Seit genau einem Jahr hängen an der Brüstung meines Balkons vier Solarpaneele. Anfang März 2023, gerade als es die ersten Frühlingssommerstrahlen ab etwa 8 Uhr über die Brandmauer zum Kreuzberger Nachbarhof schafften, startete das neue Leben als Kraftwerksbetreiber. Tag für Tag begann die Einstrahlung früher, dauerte länger und jagte die in einer Extra-App ablesbaren Wattwerte des digitalen Messgeräts in die Höhe.

Das Maximum erreichten die produzierten Strommengen im Mai mit periodenweise mehr als 500 Watt (elektrische Leistung in einer Sekunde) und aufsummierter Tagesproduktion von bis zu zweieinhalb Kilowattstunden. Der Rekordwert für einen Tag wurde am 12. April erreicht: 2,58 kWh. Das ist mehr als ich verbrauche. Zum Rekordmonat 2023 wurde der Mai mit mehr als 60 Kilowattstunden. Der Dezember kam auf lausige 1,47 kWh.

Was war das für ein Gefühl zu sehen, wie sich die Scheibe des analogen Stromzählers in rasender Geschwindigkeit rückwärts drehte – und die Stromrechnung sekündlich minimierte. Diese Freude währte nur ein paar Wochen. Warum, davon später. Aber die Begeisterung für den selbst erzeugten Strom, die hält sich.

Der fließt direkt in meine Dauerverbraucher Kühlschrank, der etwa 130 Watt zieht (wenn er anspringt), beziehungsweise das Standby von Fernsehen, Wlan-Router, Radiowecker. Den Grundverbrauch deckt die Anlage von März bis Oktober in der Regel von morgens acht bis abends gegen 18 Uhr, selbst wenn nur Streulicht durch die Wolken die Solarzellen kitzelt. Was nicht sofort an Ort und Stelle verbraucht wird, fließt umgehend ab ins Netz. Auf Nimmerwiedersehen.

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Für die sinnvolle Nutzung der Mehrproduktion ist Flexibilität gefragt und Planung. Denn das Ziel heißt ja: möglichst viel Eigenverbrauch genau zu den Zeiten der höchsten Solarstromproduktion vorm Balkon.

Das Kraftwerkchen beherrschte folglich im Sommer mein Leben; es verlangte Aufmerksamkeit, wir mussten einander kennenlernen. Zunächst war die allgemeine Wetterlage zu beobachten, gefolgt von Feintuning mithilfe des Wolkenradars. Die Spülmaschine musste warten, bis gegen 10 Uhr volle Sonne auf alle vier senkrecht hängenden Solarzellen feuerte. Im Wechsel war die Waschmaschine dran. Beides zugleich anzuschalten, wäre dumm.

Größere Koch- oder Backprojekte legte ich möglichst auf freie Termine mit erwartbar hohem Sonnenleistungspotenzial. In den Zeiten dazwischen kam alles Aufladbare an die Kabel: Laptop, Handy, iPad, kleines Radio, Staubsaugroboter … Die standen dann zum abendlichen Einsatz voll auf Grün.

Hinzu kam im Frühjahr ein eigentlich für den Campingeinsatz gedachter Minigenerator. Der wird aufgeladen, wenn die Sonne scheint und keine Stromkonkurrenten in Betrieb sind. Abends lässt er den Fernseher locker zwei bis drei Stunden laufen.

Ein Standardpaket für um die 600 Euro kann man inzwischen im Baumarkt mitnehmen, auch Discounter hatten Steckerkraftwerke schon im Angebot. Ich habe mich für ein paar Besonderheiten entschieden: Statt der üblichen 20-Kilo-Glasplatten hängen flexible monocristalline Paneele (China-Produktion nach US-Patent). Mit jeweils drei Kilo Gewicht, weniger als einen Zentimeter dick, sind sie leicht handhabbar und ohne Gestelle einfach zu montieren.

Im Anlagenpaket, das ich persönlich beim Ausrüster Suncrafter in Treptow abholen konnte, lagen kräftige Kabelbinder. Die halten die Platten sicher und lassen sich auch wieder leicht entfernen. Die Schuko-Steckdose auf dem Balkon bekam eine eigene Sicherung. Summa summarum: etwas mehr als 1000 Euro Investition. Es geht aber auch billiger.

Nach der Montage werden die Kabel entsprechend der mitgelieferten Zeichnung miteinander, bzw. mit dem Wechselrichter (einem kleinen Kasten von ca. zehn mal zehn Zentimeter) verbunden. Stecker in die Schuko-Dose. Die optional dazwischengeschaltete digitale Outdoor-Wlan-Steckdose (29 Euro) schickt mir sekundengenau die Leistungszahlen auf eine App. Des Spaßes wegen.

Kompliziert ist das alles also nicht: Und auch die Funktionsweise ist kein Hexenwerk. Strom fließt in meinen Haushalt, was nicht verbraucht wird, strömt hinaus ins Netz. Leider läuft seit vergangenem Mai der Zähler nicht mehr rückwärts, denn mein Netzbetreiber (Stromnetz Berlin) hat den analogen durch einen digitalen Zweirichtungszähler ausgetauscht, kurz nachdem ich die Anlage angemeldet hatte. Diese Registrierung, wie auch die Anmeldung im Marktstammdatenregister der Bundesnetzagentur (MaStR) – sind Pflicht, aber schnell und einfach im Netz zu erledigen.

Nun misst der smarte Zähler nicht nur meinen Verbrauch, sondern auch meine ins Netz gelieferte Produktion. Aber für die Einlieferungen – seit Mai 2023 sind das 130 Kilowattstunden – gibt es keinerlei Vergütung. Nicht mal die 8,2 Cent, die Betreiber größerer Anlagen zum Beispiel auf dem Dach bekommen. Knapp elf Euro sind mit also seit Mai entgangen. Verschmerzbar.

Wirklich fair ist das aber nicht. Denn umgekehrt kostet die Kilowattstunde Ökostrom 40 Cent (Referenzpreis). Davon habe ich seit Zählerumstellung 634 Kilowattstunden importiert. Das wird sich wohl auf 750 kWh fürs Jahr summieren – etwa 1000 habe ich in den Vorjahren ohne Eigenstrom verbraucht. Macht ein Viertel weniger, etwa 100 Euro Ersparnis. Geht es so weiter, amortisiert sich die Anlage in zehn Jahren. Etwa 20 Jahre sollte sie in Betrieb bleiben. Okay.

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Bevor der Moment der Anmeldung kommt, sind ein paar Pflichten zu erledigen: Wohnungseigentümer müssen die Genehmigung der Eigentümerversammlung einholen. Nicht an jeder Fassade sind die schwarzen Platten erwünscht. Mieter müssen Vermieter fragen. Der Senat fördert Steckersolaranlagen mit 500 Euro und spendiert den kostenlosen Einbau des elektronischen Zählers. Den bekommt bis zum Jahr 2032 sowie sukzessive jeder Haushalt.

Vor einem Jahr hatte ich keine Chance auf Förderung und habe noch mit Vorschriften Bekanntschaft gemacht, die das Solarpaket 1 der Bundesregierung beseitigen soll. Das liegt seit Sommer 2023 im Bundestag, man streitet u.a. um Regeln zum Schutz der heimischen Solarzellenproduzenten. Vielleicht klappt es ja jetzt im März.

Das Paket vereinfacht den Betrieb. Es hebt die Bagatellgrenze für die Leistung von 600 auf 800 Watt. Die Anlage darf ganz offiziell laufen, auch wenn der alte Stromzähler noch nicht ersetzt ist. Da wird es also Menschen geben, die zugucken, wie ihr Zähler rückwärts läuft. Künftig reicht ganz amtlich die normale Schuko-Steckdose, nach den alten Vorschriften wird jetzt noch der viel teurere Wieland-Stecker verlangt – die meisten Neueinrichter haben allerdings die Auskunft bekommen, dass alles, was im neuen Gesetz steht, auch jetzt schon toleriert wird.

Was den Netzbetreiber in meinem Fall freut: Die Anlage geht nach Osten über einen weiten Schulhof, ich produziere Morgenstrom. Das ist gut für die Netzstabilität, denn mittags, wenn alle vorzugsweise gen Süden ausgerichteten Solaranlagen das Netz glühen lassen, herrscht ohnehin Stromüberschuss.

Mancher mag als Nachteil empfinden, dass die Paneele den Balkon untenherum verdunkeln. Im Sommer aber ergibt sich ein Vorteil: Nicht nur wegen des Schattens ist es hinter den Paneelen kühler, sondern auch, weil die Solarzellen die eintreffende Sonnenenergie in Strom umwandeln. Das senkt die Temperatur im Nahbereich um ein bis eineinhalb Grad.

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Bleibt die Frage der Versicherungen. Wie andere Balkonausstattung – Grill, Gartenmöbel – deckt die Hausratversicherung in der Regel auch die Steckeranlage ab. Die private Haftpflichtversicherung reguliert Schäden, die anderen entstehen – zum Beispiel im unwahrscheinlichen Fall, dass Teile herunterfallen, Sachen beschädigen oder gar Personen verletzen. Solch eine Versicherung sollte ohnehin jeder haben. Im seltenen Fall, dass die Balkonanlage an der Fassade angebracht wird, sollte in der Regel die Wohngebäudeversicherung greifen. In allen drei Fällen gilt: Besser die Versicherung über das neue Gerät informieren. Was noch? Gelegentlich wische ich mit dem Wischmopp mal den Staub von den Platten, weil jedes Hindernis den Ertrag mindert.

Resümee: Ich liebe mein Balkonkraftwerk – auch weil es mich an die existenzielle Abhängigkeit des Menschen von Naturerscheinungen erinnert – und da ist die Sonne die mächtigste.

QOSHE - Mein kleines Balkonkraftwerk: Ein Jahr mit eigenem Strom. Das macht glücklich - Maritta Adam-Tkalec
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Mein kleines Balkonkraftwerk: Ein Jahr mit eigenem Strom. Das macht glücklich

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© Berliner Zeitung


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