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Ursula von der Leyen: Für ihren Wahlkampf tut sie so, als sei Polen plötzlich ein Rechtsstaat

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10.05.2024

Am vergangenen Montag gab die Europäische Kommission plötzlich die Einstellung des Rechtsstaatsverfahrens gegen Polen bekannt. Für Polens neue Regierung und weite Teile der Bevölkerung ist das eine gute Nachricht: Zum einen bläst sie den Alarm ab, den die EU-Kommission 2017 geschlagen hat, nachdem die damalige Regierung der rechtspopulistischen PiS-Partei das polnische Verfassungsgericht entmachtet hatte. Damals hatte die Kommission erstmals ein Verfahren gestartet, das im Vertrag von Nizza als Reaktion auf die Regierungsbeteiligung der rechtspopulistischen FPÖ in Österreich eingeführt worden war: Mit entsprechenden Mehrheiten in Rat und Parlament kann die EU gegen einen Mitgliedstaat, der gegen die EU-Grundwerte verstößt, Sanktionen verhängen und ihn sogar seiner Stimmrechte im Rat der EU berauben.

Dafür braucht es aber Einstimmigkeit, aber Ungarn versprach, Polen mit einem Veto vor solchen Sanktionen zu schützen. Polens Regierung revanchierte sich mit einem Gegenversprechen, und so war für alle in der EU immer klar: Solange zwei oder mehr Staaten gegen EU-Grundwerte verstoßen und sich gegenseitig schützen, ergibt es keinen Sinn, das Verfahren anzuwenden. Jahrelang konnten Viktor Orbán und Jarosław Kaczyński so ihre Justiz demontieren und sich per Veto gegenseitig vor den Konsequenzen schützen. Wenn nun EU-Justizkommissarin Vera Jourova dem Rat vorschlägt, das Verfahren gegen Polen zu beenden, werden vermutlich (fast) alle erleichtert sein: Polen, die Kommission und fast alle anderen Mitgliedsländer.

Für die Öffentlichkeit ist dann klar, dass es, wie es in der Pressemitteilung der Kommission heißt, „in Polen keine eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der Rechtsstaatlichkeit“ mehr gibt. Das sei, so von der Leyen, das Ergebnis der harten Arbeit und der entschlossenen Reformbemühungen der neuen Regierung unter Donald Tusk. „Die jetzt stattfindende Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit ist eine großartige Nachricht für die Menschen in Polen und für unsere Union als Ganzes. Dies zeugt von der Widerstandsfähigkeit von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in Europa.“ Das sagt von der Leyen. Und liegt damit voll daneben.

Zwei Tage nach der Pressemitteilung trat Ursula von der Leyen beim 16. Europäischen Wirtschaftskongress in Kattowitz auf. Damit seine ganze Regierung dabei sein konnte, hatte Premierminister Donald Tusk extra eine Kabinettssitzung dahin verlegt. Aber von der Leyen kam gar nicht als Kommissionschefin, sondern als Wahlkämpferin: Sie sammelt nämlich zurzeit eifrig Unterstützung für ihre Wiederwahl nach den anstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament. Dafür braucht sie eine qualifizierte Mehrheit im Rat und eine absolute Mehrheit im Europäischen Parlament – sie muss also nicht nur möglichst viele konservative, liberale, grüne und gemäßigt linke Parteien hinter sich bringen, sondern auch mindestens 15 der 27 EU-Regierungen, die noch dazu mindestens 65 Prozent der gesamten EU-Bevölkerung repräsentieren müssen.

•gestern

•vor 25 Min.

08.05.2024

Die PiS-Partei, die große Probleme hat, sich in ihrer neuen Rolle als Opposition zurechtzufinden, beschimpft die neue Regierung gerne als Lakaien der Deutschen und der EU und Donald Tusk als Marionette von Olaf Scholz und Ursula von der Leyen, aber im Moment wird eher umgekehrt ein Schuh draus: Von der Leyen braucht die Unterstützung der polnischen Regierung und der Fraktionen im Europaparlament, in denen Vertreter der polnischen Vier-Parteienkoalition sitzen. Polen wird nämlich nach den Wahlen im Juni 53 Vertreter nach Straßburg schicken. Und der Einfluss Tusks, der fünf Jahre lang Präsident des Europäischen Rats und drei Jahre lang Vorsitzender der Europäischen Volkspartei war, ist auch nicht zu unterschätzen.

Die neue polnische Regierung dagegen braucht die Gelder aus den Struktur-, Kohäsions- und Wiederaufbaufonds, die von der Leyen bisher wegen der Gefahren für die Rechtsstaatlichkeit zurückgehalten hat. Ohne sie lassen sich die Rückstände in der Klima- und Energiepolitik, die die PiS-Regierung angehäuft hat, nicht aufholen, vom Bezahlen der Schulden, mit denen sie soziale Wohltaten finanziert und überall in der Welt Waffen bestellt hat, gar nicht zu reden. Das........

© Berliner Zeitung


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