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Ruanda: Dieser Völkermord gibt Historikern über die Gründe des Bösen Rätsel auf

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07.04.2024

Am 7. April jährt sich der Völkermord in Ruanda zum dreißigsten Mal. Es wird jede Menge feierlicher und betroffener Reden geben, das Land selbst wird eine Woche lang in kwibuka, also im Gedenken an den Völkermord erstarren und danach wird alles wieder so sein wie zuvor.

Ruanda ist ein Paradebeispiel für die Expansion westlicher Gedenkkultur nach Afrika, der zufolge man die Vergangenheit aufarbeiten muss, damit sie sich nicht wiederholt, wobei die Opfer im Mittelpunkt stehen müssten.

In Kigalis Buchläden kann man sogar Bücher finden, in denen gefordert wird, die Hutu sollten in die Fußstapfen deutscher Kanzler treten und öffentlich um Verzeihung bitten, wie das deutsche Kanzler (angeblich) in Yad Vashem taten. Die Gleichsetzung des Völkermords mit dem Holocaust, der Tutsi mit den Juden und der Hutu mit den Deutschen geht sogar soweit, dass im zentralen Völkermord-Museum auf dem Gisozi-Hügel an eine Episode des Völkermords erinnert wird, während der Tutsi sich „nicht wie die Schafe zur Schlachtbank“ führen ließen, sondern sich mit traditionellen und handgemachten Waffen gegen schwerbewaffnete Milizen wehrten. „Das Warschauer Ghetto Ruandas“ nennt das ein Buch.

Dabei können die Ruander gar nicht so viel aus der deutschen Geschichte lernen. Umgekehrt dagegen schon. Was vor dreißig Jahren in Ruanda geschah, ist bestens geeignet, einige unserer langgehegten und populär gewordenen Gewissheiten über uns und die Welt zu erschüttern.

Am 7. April 1994 wurde über dem Flughafen von Kigali eine französische Maschine mit Juvenal Habyarimana, dem Präsidenten von Ruanda und seinem burundischen Amtskollegen an Bord abgeschossen. Beide Präsidenten und die gesamte französische Besatzung waren auf der Stelle tot. Kurz darauf brachen in der ruandischen Hauptstadt Unruhen aus, zahlreiche Politiker und Intellektuelle wurden ermordet, überall in der Stadt Straßenbarrikaden errichtet und es begann die systematische Ermordung der Minderheit der Tutsi durch die Bevölkerungsmehrheit der Hutu.

Die Täter – und mit ihnen viele Autoren – stellten das als spontanen Wutausbruch der Hutu-Bevölkerung gegen die Tutsi dar, die so die Ermordung des Präsidenten rächen wollten. Wer dessen Flieger abschoss, ist bis heute nicht geklärt, aber aus der Sicht der damaligen Regierungsanhänger mussten es Tutsi-Rebellen gewesen sein. Gegen die Theorien vom Ausbruch einer spontanen Volkswut, die durch einen jahrhundertelangen „ethnisch Konflikt zwischen Hutu und Tutsi“ angefacht worden war, sprechen allerdings die inzwischen bekannt gewordenen Tatsachen.

05.04.2024

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Nach dem plötzlichen Tod des Präsidenten, der bis heute nicht aufgeklärt ist, herrschte kein Machtvakuum in Ruanda. Die Verfassung hatte eine klare Rollenverteilung für die Nachfolgeregelung. Nur dass die Personen, die darin eine Rolle spielen sollten, innerhalb kürzester Zeit von Armeeeinheiten, Mitgliedern der Präsidentengarde und regierungsfreundlichen Milizen umgebracht wurden. Das Machtvakuum entstand nicht, es wurde erst gemacht und dann von einer Militärjunta um den Oberst Théoneste Bagosora gefüllt.

Als klar war, dass weder die UNO noch die westlichen Geberländer eine Militärregierung akzeptieren würden, schuf Bagosora eine zivile Regierung als Fassade. Dahinter gab er den bewaffneten Einheiten die Befehle: Der Armee, der führerlosen Präsidentengarde und den Hutu-Parteimilizen, die sich bereits Jahre zuvor gebildet hatten und von der Armee insgeheim bewaffnet worden waren.

Während die Armee (unterstützt von französischen Truppen) hauptsächlich damit beschäftigt war, die Angriffe der Tutsi-dominierten „Ruandischen Patriotischen Front“ (RPF) im ruandisch-ugandischen Grenzgebiet abzuwehren, konnten sich die Milizen, die Präsidentengarde und die Gendarmerie ganz auf das zweite Ziel der Junta konzentrieren: das Tutsi-Problem „ein für alle Mal“ zu lösen. Und so breiteten sich die Massaker, die nach dem Flugzeugabsturz in Kigali begonnen hatten, von Woche zu Woche weiter in die Provinz aus.

Es mordeten Milizen, ad hoc gebildete Banden, die von Haus zu Haus gingen und Tutsi suchten, Tutsi in Stadien, Schulen und Kirchen lockten und dort mit Macheten, Granaten, Schusswaffen und selbstgemachten Waffen ermordeten und verscharrten, einfache Bürger, die Straßensperren kontrollierten und jeden, der „Tutsi“ in seinem Ausweis stehen hatte oder gar keinen Ausweis vorweisen konnte, den Milizen übergaben, die sie dann an Ort und Stelle erschlugen. In vielen Fällen ist die Systematik des........

© Berliner Zeitung


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