Der für die Wirtschaft wichtige Bankensektor will sich in Europa und Deutschland stärker auf die Finanzierung von Waffen fokussieren. Der diesjährige Bankentag in Berlin hatte zu diesem Zweck Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundesaußenministerin Annalena Baerbock zu Impulsreferaten eingeladen. „Kuscheln mit dem Kanzler“, titelt der renommierte Platow-Brief. Die Banken sähen sich „als strategischer Sektor bei der Verteidigung der finanziellen Souveränität Europas“.

Der Chef der Deutschen Bank, Christian Sewing, sagte laut Platow, „an den Banken werde die Finanzierung der Verteidigungsindustrie nicht scheitern“. FinanzBusiness schreibt, Sewing wolle den „russischen Imperialismus“ stoppen, womit die Frage beantwortet sei, ob „Banken kriegstüchtig werden müssen“. Sehr gut kam daher die Außenministerin an. Platow schreibt: „Erstaunlich beeindruckt zeigten sich die von uns befragten Banker von der Rede der Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, die eloquent den Bogen von der großen Weltpolitik zu den Finanzmärkten und der Kapitalmarktunion spannte.“ Baerbock hatte gesagt, dass „die EU bei der Finanzierung elementarer Zukunftsinvestitionen einfach ihr Potenzial nicht ausschöpfen“ könne. Vermeintlich „rein finanzmarktpolitische Fragen“ berührten „ganz offensichtlich elementare geostrategische Fragen“. Mit einer echten Kapitalmarktunion könne die EU bei den „Zukunftsthemen“, zu denen seit neuestem der „Aufwuchs unserer Verteidigungsfähigkeit“ zählt, „die Nase vorne haben und vernünftig mitlaufen“. Nur so könne Europa „geopolitisch und geostrategisch handlungsfähig sein“.

In dieselbe Kerbe schlug jüngst der frühere EZB-Präsident: Mario Draghi glaubt, dass sich die EU-Staaten in Rüstungsfragen zusammenschließen müssen, um im sich abzeichnenden Wettstreit zwischen den USA und China zu bestehen. Eine der Ideen, die in diesem Zusammenhang ventiliert wird, ist ein stärkeres Engagement der Europäischen Investitionsbank (EIB). Die EIB ist, gemessen an ihren Vermögenswerten, der weltweit größte multilaterale Kreditgeber. Viele EU-Staaten sehen in der EIB eine Institution zur „Steigerung der europäischen Verteidigungsausgaben“, weil „Russlands Krieg in der Ukraine bereits im dritten Jahr wütet und die Mitgliedstaaten Möglichkeiten zur Steigerung ihrer Verteidigungskapazitäten prüfen“, so Euractiv.

Der Europäische Rat forderte die EIB kürzlich auf, „ihre Politik zur Kreditvergabe an die Verteidigungsindustrie und ihre aktuelle Definition von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck anzupassen und gleichzeitig ihre Finanzierungskapazität zu wahren.“ Das EU-Parlament wiederum forderte die Bank auf, ihre Kriterien für die erlaubten Investitionen zu überarbeiten, „damit Munition und militärische Ausrüstung, die über die Verwendung mit doppeltem Verwendungszweck hinausgehen, nicht länger von der EIB-Finanzierung ausgeschlossen sind“.

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Folker Hellmeyer, Chefvolkswirt der Netfonds AG, hält die Stärkung des europäischen Rüstungssektors zwar für sinnvoll. Er sagte der Berliner Zeitung: „Die Stärkung der europäischen Rüstung ist ein Nachholprozess, um die Souveränität Europas zu sichern.“ Dieser Prozess sei nötig, damit Europa seine eigenen Interessen vertreten könne und sich nicht dauerhaft im Schlepptau der USA bewegen müsse. Allerdings sei der Rüstungssektor lediglich konsumtiv und nicht investiv, weil die Herstellung von Waffen keine nachfolgenden zusätzlichen Steuereinnahmen generiere.

Die Finanzierung der Rüstungsindustrie über die EIB wird von vielen EU-Staaten und Experten kritisch gesehen. Euractiv schreibt, dass der mögliche Einstieg der EIB in „verteidigungsbezogene Ausgaben“ dazu führen könne, dass „die Bank ihre hohen ESG- und AAA-Kreditratings verlieren könnte“. Achim Dübel, unabhängiger Ökonom und Wohnbauexperte von Finpolconsult, sagte der Berliner Zeitung: „Der Einsatz der EIB für die Finanzierung von Rüstungsprojekten ist nicht vom Mandat der EIB gedeckt.“ Die Bank sei als Entwicklungsbank konzipiert, um „vor allem den ärmeren Ländern im Süden Europas zu helfen, für soziale Infrastrukturprojekte günstige Kreditkonditionen zu erhalten“. Angesichts der hohen Verschuldung vieler Staaten sei der Versuch, die Rüstungsausgaben auszulagern, zwar verständlich. Die „Zweckentfremdung der EIB“ würde jedoch „zur Zerstörung der Sozialstruktur in der EU führen“, so Dübel.

QOSHE - Banken wollen kriegstüchtig werden: „Kuscheln mit dem Kanzler“ - Michel Maier
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Banken wollen kriegstüchtig werden: „Kuscheln mit dem Kanzler“

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27.04.2024

Der für die Wirtschaft wichtige Bankensektor will sich in Europa und Deutschland stärker auf die Finanzierung von Waffen fokussieren. Der diesjährige Bankentag in Berlin hatte zu diesem Zweck Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundesaußenministerin Annalena Baerbock zu Impulsreferaten eingeladen. „Kuscheln mit dem Kanzler“, titelt der renommierte Platow-Brief. Die Banken sähen sich „als strategischer Sektor bei der Verteidigung der finanziellen Souveränität Europas“.

Der Chef der Deutschen Bank, Christian Sewing, sagte laut Platow, „an den Banken werde die Finanzierung der Verteidigungsindustrie nicht scheitern“. FinanzBusiness schreibt, Sewing wolle den „russischen Imperialismus“ stoppen, womit die Frage beantwortet sei, ob „Banken kriegstüchtig werden müssen“. Sehr gut kam daher die Außenministerin an. Platow schreibt: „Erstaunlich beeindruckt zeigten sich die von uns befragten Banker von der Rede der Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, die eloquent den Bogen von der großen Weltpolitik zu den Finanzmärkten und der Kapitalmarktunion spannte.“ Baerbock hatte gesagt, dass „die EU bei........

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