Wenn Berlin mal richtig liebenswürdig ist, dann an Tagen wie diesen. Zehntausende sind mit leuchtenden Gesichtern unterwegs, strömen an die 21 Kilometer-Laufstrecke des Halbmarathons, der Tiergarten leuchtet in frischestem Grün und das Wetter ist geradezu erschreckend sensationell. Und erst das Läufervolk! Aus 134 Nationen sind Menschen nach Berlin gekommen. Was sind das für Leute?

Erstens die Genussläufer aus England: Paul, ein beleibter 50-Jähriger, ist mit zwei Freunden gekommen. Er trägt eine auffällige Markierung über der Läufernummer auf dem Rücken: „My last Superrace“. Sein letztes Superrennen im Leben? Warum? Von wegen das letzte! Berlin ist die letzte Station einer sechsteiligen Laufserie, die die drei von der Insel gerade überall in Festland-Europa absolviert haben: „Am Sonnabend waren wir beim Halbmarathon in Prag“, sagt Paul, und davor in Valencia, Kopenhagen, Lissabon und Cardiff. Fit bleiben ist das eine Ziel der Lauferei, vor allem aber: „Mit Freunden reisen, in Städte, wo man noch nicht war.“ Und in Berlin wollen sie nun, während des bevorstehenden Laufs, „die Stadt einfach genießen.“

Zweitens die Leistungsfreudigen aus Island: Sigridur, Gudrun Erla, Johann und Sara Osk wagen sich in Berlin an ihren allerersten Halbmarathon, eine „neue Herausforderung“. Sie haben sich als Laufgruppe in Reykjavik vorbereitet. Dort fällt gerade Schnee bei drei Grad – weshalb die Vier die Wärme etwas problematisch sehen – aber ansonsten: große Sache, das wird toll!

05.04.2024

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Drittens die Gesundheitsbewussten aus Italien: Berlin sei einfach eine gute Stadt für einen solchen Lauf, finden Marco, Patrizia und Claudio. „Wir sind die fabelhaften Drei aus Mailand“, die dreimal pro Woche laufen – passt also alles. Aber warum tun sie sich so viele Kilometer an? „Das frag’ ich mich auch“, juxt Marco zurück, „aber es ist einfach gut für die Gesundheit, ein Vergnügen für den Körper und für die Seele“.

Sie laufen, weil sie für sich selber „eine gute Zeit“ haben wollen, bloß keinen Stress wegen Konkurrenz, „wir laufen ruhig und gemächlich“. Und sie haben deshalb Zeit, beim Laufen „die Stadt zu sehen“. Anders als die Isländer finden sie die Wärme perfekt und werden sicherlich beherzigen, was der Sprecher über Lautsprecher den „lieben Läuferinnen und Läufern“ immer wieder ans Herz legt: „Trinkt!“ Vier Verpflegungspunkte erwarten sie entlang der Strecke.

Und schließlich viertens die Inklusiven aus Berlin: Zehn junge Leute, weit überwiegend Frauen diverser Herkunft, haben eine „besondere Laufgruppe in der allgemeinen Community“ gegründet. „Women of Color und queeren Leuten soll Gelegenheit gegeben werden, gemeinsam Sport zu treiben“, sagt Huyen, eine Deutsch-Vietnamesin.

Sie hat beim diesjährigen Lauf die Aufgabe übernommen, für ihre Freundin Sahra die Schrittmacherin zu sein. Die will unter 1 Stunde 49 Minuten laufen, ein ambitioniertes Ziel. Die Gruppe macht sich im Tiergarten gemeinsam warm, hier trainieren sie auch häufig, oft auch auf der Treckingstrecke am Südring. Und dann müssen sie los.

Berliner Halbmarathon 2024: Das sind die Ergebnisse

•vor 35 Min.

Kein schöner Anblick: Wer braucht schon den Berliner Halbmarathon?

vor 3 Std.

In mehreren Wellen starten die fast 40.000 Läuferinnen und Läufer nahe der Goldelse. Kurz bevor die Spitzengruppe, keine Stunde nach dem Start um 10 Uhr, das Ziel am Brandenburger Tor erreicht, rollt die letzte, 9.15 Uhr gestartete und sichtlich erschöpfte Skaterin ein. Ein besonders warmer Applaus begrüßt die junge Frau.

Riesenjubel brandet kurz danach auf, als der Kenianer Daniel Ebenyo, amtierender Weltmeister über 10.000 Meter, den Pariser Platz erreicht. Er kommt mit einer Zeit von 59:30 Minuten an, weder Welt- noch Streckenrekord. Er sieht aus, als sei er von sich selbst enttäuscht. Er braucht Helfer, die ihn stützen, er hinkt, kann kaum noch die Füße aufsetzen, humpelt mit schmerzverzerrtem Gesicht. Die ersten Momente in der Ankunftszone sehen keinen strahlenden Sieger.

Viele der Spitzenläufer gehen zunächst zu Boden, ringen um Luft. Offenbar hat die ungewöhnliche Wärme doch einigen mehr Probleme gemacht als erwartet. Keiner bleibt weniger als ein paar Sekunden allein, bevor medizinische Helfer nachfragen, Wasserflaschen reichen, weitere Hilfe im Sanitätszelt anbieten.

Die meisten Sportler stehen nach kurzer Ruhe auf. Vorsichtshalber rollt eine Ärztin eine Trage herbei. Viele ziehen zuerst die Schuhe aus. Alles eher routiniert. Ein paar Schritte weiter warten hochgebirgsartige Berge von Bananen und viele, viele Getränke. Gleich hinter der Bananenstrecke erhebt sich das sowjetische Ehrenmal mit Panzer und Haubitze und erinnert daran, auf welch historischenm Gelände man sich bewegt.

Zu dieser Zeit ist die große Zahl der Tausenden Teilnehmer noch auf der Strecke. An der Ecke, wo die Glinkastraße Unter die Linden einbiegt, haben sich besonders viele Zuschauer eingefunden. Hier erblicken die durchlaufenden Athleten erstmals das Brandenburger Tor. Hier schwenkt eine tanzende Mädchengruppe rote Puschel, etwas weiter Richtung Tor hat sich eine Trommlergruppe platziert.

Mann will Halbmarathon mit Ananas auf dem Kopf absolvieren

gestern

Manche Sportler reißen beglückt die Arme hoch, einige haben die Kraft, sich selbst mit dem Handy beim Durchlaufen der letzten Kurve zu filmen, andere setzten nur mühsam einen Fuß vor den anderen. Einige Läufer schwenken mitgeführte Palästina-Wimpel, auch blau-gelbe Ukrainebänder am Kopf wehen. Ein Dutzend Spanier sucht nach „unseren Leuten“, jeder einzelne, den sie entdecken, wird mit Riesenhallo begrüßt und angefeuert: „José-José-José“. „Da kommt Juan Carlos!“ „Lorena ist jetzt auch durch!“

Berlin hat an Tagen wie diesen einen besonderen Sound. Die Stadt entlässt damit sicherlich viele mit guten Gefühlen in alle Himmelsrichtungen.

QOSHE - Laufen zum Sound von Berlin: Beim Halbmarathon zeigt sich die Stadt in Bestform - Maritta Adam-Tkalec
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Laufen zum Sound von Berlin: Beim Halbmarathon zeigt sich die Stadt in Bestform

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07.04.2024

Wenn Berlin mal richtig liebenswürdig ist, dann an Tagen wie diesen. Zehntausende sind mit leuchtenden Gesichtern unterwegs, strömen an die 21 Kilometer-Laufstrecke des Halbmarathons, der Tiergarten leuchtet in frischestem Grün und das Wetter ist geradezu erschreckend sensationell. Und erst das Läufervolk! Aus 134 Nationen sind Menschen nach Berlin gekommen. Was sind das für Leute?

Erstens die Genussläufer aus England: Paul, ein beleibter 50-Jähriger, ist mit zwei Freunden gekommen. Er trägt eine auffällige Markierung über der Läufernummer auf dem Rücken: „My last Superrace“. Sein letztes Superrennen im Leben? Warum? Von wegen das letzte! Berlin ist die letzte Station einer sechsteiligen Laufserie, die die drei von der Insel gerade überall in Festland-Europa absolviert haben: „Am Sonnabend waren wir beim Halbmarathon in Prag“, sagt Paul, und davor in Valencia, Kopenhagen, Lissabon und Cardiff. Fit bleiben ist das eine Ziel der Lauferei, vor allem aber: „Mit Freunden reisen, in Städte, wo man noch nicht war.“ Und in Berlin wollen sie nun, während des bevorstehenden Laufs, „die Stadt einfach genießen.“

Zweitens die Leistungsfreudigen aus Island: Sigridur, Gudrun Erla, Johann und Sara Osk wagen sich in Berlin an ihren allerersten Halbmarathon, eine „neue Herausforderung“. Sie haben sich als Laufgruppe in Reykjavik vorbereitet. Dort fällt gerade Schnee bei drei Grad – weshalb die Vier die Wärme etwas problematisch sehen – aber........

© Berliner Zeitung


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