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Kein Vertrauen in die Eliten: Wenn „mehr direkte Demokratie“ zur Diktatur führen kann

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04.05.2024

Die Zahl der Demokratien geht seit einiger Zeit weltweit zurück und mehr und mehr Menschen leben in Ländern, die nicht demokratisch regiert werden. Unklar ist nur, warum das so ist – und was man dagegen tun kann. Oder, um es mit anderen Worten auszudrücken: Wer ist denn da verrückt geworden, die Bürger oder die, die sie regieren? Denn Demokratie ist für beide gut, auch wenn ihnen das nicht immer ganz klar ist. Die einfachen Bürger schützt Demokratie vor der Willkür der Herrschenden. Wenn die einfach durchregieren und dabei die Grundrechte ihrer Bürger verletzen, können diese vor Gericht ziehen. Funktioniert der Rechtsstaat, bekommen die Regierung, der Bürgermeister oder die Polizei vom Gericht was auf die Finger. Außer, die Justiz ist korrupt oder das Land autoritär – dann bekommt im Zweifelsfall der recht, der die Macht hat.

Das klingt so, als sei Demokratie gut für die Regierenden, aber das täuscht. Es ist nur solange gut für sie, wie sie an der Macht sind. Verlieren sie die, werden alle diejenigen, die sie unterdrückt und benachteiligt haben, versuchen, sich an ihnen zu rächen. Ist das Land autoritär, trifft sie die harte Hand der neuen Regierung mit voller Härte. So passiert das dann meistens nach einem Militärputsch: Die neuen Machthaber werfen die alten ins Gefängnis, jagen sie in die Emigration, enteignen sie und ihre Helfer und Verwandten oder lassen die alten Herrscher sogar einfach hinrichten. Nur in Demokratien geht das nicht so einfach: Da entscheiden dann unabhängige Richter über die Strafe und die alten Machthaber haben das Recht auf einen Anwalt und auf ein faires Verfahren.

Wenn Demokratie so viele Vorteile hat, warum ist sie dann auf dem Rückzug? Weil die Herrschenden das so wollen oder weil die Beherrschten die Nase voll davon haben? Die bundesdeutsche Debatte über populistische Wahlerfolge, Politverdrossenheit und Demokratie-Skepsis in Ostdeutschland suggeriert: Da ist was an der Basis kaputtgegangen. Wenn in manchen Ländern eine Partei, die von allen anderen Parteien für undemokratisch gehalten wird, so viel Unterstützung hat, dass sie nach den Landtagswahlen vielleicht regieren kann, dann haben offenbar die Wähler ein Problem mit der Demokratie. Das mag für einzelne Länder und Wählergruppen stimmen – den weltweiten Trend weg von der Demokratie erklärt es aber nicht. Der hat nämlich ganz andere Ursachen.

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•vor 3 Std.

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Die einschlägigen Demokratie-Erhebungen ermitteln in der Regel nur, ob die Befragten „Demokratie für die bestmögliche Regierungsform halten“ und ob sie mit dem Funktionieren der Demokratie in ihrem Land (und in Europa, auch in der EU) zufrieden sind. Das liefert selten Überraschungen: Selbst in undemokratischen Ländern ist oft eine Mehrheit für die Demokratie, manchmal, weil sie ihr Land selbst irrtümlich für eine Demokratie halten, manchmal, weil sie die Diktatur, in der sie leben, gerne abschaffen möchten.

Interessanter wird’s, wenn man danach fragt, was die Befragten denn so unter Demokratie verstehen. Forscher des „European Social Survey“ haben das getan und dabei große Unterschiede zwischen den Ländern und sogar zwischen den Wählerschaften der einzelnen Parteien festgestellt. In West- und Nordeuropa dominiert demnach das liberale Demokratiemodell: Dort verlangt die Mehrheit nicht nur Wahlen, sondern auch Rechtsstaatlichkeit, Gleichheit vor dem Recht und........

© Berliner Zeitung


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