OSTBERLIN

Ein bisschen Spaß muss sein, selbst im Spaßwahlkampf. Was läge also an einem schönen Sommertag näher, als mit einer gemieteten, aus drei alten Trabbis zusammengeschweißten schwarzen Luxuslimousine mit großen PARTEI-Aufklebern durch Berlin zu fahren und aus dem Schiebedach herausragend mit einem Megafon Menschen auf ihre Wahlpflicht hinzuweisen?

„Eeeeeeh, Sie da, ja, Sie! PARTEI wählen! Is jetzt Pflicht!“ Anna Glockenhell, meine Berliner Assistentin, und ich wechseln uns mit der Ansprache ab. Zuerst lassen wir uns durch den Prenzlauer Berg kutschieren. Wo wir anhalten, umringen uns Leute, wir verteilen Aufkleber, Wahlversprechen und Lebensweisheiten: „Kinder sind die Zukunft unseres Landes“, „Tempo 30. Aber nicht hier.“, „Wenn Sie uns wählen, lassen wir die 100 reichsten Deutschen umnieten! (Spaß)“.

Dann fahren wir nach Lichtenberg, da macht heute Franziska Giffey SPD-Wahlkampf, die Trulla aus Frankfurt/Oder, die die Berliner nach ihren Jahren als Bürgermeisterin noch weniger leiden können als vorher. Wir finden sie in der Nähe des S-Bahnhofs, sie läuft mit einem Social-Media-Team auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig und verteilt rote Rosen an wehrlose Wähler. „Sie wollte mit uns sprechen, wir aber nicht mit ihr“, erzählt ein studentisches Pärchen. „Ja, warnt denn niemand die Bürger?“, fragt Anna Glockenhell erschrocken. „Dann übernehmen wir das.“ Sie greift sich das Megafon: „Achtung, Achtung, schließen Sie Fenster und Türen, Franziska Giffey ist in dieser Straße!“

Ein paar Passanten schauen erschrocken zu uns herüber, die SPD-Abordnung ebenso, dann huscht sie hinter einen parkenden Kleinbus. Man möchte nicht im Dialog mit uns von den Bürgern gefilmt werden. Ist aber eigentlich auch gar kein richtiger Dialog, jetzt übergibt Anna mir das Megafon. „Achtung, Achtung! Das ist keine Übung!“, informiere ich die geschockte Bevölkerung, „Schließen Sie Fenster und Türen, Augen und Ohren …“

Nachdem wir den Spaß daran verloren haben, die zukünftige Exbürgermeisterin Giffey zu ärgern, fahren wir weiter nach Friedrichshain. Als wir zum Boxhagener Platz kommen, genehmigen wir uns ein paar Biere. Aber wir sind hier noch nicht fertig, die Limousine ist noch für zwei weitere Stunden bezahlt. Außerdem macht die Bürgeransprache mit einem großen Bier in der Hand doppelt so viel Spaß!

•gestern

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•vor 7 Std.

gestern

02.02.2024

Los geht’s, wir rollen langsam an den sommerabendlich überladenen Restaurants vorbei. Im Vorbeifahren an Plakaten habe ich nachmittags den Namen eines lustig aussehenden SPD-Kandidaten aufgeschnappt, Kevin Hönicke. Jetzt hebe ich den Krug, proste in Richtung der überfüllten Restauranttische, nehme einen kräftigen Schluck und röhre in das Megafon: „Gunn’ Ab’nd! Hier schpricht Kevin Höm---ke, ihr regierender Bürgermeisterkandidat von der SPD! Wählt misch, wählt Kevin Hicks Hömke, SPD. Wählt SPD, Ihr Schweine! Schaweine!“

Ich sehe erstarrte Gesichter. Bürgerliche Paare sitzen da, den Mund offen, die Hand mit der Gabel eingefroren in der Luft. Ich sehe fassungslose Blicke, aufkommende Empörung, ist es um die SPD schon so schlecht bestellt, dass sie volltrunken und mit derartiger Ansprache in die Wahl zieht? Leider hält sich die Spannung meist nicht lange, stets erkennt irgendjemand die PARTEI und lacht los.

STRASSBURG, PLENARSAAL

Schluss mit der Spaßpolitik, die Reden zum „State of the Union“ stehen an. Die Kommissionspräsidentin hat im Plenum in Straßburg 60 Minuten, um die EU zu preisen – ich habe 60 Sekunden, um zu kritisieren. Sachdienlicher Hinweis des Spiegel: Am Morgen des 15. September 2021 hält Ursula von der Leyen ihre Rede zur „Lage der Union“, ein aus den USA entlehntes Format zur politischen Positionsbestimmung. Es ist eine Tour d’Horizon von 118 Minuten. Sicherheit, Soziales, Klima. Das Übliche.

Erst am Nachmittag hat Sonneborn das Wort. Für 60 Sekunden. Er spricht im Herzen der Institution, die er kritisiert. Das ist, im Vergleich zu Rezo oder Jan Böhmermann, ein Unterschied nicht nur der stilistischen Mittel. Es ist ein Unterschied zwischen Publizistik und Politik. Über die 118 Minuten der Kommissionspräsidentin wurde an diesem Tag auf allen Kanälen berichtet, das ist Pflicht. Auf dem Kanal der Deutschen Welle bei YouTube ist ihre staatstragende Rede bis heute knapp 5000-mal angeklickt worden. Die 60 Sekunden von Sonneborn schaffen es natürlich nicht in die Tagesschau. Bei YouTube hat der kurze Clip inzwischen aber mehr als 1,7 Millionen Klicks. Ginge es nur um digitale Reichweite und Popularität, Sonneborn wäre Kommissionspräsident.

Wie üblich muss ich nach der Rede von der Leyens warten, bis sämtliche Fraktionsvorsitzenden und alle wichtigeren Abgeordneten gesprochen haben. Als ich meinen Namen nach über drei Stunden endlich auf der Rednerliste sehe, mache ich mich auf den Weg, einmal um den halben Plenarsaal herum und dann nach vorn. Der größeren Feierlichkeit wegen werden die Reden in diesem Jahr vom Sprecherpult in der Mitte gehalten, mit Blick in die Reihen der 705 Abgeordneten. Als ich die Hälfte des Weges zurückgelegt habe, drei Namen stehen noch vor mir auf der Liste, sehe ich, dass unten links eine Frau in Rosa aufsteht und den Saal verlässt. Heeee, Moooment mal, die Kommissionspräsidentin ergreift die Flucht, wenn ich dran bin? Das kann doch wohl nicht wahr sein!

Egal, ich sage, was ich zu sagen habe, muss sie es halt hinterher im Netz nachschauen. Vizepräsidentin Metsola erteilt mir das Wort. Ich schaue hoch in den mittlerweile nur noch dürftig besetzten Plenarsaal. Eine ungewohnte, aber angenehme Perspektive. Vielleicht 40, 50 Leute sind anwesend, der Rest kommt erst zum Schluss wieder dazu. Dann richte ich die beiden Mikrofone kurz aus und beginne: „Das wussten Sie wohl nicht, Frau von der Leyen, aber die Rede zum State of the Union war eigentlich dazu gedacht, ein realistisches Bild der EU zu zeichnen. Zeichnen wir: Gerade hat sich die Quote der Vorbestraften in der Führungsetage noch einmal erhöht: Ratspräsident ist jetzt der …“ Verdammt, ich weiß genau, was jetzt kommt: „… der slowenische Honk Janez Janša“. Als ich es geschrieben habe, kam es mir noch ganz logisch vor, aber jetzt kriege ich Fracksausen. Janša ist Regierungschef und Ratspräsident, möglicherweise schmeißt mich der Laden hier raus, wenn ich ihn beleidige. Ich rette mich kurzerhand in ein Räuspern, das zumindest für Fachleute – und Honks selbst – verständlich ist: „… slowenische mmmHonk Janez Janša – drei EU-Länder haben gegen ihn ermittelt, er saß wegen Korruption.“

Ein kurzer Kontrollblick in die Ränge: Im Publikum gibt es keine Reaktion. Aber das rosa Jackett kommt zurück, nimmt rechts neben mir Platz, wahrscheinlich war die Kommissionspräsidentin nur austreten. Sehr gut, dann kommen wir mal zu den Fakten: „Die zypriotische Gesundheitskommissarin Kyriakides kann den Eingang von vier Millionen auf ihrem Familienkonto nicht schlüssig erklären, kurz nach Unterzeichnung der Impfstoff-Verträge. Die EU scheint heute mehr denn je ein gut geschmierter Apparat zur Umschichtung von Steuergeldern an die Privatwirtschaft zu sein, mit rhetorischen und ethischen Nullnummern an der Spitze. Der Zustand der Union wird am besten dadurch beschrieben, dass in Deutschland nicht über die EU gesprochen wird, aber in der EU über Deutschland. 16 Jahre Merkel haben Europa sauber viergeteilt. Ich entschuldige mich bei den Mitbürgern im Osten, Westen, Norden und Süden, dass wir die Interessen der deutschen Wirtschaft stets vor die Ihren gestellt haben: Und kann Ihnen versichern, dass es in den nächsten 16 Jahren ganz genauso weitergehen wird …“

Vizepräsidentin Metsola bedankt sich routiniert und ruft die nächste Rede auf: „Thank you, next ist Eva Maydell, for two minutes …“ Wahrscheinlich habe ich ihr gar nichts wirklich Neues berichtet. Den Weg zurück wähle ich direkt am Pult der Kommissionspräsidentin vorbei. Sie schaut auf, als ich neben ihr anhalte. Ich bin sauer und sage streng: „Was fällt Ihnen ein, ich habe nur eine Minute Redezeit, und dann schwänzen Sie auch noch die ersten 30 Sekunden, was …“ Ups. Von der Leyen wirft mir von unten einen derart indignierten Blick zu, dass mir schlagartig wieder bewusst wird, wer hier in abgestandenen Adel eingeheiratet hat – und wer noch immer zum gemeinen Volk gehört.

STRASSBURG, PARLAMENT

Nach einem Liter „Fischer Tradition“ in der Straßburger Altstadt fahre ich gegen 20 Uhr noch einmal ins Parlament, ich habe eine Minute Redezeit. Ein paar Minuten setze ich mich noch in die fast leere MEP-Bar. Büroleiter Hoffmann ruft an: „Ich habe deine Rede gelesen, finde sie gut, allerdings der eine Satz mit der Handynummer, das könnte man als misogyn auslegen …“ „Also die Europapolitische Beraterin hat gelacht.“ „Ja, es ist auch lustig. Aber es gibt viele Leute, die deine Macron-Rede gut fanden und sie niemals teilen würden – wegen der Anspielung auf das Alter seiner Frau!“ „Aber von der Leyen ist über 65, als sie jung und heiratsfähig war, gab es noch keine Handys. Ich stelle es hier noch mal zur Diskussion …“

Assistent Schiller und die Europapolitische Beraterin kommen, setzen sich zu mir. Eigentlich ist das hier eine Bar für Abgeordnete, denke ich, sage aber höflicherweise nichts. Schiller hat mir den Redetext ausgedruckt: „Also, ich finde die Rede gut, allerdings der Satz mit der Handynummer …“ „Die Europapolitische Beraterin hat vorhin gelacht.“ „Jaaaaaaa, also …“ „Wir haben eine halbe Stunde darüber diskutiert. Ich finde, gegen die mächtigste Frau Europas ist alles erlaubt. Sie tut uns wesentlich mehr Gewalt an als wir ihr. Es ist garantiert kein Tritt nach unten …“

Ich packe meine Tasche und gehe langsam durch das leere Parlament in Richtung Plenarsaal. Im Abgehen höre ich die Europapolitische Beraterin dem Assistenten Schiller mit aggressivem Unterton die Friedlichkeit der chinesischen Kultur erläutern. Im Plenarsaal wartet noch eine Handvoll Abgeordneter auf ihre Minute. Vizepräsident Michael Simecka leitet die Sitzung, ein jüngerer Slowake mit verwuschelten Haaren und Vollbart, den ich flüchtig vom Sehen kenne. Nach ein paar Minuten ruft er mich auf. Nun denn. „Eine Kurznachricht aus dem EU-Parlament an Frau von der ähem, Leyen: Wussten Sie, dass wegen Ihrer gelöschten Pfizer-SMS mittlerweile nicht nur Ihre Kommission verklagt wird – von der New York Times –, sondern auch Sie persönlich? In der deutschen Presse war davon ja nichts zu lesen, deshalb dachte ich, ich sag’s Ihnen mal. Beschuldigt werden Sie wegen ,Amtsanmaßung und Titelmissbrauch‘, ,Vernichtung öffentlicher Dokumente‘ und ,Korruption`‘.“ Ein kurzer Blick ins Auditorium. Keine wie auch immer geartete Reaktion. „Während jedes Käseblatt in Deutschland – vom Spiegel bis zur FAZ – über Ihr dahingeschiedenes Pony berichtet hat, interessiert sich niemand dafür, dass sogar die Europäische Staatsanwaltschaft gegen Sie ermittelt. In den SMS ging es um die Bestellungen von 1,8 Milliarden Dosen. Nicht Hansa-Pils, sondern Pfizer. Für 35 Milliarden Euro. Ich sage zu Ihnen jetzt einen Satz, den vermutlich noch nie ein Mann zu Ihnen gesagt hat: Ich möchte Ihre Handynummer! Mit niemandem lassen sich so einfach unseriöse Geschäfte machen wie mit Ihnen. Vielen Dank.“

Als ich mich setze, sehe ich, dass der Vizepräsident losgrinst. Schnell fährt er sich mit der Hand vors Gesicht, schaut einmal in die Runde, ob es jemand bemerkt hat, ruckelt dann demonstrativ seinen Kopfhörer zurecht und sucht in seiner Liste den nächsten Redner. Assistent Schiller grinst ebenfalls, als er vor dem Plenarsaal auf mich wartet. „Er hat gelacht“, sage ich. „Aber nur sehr kurz“, entgegnet Schiller, „wahrscheinlich ist ihm dann eingefallen, dass er als Präsidiumsmitglied für den FEMM zuständig ist, den Ausschuss für die Rechte der Frauen und die Gleichstellung der Geschlechter …“

Martin Sonneborn: Herr Sonneborn bleibt in Brüssel. Neue Abenteuer im Europaparlament. Verlag Kiepenheuer & Witsch, 2024

QOSHE - Exklusiver Vorabdruck von Sonneborns Buch: „Frau von der Leyen: Ich möchte Ihre Handynummer!“ - Martin Sonneborn
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Exklusiver Vorabdruck von Sonneborns Buch: „Frau von der Leyen: Ich möchte Ihre Handynummer!“

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04.02.2024

OSTBERLIN

Ein bisschen Spaß muss sein, selbst im Spaßwahlkampf. Was läge also an einem schönen Sommertag näher, als mit einer gemieteten, aus drei alten Trabbis zusammengeschweißten schwarzen Luxuslimousine mit großen PARTEI-Aufklebern durch Berlin zu fahren und aus dem Schiebedach herausragend mit einem Megafon Menschen auf ihre Wahlpflicht hinzuweisen?

„Eeeeeeh, Sie da, ja, Sie! PARTEI wählen! Is jetzt Pflicht!“ Anna Glockenhell, meine Berliner Assistentin, und ich wechseln uns mit der Ansprache ab. Zuerst lassen wir uns durch den Prenzlauer Berg kutschieren. Wo wir anhalten, umringen uns Leute, wir verteilen Aufkleber, Wahlversprechen und Lebensweisheiten: „Kinder sind die Zukunft unseres Landes“, „Tempo 30. Aber nicht hier.“, „Wenn Sie uns wählen, lassen wir die 100 reichsten Deutschen umnieten! (Spaß)“.

Dann fahren wir nach Lichtenberg, da macht heute Franziska Giffey SPD-Wahlkampf, die Trulla aus Frankfurt/Oder, die die Berliner nach ihren Jahren als Bürgermeisterin noch weniger leiden können als vorher. Wir finden sie in der Nähe des S-Bahnhofs, sie läuft mit einem Social-Media-Team auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig und verteilt rote Rosen an wehrlose Wähler. „Sie wollte mit uns sprechen, wir aber nicht mit ihr“, erzählt ein studentisches Pärchen. „Ja, warnt denn niemand die Bürger?“, fragt Anna Glockenhell erschrocken. „Dann übernehmen wir das.“ Sie greift sich das Megafon: „Achtung, Achtung, schließen Sie Fenster und Türen, Franziska Giffey ist in dieser Straße!“

Ein paar Passanten schauen erschrocken zu uns herüber, die SPD-Abordnung ebenso, dann huscht sie hinter einen parkenden Kleinbus. Man möchte nicht im Dialog mit uns von den Bürgern gefilmt werden. Ist aber eigentlich auch gar kein richtiger Dialog, jetzt übergibt Anna mir das Megafon. „Achtung, Achtung! Das ist keine Übung!“, informiere ich die geschockte Bevölkerung, „Schließen Sie Fenster und Türen, Augen und Ohren …“

Nachdem wir den Spaß daran verloren haben, die zukünftige Exbürgermeisterin Giffey zu ärgern, fahren wir weiter nach Friedrichshain. Als wir zum Boxhagener Platz kommen, genehmigen wir uns ein paar Biere. Aber wir sind hier noch nicht fertig, die Limousine ist noch für zwei weitere Stunden bezahlt. Außerdem macht die Bürgeransprache mit einem großen Bier in der Hand doppelt so viel Spaß!

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gestern

02.02.2024

Los geht’s, wir rollen langsam an den sommerabendlich überladenen Restaurants vorbei. Im Vorbeifahren an Plakaten habe ich nachmittags den Namen eines lustig aussehenden SPD-Kandidaten aufgeschnappt, Kevin Hönicke. Jetzt hebe ich den Krug, proste in Richtung der überfüllten Restauranttische, nehme einen kräftigen Schluck und röhre in das Megafon: „Gunn’ Ab’nd! Hier schpricht Kevin Höm---ke, ihr regierender Bürgermeisterkandidat von der SPD! Wählt misch, wählt Kevin Hicks Hömke, SPD. Wählt SPD, Ihr Schweine! Schaweine!“

Ich sehe erstarrte........

© Berliner Zeitung


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