Wenn der Westen die Waffenlieferungen an die Ukraine einstelle, wäre der Krieg innerhalb von Wochen vorbei, äußerte der russische Präsident Wladimir Putin im Gespräch mit Tucker Carlson. Er hat das oft wiederholt, es ist gewissermaßen die inoffizielle Antwort auf Wolodymyr Selenskyjs Behauptung, der Krieg sei sofort zu Ende, wenn Russland seine Truppen aus der Ukraine zurückziehe. Und Donald Trump war da sogar noch optimistischer: Er könne den Krieg innerhalb von 24 Stunden beenden, sollte er wiedergewählt werden.

Alle diese Äußerungen haben eine Menge Kritik und Häme hervorgerufen. Aber wir leben in einer Zeit, in der man den Bürger und seine Ängste ernst nehmen soll (weil er sonst womöglich die AfD, Trump oder Sahra Wagenknecht wählt), also habe ich analog beschlossen, dieses Mal nicht die Ängste, sondern die Hoffnungen dieser Politiker und ihrer Unterstützer ernst zu nehmen, und mir zu überlegen, was passiert, wenn es zu einem Sofort-Frieden in der Ukraine kommt.

Mit Trump ist das noch relativ einfach: Einen „Deal“ mit Putin kann er in so kurzer Zeit nur machen, wenn er ihm alles gibt, was Putin will und Selenskyj dabei vollkommen übergeht. Trump fliegt also nach Moskau (oder sie treffen sich in einem Drittland, indem Putin nicht zu Fahndung ausgeschrieben ist), nimmt Putin das Versprechen ab, keine weiteren Eroberungen zu machen und verkündet dann die Einstellung jeglicher Hilfe für die Ukraine, fordert die Verbündeten der USA auf, es ihm nachzumachen oder droht ihnen sogar mit Sanktionen, wenn sie es nicht tun. Der Krieg geht dann trotzdem nicht sofort zu Ende, denn selbst wenn alle Trumps Aufforderung brav folgen, dauert es sicher einige Wochen und Monate, bis der ukrainischen Armee die Munition ausgeht. So gesehen ist das Putin-Szenario da realistischer als das Trump-Szenario.

Das Problem damit ist nur, dass niemand, weder Trump noch Putin, darüber redet, was danach kommt. Deshalb kann ich nur vermuten, dass alle, die ihre Hoffnung auf ein solches Szenario setzen, stillschweigend davon ausgehen, dass dann alles wieder gut wird, soll heißen: so wie vorher. Doch soweit ich zurückgehe in der Geschichte und je mehr Vergleiche mit anderen Kriegen ich anstelle, ich kann nirgendwo ein Beispiel dafür finden, dass das auch wirklich einmal eingetreten ist. Nirgendwo und niemals war es nach einem Krieg wieder so wie vorher.

13.02.2024

15.02.2024

16.02.2024

•gestern

16.02.2024

Der Erste Weltkrieg dauerte nur vier Jahre, anschließend waren alle ärmer als sie vorher gewesen waren, hatten Millionen Tote zu beklagen und Millionen Kriegsversehrter und Flüchtlinge zu versorgen. Die Verlierer kultivierten Rachegedanken und bereiteten den nächsten Krieg vor, die Gewinner schlossen sich zusammen, rüsteten auf, um sich gegen die Rachelustigen schützen zu können.

Wie also wird es dann dieses Mal sein?

Es gibt da grundsätzlich zwei Szenarien. Das erste geht davon aus, dass Trump und Putin den Status quo festschreiben. Die annektierten Gebiete bleiben russisch, Russland bekommt vielleicht noch ein wenig dazu, aber versucht nicht mehr, nach Kiew zu marschieren und dort eine prorussische Regierung zu installieren. Gehen wir mal davon aus, dass Putin (und seine möglichen Nachfolger) sich an diese Absprache halten, was angesichts der letzten zehn Jahre nicht einfach ist. Denn da hat Putin ja mehrfach erklärt, die ukrainischen Grenzen anzuerkennen, kein Interesse an der Krim zu haben und keine Invasion in die Ukraine zu planen, nur um dann die ukrainischen Grenzen zu verletzen, die Krim zu annektieren und von drei Windrichtungen in die Ukraine einzumarschieren. Gehen wir trotzdem davon aus, dass er dieses Mal Wort hält.

Dann wird er es in Kiew mit einer Regierung zu tun haben, die alles unternehmen wird, um das Ergebnis des Trump-Putin Deals ungeschehen zu machen, und zwar ganz egal, ob sie das auch wirklich will oder nicht. Nach dem 22. Februar 2022 sind zunächst etwa 7 Millionen ukrainische Flüchtlinge ins Ausland geflohen, darunter knapp eine Million nach Russland. Acht Millionen wurden Binnenvertriebene in der West- und Zentralukraine. Zieht man die Flüchtlinge in Russland davon ab, ergibt das eine Population von insgesamt ungefähr 13 Millionen Menschen, die inzwischen stark politisiert, extrem anti-russisch und vom Wunsch getrieben sind, in ihre Heimat zurückzukehren. Das sind 27 Prozent der gesamten ukrainischen Vorkriegsbevölkerung und damit ein gefundenes Fressen für radikale, nationalistische Parteien, die jeden Versuch boykottieren werden, auf die von Russland annektierten Gebiete zu verzichten, ein wenig wie die Christdemokraten in der alten Bundesrepublik, die sich bis in die siebziger Jahre gegen jeden Versuch wehrten, den Verlust der Ostgebiete anzuerkennen.

Das muss uns im Westen nicht den Schlaf rauben; den Franzosen und Briten hat die CDU damals ja auch nicht den Schlaf geraubt. Jeder wusste, die Christdemokraten eingeschlossen, solange auf der anderen Seite der Mauer die sowjetischen Panzer stehen und die USA kein Interesse an einem Atomkrieg haben, bleiben die Ostgebiete bei Polen und der UdSSR und Sudetendeutsche und sonstige Heimatvertriebene müssen sich damit abfinden. Damit ist die Analogie aber auch erschöpft.

Spektakuläres Szenario: Beenden Russen und Ukrainer ihren Krieg auf eigene Faust?

•gestern

Deutscher Ex-Botschafter zum Ukraine-Krieg: „Auf allen Seiten Propaganda im Spiel“

16.02.2024

Ein plötzliches Abbrechen der westlichen Unterstützung für die Ukraine hat aber noch ganz andere Folgen: der Kurs der Hrywnja stürzt dann ins Bodenlose. Darauf kann die ukrainische Regierung mit einer drastischen Devisenbewirtschaftung reagieren, was sie ja jetzt schon ein wenig tut. Nur hat sie dann keine milliardenschweren Hilfspakete mehr, um den Kurs zu stabilisieren. Es passiert dann das Gleiche, wie die älteren unter uns das aus der DDR oder dem „ehemaligen Ostblock“ kennen: Die Regierung setzt einen Phantasie-Kurs fest, zu dem offizielle Transfers abgerechnet werden müssen, und alles andere regelt der Schwarzmarkt.

Das wiederum bedeutet einen gigantischen Anreiz für alle arbeitsfähigen Ukrainer und Ukrainerinnen, sich in andere Länder zu begeben und sich dort Arbeit zu suchen. Vielleicht können wir damit dem Fachkräftemangel abhelfen, aber wir bekommen dann auch noch weitere Millionen an ukrainischen Wirtschaftsimmigranten. Das ist der Teil des Szenarios, den ich besonders AfD- und Wagenknecht-Anhängern widme: Der Preis für einen schnellen Frieden in der Ukraine ist noch mehr Einwanderung in noch kürzerer Zeit als bisher – und zwar selbst dann, wenn Russland dabei so friedfertig und niedlich bleibt, wie sie es in den letzten Jahren immer wieder gemalt haben.

Um einem Einwand gleich zuvorzukommen: nein, verhindern kann man das nicht einmal mit Gewalt. Denn so schnell, wie sich diese Wanderungsbewegung nach einem schnellen Trump-Putin-Pakt in Bewegung setzen wird, kann niemand eine Mauer an der polnischen, tschechischen, österreichischen und schweizerischen Grenze bauen. Zumal Ukrainer, wenn die anderen Schengen-Mitglieder nicht beim Mauerbauen mitziehen, ja genauso gut auch über Frankreich, Belgien und die Niederlande einwandern können. Und ganz abgesehen davon, dass Mauern nur dann funktionieren, wenn mindestens eines der angrenzenden Länder eine ziemlich brutale Diktatur ist. Also etwa so wie an der innerdeutschen und an der innerkoreanischen Grenze.

Es könnte natürlich auch sein, dass dieser Trump-Putin-Pakt gar nicht dazu führt, dass der Status quo eingefroren wird, sondern Putin entweder grünes Licht von Trump bekommt, oder es sich nimmt und vom Donbass und Belarus aus in Kiew einmarschiert. Ohne westliche Unterstützung für die Ukraine könnte das gelingen.

Dann können Wolodymyr Selenskyj und seine Regierung entweder kapitulieren und, um einem Schauprozess und der Hinrichtung zu entgehen, nach Florida fliehen, oder, so lange es geht, weiterkämpfen, allerdings nicht mehr wie eine reguläre Armee, sondern wie eine Partisanenarmee, vielleicht zunächst von Lwiw oder einer anderen westukrainischen Stadt aus und danach als Exilregierung aus Vilnius oder Rzeszów. Damit haben die Ukrainer jede Menge Erfahrung aus der Zeit, als ukrainische Siedlungsgebiete unter Polen, Österreich, Ungarn und Russland aufgeteilt waren. In Deutschland ist wenig bekannt, dass es nach dem Zweiten Weltkrieg noch bis in die frühen sechziger Jahre ukrainische Partisanen gab, die sich mit sowjetischen Einheiten Gefechte lieferten, also in einer Zeit, als in Westeuropa schon seit einer Generation Frieden herrschte.

Dass das so kam, lag beileibe nicht nur an der Kriegsmüdigkeit der Deutschen, sondern in erster Linie daran, dass die Alliierten darum wetteiferten, die Deutschen im Kalten Krieg auf ihre Seite zu ziehen. Im Westen gab es mehr oder weniger rechtsstaatliche Prozesse, eine bürokratische Entnazifizierung, im Osten Enteignungen und einige Schauprozesse, dann kamen die beiden Republik-Gründungen und die Härten der Besatzung waren vorbei. Die Deutschen flohen nicht vor den Alliierten, weil diese sie nicht dazu zwangen. Die Ukrainer, die nach einem Putin-Trump-Pakt auf russischen Panzern in ihre Heimat zurückkehren, haben alle noch Rechnungen offen, die sie begleichen wollen.

Die bisherigen Flüchtlingsbewegungen geben einen klaren Hinweis darauf, dass sie nicht darauf rechnen können, mit Brot und Salz begrüßt zu werden. Siebenmal so viele Ukrainer sind nach dem Februar 2022 nach Westen geflohen als nach Russland – und da sind die Binnenflüchtlinge noch gar nicht mitgerechnet. Und die meisten der Geflüchteten kamen aus dem Osten und Südosten der Ukrainer und waren russischsprachig. Selbst wenn sich die russische Armee auf dem Vormarsch Richtung Lwiw keinerlei Kriegsverbrechen mehr erlaubt, wird die ukrainische Bevölkerung darauf genauso reagieren wird wie die deutsche Bevölkerung am Ende des Zweiten Weltkrieges auf den Vormarsch der Roten Armee: sie werden fliehen, weil sie Massaker erwarten. Das müsste eigentlich den hartgesottensten Trump-Anhängern und Putin-Fans selbst dann klar sein, wenn er davon ausgeht, dass „Butscha“, „Irpin“ und „Kramatorsk“ alles nur Propagandaerfindungen des (Putin-Originalton) „Kiewer Regimes“ waren. Wenn alle glauben, dass es russische Massaker waren, werden sie sich so verhalten, als seien es welche gewesen.

Das wiederum bedeutet, dass der Zustrom an ukrainischen Flüchtlingen nach Westeuropa noch größer wird, als bei einem Einfrieren des Konflikts durch einen Putin-Trump-Pakt. Aber damit ist dieser Alptraum noch gar nicht ausgeträumt. Dass mit der Installierung einer prorussischen Regierung in Kiew Ruhe und Frieden einkehrt, kann man nur annehmen, wenn man zugrunde legt, dass die Ukrainer tatsächlich slawische Brüder der Russen sind und nur von einer Selenskyj-Diktatur davon abgehalten wurden, sie als Befreier zu begrüßen.

Alle Meinungsumfragen und Wahlergebnisse der letzten zehn Jahre sagen aber etwas anderes, nämlich dass die Aufstände im Donbass, die Annexion der Krim und die Invasion von 2022 aus einem der russenfreundlichsten Länder der Welt eines gemacht haben, in dem Russen und Russland mehr gehasst werden als irgendwo anders. Diese Zahnpasta kann nicht einmal Putin mehr in die Tube zurückdrücken. Wo sich vor dreizehn Jahren noch Befürworter und Gegner einer EU-Integration die Waage hielten, ist jetzt eine klare absolute Mehrheit für einen EU- und Nato-Beitritt. Und selbst Ukrainer, deren Muttersprache Russisch ist (was sie, anders als Putin behauptet, keineswegs zu Russen machte), reden in der Öffentlichkeit jetzt demonstrativ ukrainisch.

Ich finde das ja schade, aber so ist die Welt nun einmal: haben Krieg und Gewalt erst einmal um sich gegriffen, gibt’s keinen Weg mehr zurück. Das wiederum heißt: eine solche prorussische Besatzungsregierung in Kiew kann sich nur mit Gewalt halten, das heißt, wenn im ganzen Land dauerhaft russische Truppen stationiert werden. Und sie muss mit Anschlägen und Angriffen rechnen. Also wird sie dafür sorgen, dass Leute, die mit ihren Gegnern sympathisieren, ruhiggestellt werden. Das klingt harmloser, als es gemeint ist. Aber selbst wenn Putin nicht Viktor Medwedschuk und Viktor Janukowitsch als Statthalter nach Kiew schickt, sondern irgendwelche menschlichen Engel ohne Hass- und Rachegefühle, so werden sie schon aufgrund der Reaktion von Selenskyjs Unterstützern dazu gezwungen sein, die Bevölkerung systematisch zu durchleuchten, um potentiell illoyale oder gar feindliche Elemente zu isolieren. Soll heißen: Es wird dann Anreize geben, solche Leute zu denunzieren und dann werden sie verhört, gefoltert, weggesperrt oder umgebracht. Der Frieden, der dann in der Ukraine einkehren wird, wird also eine Art Friedhofsfrieden sein.

Rückzug aus Awdijiwka: „Professionelle Entscheidung“ oder weiteres Zeichen des Scheiterns?

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Putin verrät „einziges Bedauern“ in Bezug auf den Ukraine-Krieg

gestern

Für einen bundesdeutschen Friedensfreund, dem vor allem daran liegt, eine Eskalation des Krieges und ein Überschwappen nach Deutschland zu verhindern, ist das vielleicht nicht so schlimm. Er muss, um so etwas zu rechtfertigen, ja nicht unbedingt Zyniker sein, sondern kann auch einfach davon ausgehen, dass Massenverhaftungen und Folter für Regimegegner (oder für Opfer von Denunzianten) nicht so schlimm sind wie eine Ausweitung des Krieges auf Nato-Gebiet.

Das Problem damit ist nur, dass ein solches Regime in Kiew natürlich jegliche Wirtschaftshilfe und selbst Handel mit der Ukraine hinfällig macht. Da könnte man ja auch gleich in Putins Kriegskasse einzahlen. Denn was dann an westlichen Geldern nach Kiew geht, landet ja bei Putins dortigen Statthaltern. Ohne westliche Hilfe und ohne Überweisungen von ukrainischen Gastarbeitern in Hartwährungsländern geht der Hrywna-Kurs aber vollkommen vor die Hunde – und die Anreize für Ukrainer zum Auswandern werden noch stärker.

Am Ende dieses Wegs befinden sich in der Ukraine wirklich nur noch ein paar Millionen vollkommen prorussischer oder apathischer Ukrainer und alle anderen sind hier bei uns, arbeiten hier und spenden insgeheim für Partisanen und Exilpolitiker, die Attentate und Anschläge in der Ukraine und Russland anzetteln, etwa so, wie das die Kosovo-Albaner vor 1999 auch getan haben. Oder die Tschetschenen oder die Polen im 19. Jahrhundert und natürlich die Ukrainer selbst auch, von Österreich-Ungarn und später dann von Polen und Deutschland aus. Man sieht: je plötzlicher der Frieden kommt, desto mehr Probleme bekommen wir damit.

Bei all diesen Erwägungen habe ich jetzt die Möglichkeit eines Super-Friedens-GAUs ganz außer Acht gelassen. Das nämlich wäre es, würde Putin einen wie immer gearteten „Deal“ mit Trump so behandeln, wie Kim Jong-un seinen Deal mit Trump – als Ermutigung, einfach so weiterzumachen. Das ist ja das Hauptargument der Gegner einer Einstellung der westlichen Hilfe für die Ukraine: dann steht die russische Armee erst an der polnischen und dann an der deutschen Grenze.

Trumps kurioser Wahlkampf-Ankündigung, Russland gegen säumige Nato-Zahler aufzuhetzen, hat diesen Ängsten ja jede Menge Nahrung gegeben. Genauer betrachtet ist es gar keine Drohung, sondern eine neue Eskalation auf der nach oben offenen MAGA-Blödsinn-Skala. Denn alle Nato-Mitgliedsländer, die an Russland grenzen, liegen weit über dem Zwei-Prozent Ziel, das sich die Nato auferlegt hat. Diejenigen, die darunter liegen, sind in der Regel ziemlich weit von Russland entfernt. Eins davon, Frankreich, ist sogar Atommacht. Andere, wie Deutschland, haben inzwischen erhebliche Truppenkontingente in den Ländern stehen, die über das Zwei-Prozent-Ziel hinausschießen und – streng nach Trumps Logik – deshalb von den USA mit Zähnen und Klauen verteidigt werden würden.

Dass die Äußerung selbst nach Trumpschen Kriterien Nonsens ist, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein Präsident Trump in seiner zweiten Amtszeit aus der Nato austreten oder per Kurznachricht den Atomschirm über einzelnen Ländern zusammenfalten, oder US-Truppen aus Europa abziehen kann. Die Wirkung wäre genauso verheerend.

In Deutschland ist es sehr populär, jede Handlung von ihrem schlimmstmöglichen Ende her zu denken. Aber zum einen ist die Geschichte der Menschheit voller Weltuntergangsszenarien, von denen bisher kein einziges wahr geworden ist. Zum anderen gilt das in Deutschland nur für Kriege, besonders für Kriege mit Russland. Wo Deutsche den Atomtod am Horizont aufziehen sehen, sehen Franzosen eine Revolution und Polen eine erneute Teilung Polens – ein deutliches Zeichen dafür, dass solche Szenarien nicht Ausdruck rationaler Erwägungen, sondern tiefverwurzelter kollektiver Traumata sind.

Jenseits dieser Traumata sollte klar sein: ja, die russische Armee will vielleicht an die deutsch-polnische Grenze (und vielleicht sogar weiter), aber sie kann es nicht. Im Moment hat Russland alle Hände und Leichenwagen voll zu tun, um Gegenden in der Ostukraine zu erobern, die es erst vor anderthalb Jahren annektiert hat. Weil wir Waffen an die Ukraine liefern, findet dieser Konflikt immer noch dort statt, und nicht weiter westlich.

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Die bisherige Hilfe für die Ukraine hat die Nebenfolge, dass sie das Risiko einer Eskalation zwischen Russland und Nato erhöht. Aber gleichzeitig sorgt sie dafür, dass die meisten Ukrainer in der Ukraine bleiben und viele ukrainische Auswanderer und Flüchtlinge dahin zurückkehren oder ihre Verwandten (und damit indirekt ihre Währung) mit Devisenüberweisungen unterstützen können. Ohne diese Hilfe – mit Waffen und Wirtschafts- und Finanzhilfe – geht das nicht mehr, dann werden, je nach Szenario, viele oder fast alle Ukrainer von Binnenflüchtlingen zu Vertriebenen.

Anders ausgedrückt: So wie die Lage jetzt (noch) ist, sind wir zwar Kriegspartei, aber wir haben es geschafft, mit Russland ein stillschweigendes Übereinkommen darüber zu erzielen, dass der Konflikt auf die Ukraine begrenzt bleibt. Bis jetzt kämpfen die Ukrainer gegen Russland auf dem Gebiet der Ukraine. Nach einem schnellen Friedensschluss über die Köpfe der ukrainischen Regierung hinweg, wie das Trump und Putin vorschwebt, ist es damit vorbei. Dann gibt es zwar keine Artillerie-Gefechte im Donbass mehr, aber dafür haben wir dann in unseren Städten Schutzgelderpresser, Rauschgifthändler und radikale Nationalisten, die mit ihren Einnahmen eine Partisanenarmee in der Ukraine finanzieren und dabei vom russischen Geheimdienst unterwandert werden. Und Länder wie Estland, Lettland, Polen, Rumänien und die Slowakei bekommen dann Flüchtlingslager, in denen diese Partisanen Kämpfer für den Einsatz in der Ukraine rekrutieren, was, wie die Geschichte anderer Konflikte zeigt, eine nahezu perfekte Methode ist, den Krieg auf das Gebiet dieser Länder auszudehnen.

Das Drehbuch für den schnellen Frieden von heute auf morgen, den Trumpschen Zauberstab, der das Morden beendet, den gibt es nicht. Entweder der Krieg bleibt in der Ukraine, groß, bedrohlich aber fern, oder er kommt zu uns, als Kleinkrieg (wie Militärs das früher nannten), weniger bedrohlich, aber dafür hautnah und mit ganz vielen Flüchtlingen.

QOSHE - Ein Sofort-Frieden in der Ukraine hat einen hohen Preis - Klaus Bachmann
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Ein Sofort-Frieden in der Ukraine hat einen hohen Preis

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18.02.2024

Wenn der Westen die Waffenlieferungen an die Ukraine einstelle, wäre der Krieg innerhalb von Wochen vorbei, äußerte der russische Präsident Wladimir Putin im Gespräch mit Tucker Carlson. Er hat das oft wiederholt, es ist gewissermaßen die inoffizielle Antwort auf Wolodymyr Selenskyjs Behauptung, der Krieg sei sofort zu Ende, wenn Russland seine Truppen aus der Ukraine zurückziehe. Und Donald Trump war da sogar noch optimistischer: Er könne den Krieg innerhalb von 24 Stunden beenden, sollte er wiedergewählt werden.

Alle diese Äußerungen haben eine Menge Kritik und Häme hervorgerufen. Aber wir leben in einer Zeit, in der man den Bürger und seine Ängste ernst nehmen soll (weil er sonst womöglich die AfD, Trump oder Sahra Wagenknecht wählt), also habe ich analog beschlossen, dieses Mal nicht die Ängste, sondern die Hoffnungen dieser Politiker und ihrer Unterstützer ernst zu nehmen, und mir zu überlegen, was passiert, wenn es zu einem Sofort-Frieden in der Ukraine kommt.

Mit Trump ist das noch relativ einfach: Einen „Deal“ mit Putin kann er in so kurzer Zeit nur machen, wenn er ihm alles gibt, was Putin will und Selenskyj dabei vollkommen übergeht. Trump fliegt also nach Moskau (oder sie treffen sich in einem Drittland, indem Putin nicht zu Fahndung ausgeschrieben ist), nimmt Putin das Versprechen ab, keine weiteren Eroberungen zu machen und verkündet dann die Einstellung jeglicher Hilfe für die Ukraine, fordert die Verbündeten der USA auf, es ihm nachzumachen oder droht ihnen sogar mit Sanktionen, wenn sie es nicht tun. Der Krieg geht dann trotzdem nicht sofort zu Ende, denn selbst wenn alle Trumps Aufforderung brav folgen, dauert es sicher einige Wochen und Monate, bis der ukrainischen Armee die Munition ausgeht. So gesehen ist das Putin-Szenario da realistischer als das Trump-Szenario.

Das Problem damit ist nur, dass niemand, weder Trump noch Putin, darüber redet, was danach kommt. Deshalb kann ich nur vermuten, dass alle, die ihre Hoffnung auf ein solches Szenario setzen, stillschweigend davon ausgehen, dass dann alles wieder gut wird, soll heißen: so wie vorher. Doch soweit ich zurückgehe in der Geschichte und je mehr Vergleiche mit anderen Kriegen ich anstelle, ich kann nirgendwo ein Beispiel dafür finden, dass das auch wirklich einmal eingetreten ist. Nirgendwo und niemals war es nach einem Krieg wieder so wie vorher.

13.02.2024

15.02.2024

16.02.2024

•gestern

16.02.2024

Der Erste Weltkrieg dauerte nur vier Jahre, anschließend waren alle ärmer als sie vorher gewesen waren, hatten Millionen Tote zu beklagen und Millionen Kriegsversehrter und Flüchtlinge zu versorgen. Die Verlierer kultivierten Rachegedanken und bereiteten den nächsten Krieg vor, die Gewinner schlossen sich zusammen, rüsteten auf, um sich gegen die Rachelustigen schützen zu können.

Wie also wird es dann dieses Mal sein?

Es gibt da grundsätzlich zwei Szenarien. Das erste geht davon aus, dass Trump und Putin den Status quo festschreiben. Die annektierten Gebiete bleiben russisch, Russland bekommt vielleicht noch ein wenig dazu, aber versucht nicht mehr, nach Kiew zu marschieren und dort eine prorussische Regierung zu installieren. Gehen wir mal davon aus, dass Putin (und seine möglichen Nachfolger) sich an diese Absprache halten, was angesichts der letzten zehn Jahre nicht einfach ist. Denn da hat Putin ja mehrfach erklärt, die ukrainischen Grenzen anzuerkennen, kein Interesse an der Krim zu haben und keine Invasion in die Ukraine zu planen, nur um dann die ukrainischen Grenzen zu verletzen, die Krim zu annektieren und von drei Windrichtungen in die Ukraine einzumarschieren. Gehen wir trotzdem davon aus, dass er dieses Mal Wort hält.

Dann wird er es in Kiew mit einer Regierung zu tun haben, die alles unternehmen wird, um das Ergebnis des Trump-Putin Deals ungeschehen zu machen, und zwar ganz egal, ob sie das auch wirklich will oder nicht. Nach dem 22. Februar 2022 sind zunächst etwa 7 Millionen ukrainische Flüchtlinge ins Ausland geflohen, darunter knapp eine Million nach Russland. Acht Millionen wurden Binnenvertriebene in der West- und Zentralukraine. Zieht man die Flüchtlinge in Russland davon ab, ergibt das eine Population von insgesamt ungefähr 13 Millionen Menschen, die inzwischen stark politisiert, extrem anti-russisch und vom Wunsch getrieben sind, in ihre Heimat zurückzukehren. Das sind 27 Prozent der gesamten ukrainischen Vorkriegsbevölkerung und damit ein gefundenes Fressen für radikale, nationalistische Parteien, die jeden Versuch boykottieren werden, auf die von Russland annektierten Gebiete zu verzichten, ein wenig wie die Christdemokraten in der alten Bundesrepublik, die sich bis in die siebziger Jahre gegen jeden Versuch wehrten, den Verlust der Ostgebiete anzuerkennen.

Das muss uns im Westen nicht den Schlaf rauben; den........

© Berliner Zeitung


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