnügen, über das beliebteste alkoholische Getränk Deutschlands zu reden.

09.03.2024

•gestern

•gestern

•vor 4 Std.

08.03.2024

Während er über das große Areal zwischen dem Sportforum Hohenschönhausen und dem BVG-Betriebsbahnhof führt, spricht er mit Elan und Detailliebe über die Bierherstellung: wie das Malz zunächst zerkleinert wird, wie die natürlichen Enzyme in den Malzkörnern auf die gelösten Stoffe einwirken, wie sich die Würze nach dem Kochvorgang herunterkühlt und später die Hefe dazukommt. Er erklärt, was es mit den kilometerlangen Rohren in den Kellern und Hallen der Bierbrauerei auf sich hat und was der Unterschied zwischen untergärig und obergärig ist.

Die historischen und aktuellen Anekdoten sind an jenem Freitagnachmittag allerdings eigentlich nur neu eingestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Berliner-Kindl-Schultheiss-Brauerei vorbehalten, die von Essen traditionell über das große Areal führt. Denn Führungen für interessierte Gäste, die früher noch regulär buchbar waren, gibt es seit der Corona-Pandemie nicht mehr. Der finanzielle Aufwand habe sich nicht mehr gelohnt, heißt es.

Schade, denn der Betriebsleiter der Brauerei hat durchaus Spannendes zu erzählen. Ein Beispiel: Wussten Sie, dass das Bierbrauen früher „reine Frauensache“ war? „Meist wurde an einem Tag der Woche Brot gebacken und einer der nicht ganz fertig gebackenen Laibe als Startkultur für das Bierbrauen eingesetzt“, sagt von Essen. Mit Wasser vermengt, begann im Anschluss der Gärprozess durch die im Raum befindlichen Hefe- und Mikroorganismen. „Darauf geht wohl auch Rumpelstilzchens Ausspruch ‚Heute back ich, morgen brau ich, übermorgen hol ich der Königin ihr Kind‘ zurück.“

Erst im Mittelalter nahmen sich die klösterlichen Mönche, die noch heute in einigen Bier-Werbungen vorkommen, der Braukunst an. „Die Mönche beobachteten die Abläufe, hinterfragten einzelne Prozessschritte und verbesserten diese mit der Zeit“, bilanziert der Betriebsleiter. Seit mehreren Hundert Jahren allerdings ist das Grundprinzip des Bierbrauens nun größtenteils unverändert. Darauf ist man in Deutschland bekannterweise sehr stolz.

Das hierzulande bekannte Reinheitsgebot ist im „Vorläufigen Biergesetz“ sogar rechtlich verankert. Demnach ist festgelegt, dass zum Brauen von Bier nach dem Reinheitsgebot grundsätzlich nur Wasser, Malz, Hopfen und Hefe verwendet werden dürfen. Das Dekret von 1516 ist bis heute für viele Bierliebhaber ein Schlüsselmoment, der das alkoholische Getränk aus Deutschland so besonders macht.

„Jede unserer Marken wird mit einer spezifischen Malzmischung, speziellen Hopfensorten sowie mit einer sortenspezifischen Hefe aus eigener Reinzucht im Labor nach individuellen Rezepturen gebraut, in denen Zeiten und Temperaturen sich unterscheiden“, sagt von Essen.

Bedeutet: Das klassische Jubiläums-Pilsener von Berliner Kindl ist beispielsweise in der Optik lichthell und goldglänzend sowie im Geschmack gereift, mit extra feinem Hopfenaroma. Das Berliner Pilsner hat hingegen ein eher goldgelb glänzendes Aussehen, mit feinherb-spritzigen Hopfenaromen. Auch im Abgang ist das Pilsner eher trockener als das Jubiläums-Kindl. Frisch, würzig und angenehm leicht gehopft schmeckt wiederum das Schultheiss-Pilsner.

Besonders das Labor weckt das Interesse der neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. In der Tat erinnert die Abteilung eher an ein Chemie-Institut und nicht unbedingt an eine Großbrauerei. Hier ein paar Reagenzgläser, dort ein Haufen Notizzettel. In der Halle nebenan, nur wenige Schritte vom Labor entfernt, läuft derweil der Betrieb im vollen Gange; es wird gebraut, abgefüllt, plakatiert, sortiert.

Mehr Bier! Die Geschichte der Berliner Brauereien und was aus ihnen geworden ist

14.02.2024

Die Sektkellerei Rotkäppchen: Eine ostdeutsche Erfolgsgeschichte

30.09.2023

Die drei Biermarken, die seit 2004 Teil der Radeberger-Gruppe im Oetker-Konzern sind, sollen ganz unterschiedliche Zielgruppen ansprechen – auch wenn das Klischee, im Westen der Stadt würde eher zum Jubiläumsbier und im Osten zum Berliner gegriffen werden, so nicht unbedingt mehr stimmt.

Das Berliner Kindl stehe eher für den entspannten Genuss und mit dem Brandenburger Tor auf dem Flaschenhals für ein weltoffenes und lebendiges Lebensgefühl, so Garlich von Essen. Das Berliner Pilsner wiederum sollte in den vergangenen Jahren als urbane Marke etabliert werden, die für Lebensfreude und ausschweifende Nächte steht – tatsächlich machte die Werbung „Berlin, du bist so wunderbar“ das Bier auch überregional bekannt.

Schultheiss ist indes die Kiezmarke schlechthin und steht für das urig-ältere Berlin, die Berliner-Kindl-Weisse soll hingegen als Aperetivo oder wahlweise als Sommerbier der Stadt funktionieren. Alle Biermarken verbindet trotzdem eines: Tradition und die Liebe zum Lokalen.

Doch auch über das Marketing hinaus verändern sich die Biermarken und die Wahrnehmung dieser. Trends rund um den Alkoholverzicht, wie etwa im „Dry January“, gewinnen an Relevanz. Das bestätigt auch Tobias Teubner, Marketingleiter der Berliner-Kindl-Schultheiss-Brauerei: „Grundsätzlich sind Zielgruppen heute stärker zersplittert – und damit auch ihre geschmacklichen Vorlieben.“

Doch die Brauereien reagieren: In den vergangenen Jahren sind nicht nur alkoholfreie Biere, sondern auch naturtrübe Radler in der Konsumentengunst stark gestiegen. „Erstere gelten nicht mehr nur als Notlösung für Autofahrer, sondern als geschmackvolle Alternative zu Schorlen, Säften und Limonaden“, so Teubner. Die Brauerei in Hohenschönhausen will also in den kommenden Jahren auch in dieser Sparte investieren.

Ohnehin haben verbesserte Produktionsmethoden dafür gesorgt, dass sich alkoholfreie Biere geschmacklich immer weniger von ihren alkoholhaltigen Pendants unterscheiden. So ist inzwischen etwa jedes zwölfte in Deutschland produzierte Bier ein alkoholfreies; der Deutsche Brauer-Bund erwartet mittelfristig eine Steigerung von rund zehn Prozent.

Bier und Broiler, aber posh wie Charlottenburg: Berlin hat einen neuen Gastropub

22.10.2023

Ist alkoholfreies Bier gesünder als normales Bier? Berliner Ärztin klärt auf

05.07.2023

So oder so, ob alkoholhaltig oder alkoholfrei: „Mit einer Jahresproduktionskapazität von deutlich über 1,5 Millionen Hektolitern sind wir heute die bedeutendste Brauerei unserer Heimatregion“, sagt Teubner. Auch wenn Marken aus Bayern oder anderen Teilen Süd- und Westdeutschlands verstärkt in unserer Stadt getrunken werden – die Berliner Biere bleiben hier die unangefochtenen Marktführer.

Das sieht, wer die Getränkeabteilung einer Kaufhalle oder den Späti des Vertrauens betritt: Kistenweise stehen dort die drei großen Lokalbiere. Fast wie auf dem Brauereihof in Hohenschönhausen.

QOSHE - Berliner Bierparadies: Wo Kindl, Pilsner und Schultheiss in Strömen fließen - Nicolas Butylin
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Berliner Bierparadies: Wo Kindl, Pilsner und Schultheiss in Strömen fließen

13 25
11.03.2024

Hinter dem Zaun stehen Tausende von Bierkästen: Weiße, meterhohe Blöcke von Berliner-Kindl-Kisten, daneben etliche rote von Schultheiss, dazu noch Hasseröder und Jever. Wie viel Geld das wohl wäre, wenn man all die leeren Flaschen in den Pfandautomaten werfen würde? Wohl auch deswegen schützt ein etwa drei Meter hoher Zaun mit Nato-Stacheldraht das Areal.

Von weitem sind drei Flaggen zu sehen: eine grüne, eine rote und eine weiße. Willkommen in der Berliner-Kindl-Schultheiss-Brauerei, dem Bierparadies mitten in Hohenschönhausen. Die Heimstätte der drei großen Berliner Biermarken liegt mittig an der Indira-Gandhi-Straße, die vor mehr als 100 Jahren die Dörfer Weißensee und Lichtenberg verband.

Das imposante Sudhaus, das schon 1895 in Betrieb genommen wurde, überragt die Bierkastentürme und einige Dutzend Lastkraftwagen, die auf dem Gelände stehen. Vor seiner Fahrt quer durch die Hauptstadt wird gerade ein E-Lkw vollgeladen – es sei einer der wenigen elektronisch betriebenen Lastkraftwagen, die in der Region Bier ausliefern, heißt es von Seiten der Radeberger-Gruppe.

Garlich von Essen, so etwas wie der Einstein der Berliner Biere, begrüßt uns, als wir an einem grauen Februartag das Brauereigelände in Hohenschönhausen besuchen. Man merkt direkt: Von Essen fühlt sich wohl in seinem Terrain. Er ist Betriebsleiter der Brauerei, seine Leidenschaft ist seit mehreren Jahrzehnten das Bierbrauen, es bereitet ihm das größte Vergnügen, über das beliebteste alkoholische Getränk Deutschlands zu reden.

09.03.2024

•gestern

•gestern

•vor 4 Std.

08.03.2024

Während er über das große Areal zwischen dem Sportforum Hohenschönhausen und dem BVG-Betriebsbahnhof führt, spricht er mit Elan und Detailliebe über die Bierherstellung: wie das Malz zunächst zerkleinert wird, wie die natürlichen Enzyme in den Malzkörnern auf die gelösten Stoffe einwirken, wie sich die Würze nach dem Kochvorgang herunterkühlt und später die Hefe dazukommt. Er erklärt, was es mit den kilometerlangen Rohren in........

© Berliner Zeitung


Get it on Google Play