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„Ostdeutsche fühlen sich betrogen“: Ökonom Flassbeck rechnet mit der Wirtschaftspolitik ab

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30.08.2024

Rezession statt Wirtschaftswachstum, marode Infrastruktur, steigende Lebenskosten, niedrige Löhne trotz Fachkräftemangel, eventuelle Deindustrialisierung – die Liste der aktuellen Probleme in Deutschland ist so lang, dass die Angst vor dem Niedergang sich bereits in der Mitte der Gesellschaft breitmacht.

An diesem Wochenende blicken alle nach Sachsen und Thüringen. Warum sind die Menschen dort besonders unzufrieden? Wir haben mit dem deutschen Wirtschaftswissenschaftler und Buchautor Heiner Flassbeck über die wirtschaftlichen Gründe dahinter sowie über grundsätzliche Fehler der deutschen Politik gesprochen.

Herr Flassbeck, am 2. September erscheint Ihr neues Buch „Grundlagen einer relevanten Ökonomik“. Sie blicken auf die Große Depression, die Eurokrise, die Corona-Pandemie und die Folgen des Ukrainekrieges zurück. Zerstört Deutschland gerade die Grundlagen seiner Wirtschaft?

Deutschland verfolgt eine neoklassische Wirtschaftspolitik, die ich seit Jahren und auch im Buch grundsätzlich kritisiere. Das Land hat sich schon in den 1970er-Jahren dem sogenannten Neoliberalismus angeschlossen und macht seitdem immer wieder die gleichen gewaltigen Fehler. Die Ampel-Regierung ist hier keine Ausnahme. Ich fand es sehr witzig, dass Herr Scholz vor kurzem mit einem Helm auf dem Kopf bei der Meyer-Werft 3000 Arbeitsplätze „gerettet“ hat. Jeden Monat gehen in Deutschland aber Zehntausende Arbeitsplätze verloren, um die er sich offensichtlich nicht kümmert.

Diese Art von Symbolpolitik adressiert das eigentliche Problem nicht. Lindner sagt, wir dürfen keine Schulden machen; Scholz will ein bisschen Schulden machen, und dann rettet man vielleicht ein paar Arbeitsplätze. Aber es gibt überhaupt keine Strategie dahinter, und das ist das eigentliche Problem.

Welche gewaltigen Fehler macht die Ampel-Regierung gerade? Wollen Sie damit sagen, dass Deutschland sich weiter verschulden muss?

Der erste Fehler war es, die Zinsen zu erhöhen, obwohl es in den letzten drei Jahren keine Inflation gab. Es war ein Preisschock, aber keine Inflation im Sinne einer Lohn-Preis-Spirale. Die Zinserhöhung war zwar eine Entscheidung der EZB, aber die deutsche Regierung hat auch nicht widersprochen. Diese falsche Geldpolitik ist der erste Grund, warum Deutschland jetzt in Rezession ist.

•gestern

28.08.2024

•gestern

Die Schuldenfrage ist das zweite große Thema. Wenn die Ampel-Regierung in die USA schauen würde, würde sie erkennen, dass man Wirtschaftspolitik nur mit zusätzlichen staatlichen Schulden erfolgreich machen kann. Es ist leider so, denn die Welt hat sich in den letzten 20 Jahren so verändert, dass der Staat Schulden machen muss. Früher haben die privaten Haushalte gespart, die Unternehmen haben dafür Schulden gemacht, und der Staat konnte sich weitgehend heraushalten.

Jetzt sparen die Haushalte und die Unternehmen, und das kann nur gutgehen, wenn der Staat Schulden macht. Wenn alle sparen, geht die Wirtschaft kaputt. Sie gerät in eine tiefe Rezession, und dann muss der Staat mit neuen Schulden eingreifen. Nur die Tatsache, dass Deutschland einen sehr hohen Leistungsbilanzüberschuss aufweist, hat bisher verhindert, dass wir diese Lektion lernen. Das Ausland macht die Schulden, die man im Inland braucht, um die Ersparnisse auszugleichen.

Welches Land wäre aus Ihrer Sicht in der Frage ein Vorbild für Deutschland?

Das einzige Land, das diese Zusammenhänge im Westen verstanden hat, sind die USA. Erstaunlicherweise und in ganz Europa machen wir eben eine grundlegend falsche Wirtschaftspolitik, weil wir an dem Dogma festhalten, man könne ohne Schulden über die Runden kommen.

Stellen Sie sich vor: Wenn Donald Trump wieder US-Präsident wird, wird er als Erstes wohl dafür sorgen, dass der Dollar schwach wird. Und er wird sicher Protektionismus gegen die Merkantilisten wie Deutschland betreiben. Und das würde er zu Recht machen. Wir dagegen glauben, wir können mit diesem........

© Berliner Zeitung


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