Die Branche reagierte zunächst reserviert, doch die Kinder waren begeistert. „Ich habe versucht, Playmobil attraktiv zu präsentieren, aber bis auf einen Holländer haben sich die Einkäufer nicht dafür interessiert, die sind vorne rein und hinten gleich wieder raus“, erinnerte sich Horst Brandstätter in einem Interview an die Präsentation auf der Nürnberger Spielwarenmesse.

Doch das war der Beginn einer einmaligen Erfolgsgeschichte. Als der Inhaber des Playmobilherstellers Geobra, Horst Brandstätter, im Jahr 2015 im Alter von 81 Jahren starb, hinterließ er seinen Kindern rund 1,2 Milliarden Euro.

Erst am letzten Messetag fand der Chef der Vedes, einer Vereinigung der Spielwarengeschäfte, Gefallen an den Playmobil-Figuren und wollte sie exklusiv ordern. Mit dieser Information rief Brandstätter Einkäufer der großen Warenhäuser an. Er wusste, dass sie keinen Trend verpassen durften. „So habe ich Playmobil doch noch in die Regale gebracht“, erinnerte sich der frühere Playmobil-Boss.

Zu Beginn der 1970er-Jahre war der Kunststoffartikelhersteller fast pleite. Wegen der Ölkrise hatte sich der Rohstoffpreis beinahe verzehnfacht, die Produktion von Deckenverkleidungen und Kindermöbeln war unrentabel geworden. Auf der Suche nach Alternativen beauftragte Brandstätter seinen Entwicklungsleiter Hans Beck, ein Serienspielzeug zu entwickeln, da Kleinteile naturgemäß wesentlich weniger Material benötigten. Brandstätter dachte an eine Fahrzeugserie im Miniformat, aber Beck hatte eine völlig andere Idee: Eine 7,5 Zentimeter große Kunststoff-Figur mit beweglichen Armen, Beinen und Köpfen. Ein Bauarbeiter mit Schubkarre wurde zum Prototypen, dazu kamen noch ein Ritter und ein Indianer.

Becks Grundsätze lauteten: „Kein Horror, keine vordergründige Gewalt und keine kurzlebigen Trends.“ Zubehör und Ausstattung entwarf er gleich mit. Schon bald folgten 20 weitere Themen, darunter ein Bauernhof, ein Piratenschiff sowie Polizei- und Feuerwehrstationen. 1976 stießen die ersten weiblichen Figuren zur Playmobil-Welt. Alle Figuren setzen sich aus sieben Teilen zusammen, sind „einfach gestrickt“ und gerade deshalb unverkennbar.

•gestern

30.01.2024

31.01.2024

31.01.2024

31.01.2024

Ihr eingeschränktes Bewegungsvermögen wurde durch eine Vielzahl von Kombinationsmöglichkeiten wettgemacht – wie die abnehmbaren, gezackten Frisuren. An die Hände konnten Werkzeuge oder Waffen angesteckt werden. Nach nur wenigen Jahren war Brandstätter der umsatzstärkste Spielzeughersteller Deutschlands. „Playmobil soll nicht entsorgt werden, es wird vererbt“, stellte er vollmundig fest.

1975 wollte das Unternehmen BIG mit dem Konkurrenzprodukt Playbig auf den Erfolgszug aufspringen. Zwar gewann es einen jahrelangen Rechtsstreit, aber am Markt konnte sich Playmobil durchsetzen. Playbig wurde 1979 eingestellt, BIG produziert seither erfolgreich das bekannte Bobby-Car. Nach Ansicht von Brandstätter hatte auch Lego die Idee mit den Playmobil-Figuren adaptiert und ins Sortiment aufgenommen.

Inzwischen wird das Spielzeug meist in Großpackungen und nicht mehr einzeln verkauft. Jährlich kommen immer neue Welten hinzu, ältere verschwinden aus dem Programm. Seit 2016 stellt Playmobil auch lizenzierte Sammlerfiguren her, etwa zu den „Teenage Mutant Ninja Turtles“ oder zur Trickfilmserie „Heidi“. 2021 kamen weitere Lizenzen zu „Volkswagen“, „James Bond“, „Das A-Team“ und „Star Trek“ hinzu.

Die Variantenvielfalt im Playmobil-Kosmos kennt kaum Grenzen: Zauberwelten, Wikinger, Dinosaurier, Altes Ägypten, Racing Karts, Snowboarder und Indie-Kids bevölkern mittlerweile die Kinderzimmer. Rund drei Milliarden Plastikmännchen in 6600 verschiedenen Ausführungen sind erschienen, aneinandergereiht würden sie 3,5-mal die Erde umspannen. Den Vorwurf, die klassischen Playmobil-Figuren seien zu langweilig und „brav“, kontert der Hersteller mit dem Argument eines jahrzehntelangen Erfolgs: „Die Kinder sagen uns schon, was sie wollen.“ Daher verfügten neuere Figuren über lebendigere Gesichtsausdrücke, beweglichere Hände und modischere Frisuren.

Das nutzen auch Tüftler in der individuellen Gestaltung von Playmobil-Figuren. Beim sogenannten Customizing basteln Sammler sie für Modelle oder Trickfilme um. Der Hersteller toleriert diese Neuinterpretationen, solange die Veränderungen keine kriegerischen, extremistischen, diskriminierenden oder politischen Motive zeigen. Die einzige Politikerfigur, die jemals angefertigt wurde, ist ein Angela-Merkel-Unikat, das Horst Seehofer bei einem Werksbesuch von den Produktdesignern geschenkt bekommen hatte.

Im Jahr 2000 hat ein Playmobil-Themenpark nahe der Firmenzentrale im bayerischen Zirndorf seine Tore geöffnet. Auf 90.000 Quadratmetern in acht Spielwelten – darunter ein Piratenschiff, eine Ritterburg, eine Goldmine und das Königreich der Meerjungfrauen – sollen Kinder zum Aktivsein ermuntert werden. Weitere Indoor-Funparks von Playmobil gibt es in Paris, Athen, Florida und auf Malta.

Mit etwa 4100 Mitarbeitern zählt die fränkische Firma inzwischen zu den größten deutschen Spielwarenherstellern. Allerdings mussten aufgrund von Umsatz- und Gewinneinbußen im Oktober 2023 rund 700 Stellen gestrichen werden. Zur Horst Brandstätter Group gehören neben der Produktionsstätte in Dietenhofen auch Auslandsfertigungen in Malta, Tschechien und Spanien.

Nach Brandstätters Tod ging das Unternehmen in eine Doppelstiftung über – eine gemeinnützige und eine Unternehmensstiftung, in der die wichtigsten Mitarbeiter vertreten waren. Doch intern entstand ein Machtvakuum, keiner von drei neuen Vorständen durfte allein Entscheidungen fällen. Seither scheinen interne Querelen an der Tagesordnung. Der gemeinnützigen Stiftung steht die langjährige Chefsekretärin Marianne Albert vor, sie leitet auch den Beirat. Laut Recherchen des Manager Magazins kann dieser „den Vorstand nicht nur abberufen, sondern auch Entscheidungen jederzeit an seine Zustimmung binden“, wovon Albert regen Gebrauch mache.

In letzter Zeit häufen sich zudem Klagen von Beschäftigten über eine von mangelnder Wertschätzung geprägte Unternehmenskultur, angeblich herrschen rüde Umgangsformen und Misstrauen. Der Umsatz im Geschäftsjahr 2021/22 sank im Vergleich zum Vorjahr um sechs Prozent. Mit der Linie Playmobil konnte die Brandstätter-Gruppe lediglich einen weltweiten Umsatz in Höhe von rund 614 Millionen Euro erzielen, während in der Corona-Krise Konkurrenten aus der Spielwarenbranche ihr Ergebnis im Schnitt um 8,5 Prozent steigerten.

QOSHE - 50 Jahre Playmobil: „Die Kinder sagen uns schon, was sie wollen“ - Michael Ossenkopp
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

50 Jahre Playmobil: „Die Kinder sagen uns schon, was sie wollen“

8 1
02.02.2024

Die Branche reagierte zunächst reserviert, doch die Kinder waren begeistert. „Ich habe versucht, Playmobil attraktiv zu präsentieren, aber bis auf einen Holländer haben sich die Einkäufer nicht dafür interessiert, die sind vorne rein und hinten gleich wieder raus“, erinnerte sich Horst Brandstätter in einem Interview an die Präsentation auf der Nürnberger Spielwarenmesse.

Doch das war der Beginn einer einmaligen Erfolgsgeschichte. Als der Inhaber des Playmobilherstellers Geobra, Horst Brandstätter, im Jahr 2015 im Alter von 81 Jahren starb, hinterließ er seinen Kindern rund 1,2 Milliarden Euro.

Erst am letzten Messetag fand der Chef der Vedes, einer Vereinigung der Spielwarengeschäfte, Gefallen an den Playmobil-Figuren und wollte sie exklusiv ordern. Mit dieser Information rief Brandstätter Einkäufer der großen Warenhäuser an. Er wusste, dass sie keinen Trend verpassen durften. „So habe ich Playmobil doch noch in die Regale gebracht“, erinnerte sich der frühere Playmobil-Boss.

Zu Beginn der 1970er-Jahre war der Kunststoffartikelhersteller fast pleite. Wegen der Ölkrise hatte sich der Rohstoffpreis beinahe verzehnfacht, die Produktion von Deckenverkleidungen und Kindermöbeln war unrentabel geworden. Auf der Suche nach Alternativen beauftragte Brandstätter seinen Entwicklungsleiter Hans Beck, ein Serienspielzeug zu entwickeln, da Kleinteile naturgemäß wesentlich weniger Material benötigten. Brandstätter dachte an eine Fahrzeugserie im Miniformat, aber Beck hatte eine völlig andere Idee: Eine 7,5 Zentimeter große Kunststoff-Figur mit beweglichen Armen, Beinen und Köpfen. Ein Bauarbeiter mit........

© Berliner Zeitung


Get it on Google Play