Israel: Dem Internationalen Strafgerichtshof könnte der Haftbefehl gegen Netanjahu seine Existenz kosten
Die Entscheidung war überraschend, aber die Reaktionen waren es nicht. Am Donnerstag gab die zuständige Kammer des Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag die Ausstellung von Haftbefehlen auf den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu und seinen (inzwischen entlassenen) Verteidigungsminister Yoav Gallant sowie einen Hamas-Führer, der nach israelischen Angaben schon seit geraumer Zeit tot ist, bekannt.
Bei Al Jazeera, das in der Nahost-Berichterstattung inzwischen eine Art Hamas-TV geworden ist, galt das sofort als „Anerkennung der Opfer des Völkermords“, den Israel dort angeblich verübt, obwohl in den Haftbefehlen Völkermord gar nicht vorkommt. Israelische Politiker, egal ob in der Opposition oder in der Regierung, empörten sich über die Entscheidung, münzten die Haftbefehle gegen zwei Personen zu einer Anklage gegen das Land Israel um oder taten so, als habe der IStGH die beiden Politiker zur Festnahme ausgeschrieben, weil sie „kompromisslos gegen Terrorismus“ und „für das Überleben Israels“ kämpften.
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Tatsächlich werfen die Ankläger und Richter Netanjahu und Gallant vor, die Zivilbevölkerung im Gaza-Streifen ausgehungert zu haben, was weder für die Bekämpfung der Hamas noch für die Selbstverteidigung Israels notwendig war. Laut IStGH, der sich damit in sicherem völkerrechtlichem Fahrwasser befindet, hat Israel als Besatzungsmacht im Gaza-Streifen die Pflicht, für Sicherheit, Ordnung und das Wohlergehen der Zivilbevölkerung zu sorgen, hat es aber versäumt (vorsichtig ausgedrückt), die Krankenhäuser dort mit Anästhesiemitteln- und Geräten zu versorgen, wodurch Menschen, darunter Kinder, ohne Betäubung operiert werden mussten.
Damit habe die israelische Regierung „großes Leiden“ verursacht, was ein Kennzeichen eines „Verbrechens gegen die Menschlichkeit“ ist. Überhaupt ist der Haftbefehl ziemlich eng und präzise – er wirft keinem der beiden Politiker pauschal Völkermord vor, sondern beschränkt sich auf einige wenige Ausschnitte aus dem Gaza-Krieg, in denen israelische Streitkräfte ohne militärische Notwendigkeit gegen Zivilisten vorgingen, sie umbrachten oder ihnen „großes Leid“ zufügten. Ähnliche Vorwürfe waren auch in den Anträgen auf Haftbefehle gegen drei Hamas-Führer enthalten. Die sind inzwischen allerdings obsolet geworden, weil zwei davon nachweislich tot sind und einer nach einem israelischen Anschlag vermisst wird. Da sein Tod nicht bestätigt ist, haben die Richter trotzdem einen Haftbefehl auf ihn ausgestellt.
Natürlich gab es auch wieder die üblichen Anschuldigungen, dieses Mal gegen die IStGH-Richter und nicht, wie im Sommer, gegen Chefankläger Karim Khan, die Demokratie Israel mit der Terrororganisation Hamas auf eine Stufe zu stellen. Nur dass der IStGH eben – anders als der Internationale Gerichtshof (IGH) – gar keine Staaten richtet, sondern nur Einzelpersonen.
Für die israelische Regierung ist das eine schallende Ohrfeige und eine weitere PR-Katastrophe. Wie William Schabas, der wohl weltbeste Experte für Völkermord, vor kurzem bemerkte, hat sich das Völkermord-Label für die Kämpfe in Gaza inzwischen in weiten Teilen der Welt durchgesetzt, – im Gegensatz zur Ukraine, zum Sudan und dem Ostkongo. Auch dort hat bisher kein Gericht ein Völkermordurteil........
© Berliner Zeitung
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