Auf solch eine Gemeinde, wie sie Pater Ricardo Diniz vor sich in den Kirchenbänken sitzen sieht, blickte sicherlich auch jeder deutsche Geistliche gern: viele junge Leute, Dutzende Kinder und Heranwachsende, Frauen und Männer jeder Altersgruppe, Senioren sind die Ausnahme. Mehr als 120 Menschen sind am Morgen des ersten Weihnachtsfeiertages in die Kirche Mater Dolorosa im Katharinenstift in der Greifswalder Straße gekommen; am Heiligen Abend waren es weit über 200 – Angehörige der portugiesischsprachigen katholischen Gemeinde in Berlin, die meisten Brasilianer und Portugiesen, dazu Gläubige mosambikanischer oder angolanischer Herkunft.

Es ist also nicht verwunderlich, dass im Gottesdienst eine hellere Stimmung herrscht als in den meisten deutschen Gottesdiensten, wo auch über Weihnachten die Älteren die Mehrheit bilden. Man hört es ganz genau während der vielen Gesänge an den jungen, teils glockenhellen Stimmen. Es gibt viel „Aleluia“ und „Hosanna“.

22.12.2023

23.12.2023

23.12.2023

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Weihnachten ist ja schließlich ein fröhliches Fest, denn es ist ein Kind geboren, ein Kind, das „Gott den Menschen aus Liebe geschenkt hat“, wie Pater Diniz gleich zu Beginn die zentrale Weihnachtsbotschaft in wenige Worte fasst. Er wendet sich zunächst direkt an die große Kinderschar, spricht von der großen Sehnsucht, mit der die Menschen einst die Ankunft des Messias herbeisehnten, auf dass er sie von ihrem Leid erlöse. Und welches Staunen diese Ankunft dann ausgelöst habe, denn sie sei ohne Pomp, ohne Schnickschnack geschehen, nicht in einem Palast, sondern in einer Krippe bei Hirten in Bethlehem.

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Die Geburt des Kindes, der Kern des Festes, liegt in säkularen Landen unter allerlei Tand fast verborgen – und damit sie hier in der Mater Dolorosa am ersten Weihnachtsfeiertag 2023 nicht vergessen wird, sagt es der Pater noch einmal deutlich: Nicht das tolle Handy oder das neue Fahrrad macht Weihnachten aus, sondern das grundstürzende Ereignis der Geburt Jesu, das die Weltgeschichte fortan maßgeblich prägen sollte. Seit mehr als 2300 Jahren. Im Guten wie im Schlechten.

Das vermag auch die Atheistin immer wieder zu rühren und sie ist froh, die klare christliche Botschaft zu vernehmen und nicht etwa eine der banal-moralisierenden, an intellektueller Anspruchslosigkeit kaum zu unterbietenden Belanglosigkeiten öffentlich-rechtlicher „Worte zum Sonntag“.

Für die Besucher in der Kirche Mater Dolorosa steht die Kirche tatsächlich im Mittelpunkt der Weihnachtstage – der Gottesdienst ist ihnen nicht nur eine kulturelle Beigabe. Das ist umso wichtiger, da sie das Fest in vielen Fällen fern der Familie, fern ihrer Heimat feiern.

Pater Diniz erzählt, er habe vom Altar aus Menschen weinen sehen und weiß aus vielen Gesprächen: „Das ist weniger ein Zeichen von Traurigkeit, sondern jenes Gefühls, das man in Deutschland weniger kennt: Saudade.“ Man übersetzt es am treffendsten mit Sehnsucht oder Wehmut. Der Pater ist selbst Brasilianer, seit 13 Jahren in Deutschland, seit drei Jahren in Berlin. Er sagt: „In solchen Momenten versuchen Menschen, in ihren Gefühlen die Distanz von Tausenden Kilometern zu überwinden.“ Viele Menschen haben in der vergangenen Woche bei ihm Trost gesucht.

Natürlich hat er in der Predigt auch an die Leidenden in der Welt erinnert – an die Kriege in der Ukraine und im Heiligen Land. Und er hat seine Gemeinde nach dem Abendmahl, den üblichen Umarmungen und dem Händeschütteln der Gemeindemitglieder untereinander, begleitet vom Wunsch „Feliz Natal“, fröhliche Weihnacht, in den familiären Teil des Festes verabschiedet.

Sheila Santos und Maria Clara stammen aus Belém de Pará in Brasilien und zelebrieren auch in Berlin die weihnachtlichen Traditionen, wie sie es von früher kennen: gemeinsames Essen mit der Familie – das Abendessen („jantar“ mit Salpicao-Salat) und das späte Nachtmahl („cena“ mit dem typischen Bacalhau), Gottesdienst zur Heiligen Nacht und um Mitternacht die Geschenke für die Kinder.

João Lobo, ein würdevoller 60-Jähriger, kam 1983 aus Quelimane, Mosambik in die DDR, arbeitete als Schlosser im Lausitzer Braunkohlerevier. Er durfte bleiben, „unter den neuen Umständen“ nach dem Mauerfall. Das sei nicht allen vergönnt gewesen. Er ist geblieben, auch wenn es „nicht leicht“ sei. Dem Kirchgang folgt für ihn ein Treffen mit vielen Verwandten und Freunden – „jeder bringt etwas zu essen mit“ und alle erfreuen sich am Zusammensein. Lauter gehe es da zu als in deutschen Familien, mit viel Musik.

„Weihnachten ist die schönste Zeit im Jahr“, sagt Germano Alfredo Rosario. Auch er kommt aus Mosambik, arbeitete als Schlosser im Waggonbau Ammendorf: „Wenn Du 35 Jahre weg bist, ist es auch vorbei mit der Sehnsucht“, sagt der 56-Jährige und nennt sich „heimatlos“. Aber traurig sei er nicht, auch wenn es schwer sei, das Leben in Deutschland. Aber zu Weihnachten „vergibt jeder jedem alles und man geht wie neugeboren aus diesen Tagen hervor“, sagt er. Allerdings: „Danach bin ich jedes Jahr pleite – du weißt schon, die Geschenke, vor allem für die Kinder, das gute Essen, in diesem Jahr alles noch teurer als sonst. Und im neuen Jahr fange gleich wieder das Sparen für Weihnachten an.“

QOSHE - Weihnachten ist die schönste Zeit des Jahres: „Und dann bin ich pleite“ - Maritta Adam-Tkalec
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Weihnachten ist die schönste Zeit des Jahres: „Und dann bin ich pleite“

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25.12.2023

Auf solch eine Gemeinde, wie sie Pater Ricardo Diniz vor sich in den Kirchenbänken sitzen sieht, blickte sicherlich auch jeder deutsche Geistliche gern: viele junge Leute, Dutzende Kinder und Heranwachsende, Frauen und Männer jeder Altersgruppe, Senioren sind die Ausnahme. Mehr als 120 Menschen sind am Morgen des ersten Weihnachtsfeiertages in die Kirche Mater Dolorosa im Katharinenstift in der Greifswalder Straße gekommen; am Heiligen Abend waren es weit über 200 – Angehörige der portugiesischsprachigen katholischen Gemeinde in Berlin, die meisten Brasilianer und Portugiesen, dazu Gläubige mosambikanischer oder angolanischer Herkunft.

Es ist also nicht verwunderlich, dass im Gottesdienst eine hellere Stimmung herrscht als in den meisten deutschen Gottesdiensten, wo auch über Weihnachten die Älteren die Mehrheit bilden. Man hört es ganz genau während der vielen Gesänge an den jungen, teils glockenhellen Stimmen. Es gibt viel „Aleluia“ und „Hosanna“.

22.12.2023

23.12.2023

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Weihnachten ist ja schließlich ein fröhliches Fest, denn es ist ein Kind geboren, ein Kind, das „Gott den Menschen aus Liebe geschenkt hat“, wie Pater Diniz gleich zu Beginn die zentrale Weihnachtsbotschaft in wenige Worte fasst. Er wendet sich zunächst direkt an die große Kinderschar, spricht von der........

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