Wenn ihr die AfD nicht verbieten könnt, dann lasst sie mitregieren
In dieser Woche gab es zwei wichtige Treffen. Beim ersten trafen sich Vertreter eines „breiten Bündnisses“, um den Beginn einer Lobby-Kampagne zum Verbot der AfD anzukündigen. Vermutlich wird es demnächst auch einen Antrag aus der Mitte des Bundestags für eine Debatte über ein AfD-Verbot geben. Die Forderung wird inzwischen von einzelnen Abgeordneten der Grünen und der CDU unterstützt, die 37 Unterschriften, die für einen Antrag zur Änderung der Tagesordnung notwendig sind, werden wohl zusammenkommen.
Das zweite Treffen fand in Wittenberg statt. Dort diskutierte Bundeskanzler Olaf Scholz mit den ostdeutschen Ministerpräsidenten über die Krankenhausreform, das Erstarken der AfD und die Migrationspolitik. Beide Treffen hatten etwas gemeinsam: Sie hatten irgendwie etwas mit der AfD zu tun und kamen viel zu spät.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Nein, ich finde nicht, dass man die AfD nur „politisch bekämpfen“ sollte. Wenn das so wäre, hätten die 61 Männer und vier Frauen 1948 im Parlamentarischen Rat den Artikel 21 gar nicht erst ins Grundgesetz schreiben müssen. Nach den Karlsruher Urteilen zur Kommunistischen Partei Deutschlands, der Sozialistischen Reichspartei und der NPD wissen wir jetzt auch: Man darf.
Juristisch ist die Sache glasklar: Wendet man die Kriterien des SRP-Verbots auf die AfD an, ist sie weg vom Fenster. Nur würde das Verfassungsgericht dann in den Parteienstreit hineingezogen und wäre für einen bedeutenden Teil der Bevölkerung (und ein Fünftel unserer politischen Elite) keine unabhängige Autorität mehr.
Das Wichtigste ist aber etwas anderes: Ein Verbotsverfahren wäre erst lange nach den Landtagswahlen in Thüringen, Brandenburg und Sachsen abgeschlossen. Zwar könnte Karlsruhe – wie damals bei der SRP – der AfD nachträglich die Mandate aberkennen und das Parteivermögen beschlagnahmen, aber an den Wahlen könnte die AfD erst einmal teilnehmen. Und nichts mobilisiert ihre Stammwähler mehr als der Eindruck, die Politiker, die sie wählen wollen, würden verfolgt. Ein laufendes Verbotsverfahren kann zwar Wechselwähler von der Stimmabgabe für die AfD abhalten, die Parteikader und die Stammwähler dürfte es zusätzlich motivieren. So gesehen wirkt der Vorschlag, der Bundestag möge über ein AfD-Verbot debattieren, ohne dass ein solches danach zustande kommt, wie eine Booster-Impfung aufs Immunsystem. Heftige Nebenwirkungen sind da garantiert.
20.06.2024
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Seit die AfD Mandate in den Landesparlamenten und im Bundestag errungen hat, wird sie von den etablierten Parteien isoliert. Ein „cordon sanitaire“ umgibt sie, wie seit Anfang der 90er-Jahre den Vlaams Blok in Belgien und den Front National in Frankreich. Beide Gürtel waren auf nationaler Ebene erfolgreich. Aufgrund des spezifischen französischen Wahlrechts hält der französische Gürtel Mitglieder der Familie Le Pen schon in der zweiten Generation von der Macht fern.
Bei den Wahlen im Juli wird er aber voraussichtlich aufplatzen. In Belgien gelang es weder dem Vlaams Blok noch der Nachfolgepartei Vlaams Belang, in Flandern oder auf der föderalen Ebene in eine Regierungskoalition zu kommen. In Belgien kann man auch sehen, dass Parteiverbote Wirkung zeigen: Das faktische Verbot des Vlaams Blok 2004 führte zwar zur Umbenennung in Vlaams Belang, doch der war danach nur noch ein Schatten seiner selbst und erreichte nie wieder die Wahlergebnisse seines Vorgängers.
Die Wähler verschwanden dadurch nicht, aber ihre Stimmen verteilten sich fortan auf mehrere flämisch-nationalistische Parteien. Analog kann man also davon ausgehen, dass ein AfD-Verbot Wasser auf die Mühlen von CDU, Bündnis Sahra Wagenknecht und kleinerer rechtsradikaler Parteien wäre. Durch die Fünfprozenthürde würden diese Parteien aber zusammen weniger Mandate bekommen als bei einer geschlossenen Stimmabgabe für eine Partei. Aber wie gesagt: Dieser Effekt tritt erst nach........
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