Ein Sofort-Frieden in der Ukraine hat einen hohen Preis
Wenn der Westen die Waffenlieferungen an die Ukraine einstelle, wäre der Krieg innerhalb von Wochen vorbei, äußerte der russische Präsident Wladimir Putin im Gespräch mit Tucker Carlson. Er hat das oft wiederholt, es ist gewissermaßen die inoffizielle Antwort auf Wolodymyr Selenskyjs Behauptung, der Krieg sei sofort zu Ende, wenn Russland seine Truppen aus der Ukraine zurückziehe. Und Donald Trump war da sogar noch optimistischer: Er könne den Krieg innerhalb von 24 Stunden beenden, sollte er wiedergewählt werden.
Alle diese Äußerungen haben eine Menge Kritik und Häme hervorgerufen. Aber wir leben in einer Zeit, in der man den Bürger und seine Ängste ernst nehmen soll (weil er sonst womöglich die AfD, Trump oder Sahra Wagenknecht wählt), also habe ich analog beschlossen, dieses Mal nicht die Ängste, sondern die Hoffnungen dieser Politiker und ihrer Unterstützer ernst zu nehmen, und mir zu überlegen, was passiert, wenn es zu einem Sofort-Frieden in der Ukraine kommt.
Mit Trump ist das noch relativ einfach: Einen „Deal“ mit Putin kann er in so kurzer Zeit nur machen, wenn er ihm alles gibt, was Putin will und Selenskyj dabei vollkommen übergeht. Trump fliegt also nach Moskau (oder sie treffen sich in einem Drittland, indem Putin nicht zu Fahndung ausgeschrieben ist), nimmt Putin das Versprechen ab, keine weiteren Eroberungen zu machen und verkündet dann die Einstellung jeglicher Hilfe für die Ukraine, fordert die Verbündeten der USA auf, es ihm nachzumachen oder droht ihnen sogar mit Sanktionen, wenn sie es nicht tun. Der Krieg geht dann trotzdem nicht sofort zu Ende, denn selbst wenn alle Trumps Aufforderung brav folgen, dauert es sicher einige Wochen und Monate, bis der ukrainischen Armee die Munition ausgeht. So gesehen ist das Putin-Szenario da realistischer als das Trump-Szenario.
Das Problem damit ist nur, dass niemand, weder Trump noch Putin, darüber redet, was danach kommt. Deshalb kann ich nur vermuten, dass alle, die ihre Hoffnung auf ein solches Szenario setzen, stillschweigend davon ausgehen, dass dann alles wieder gut wird, soll heißen: so wie vorher. Doch soweit ich zurückgehe in der Geschichte und je mehr Vergleiche mit anderen Kriegen ich anstelle, ich kann nirgendwo ein Beispiel dafür finden, dass das auch wirklich einmal eingetreten ist. Nirgendwo und niemals war es nach einem Krieg wieder so wie vorher.
13.02.2024
15.02.2024
16.02.2024
•gestern
16.02.2024
Der Erste Weltkrieg dauerte nur vier Jahre, anschließend waren alle ärmer als sie vorher gewesen waren, hatten Millionen Tote zu beklagen und Millionen Kriegsversehrter und Flüchtlinge zu versorgen. Die Verlierer kultivierten Rachegedanken und bereiteten den nächsten Krieg vor, die Gewinner schlossen sich zusammen, rüsteten auf, um sich gegen die Rachelustigen schützen zu können.
Wie also wird es dann dieses Mal sein?
Es gibt da grundsätzlich zwei Szenarien. Das erste geht davon aus, dass Trump und Putin den Status quo festschreiben. Die annektierten Gebiete bleiben russisch, Russland bekommt vielleicht noch ein wenig dazu, aber versucht nicht mehr, nach Kiew zu marschieren und dort eine prorussische Regierung zu installieren. Gehen wir mal davon aus, dass Putin (und seine möglichen Nachfolger) sich an diese Absprache halten, was angesichts der letzten zehn Jahre nicht einfach ist. Denn da hat Putin ja mehrfach erklärt, die ukrainischen Grenzen anzuerkennen, kein Interesse an der Krim zu haben und keine Invasion in die Ukraine zu planen, nur um dann die ukrainischen Grenzen zu verletzen, die Krim zu annektieren und von drei Windrichtungen in die Ukraine einzumarschieren. Gehen wir trotzdem davon aus, dass er dieses Mal Wort hält.
Dann wird er es in Kiew mit einer Regierung zu tun haben, die alles unternehmen wird, um das Ergebnis des Trump-Putin Deals ungeschehen zu machen, und zwar ganz egal, ob sie das auch wirklich will oder nicht. Nach dem 22. Februar 2022 sind zunächst etwa 7 Millionen ukrainische Flüchtlinge ins Ausland geflohen, darunter knapp eine Million nach Russland. Acht Millionen wurden Binnenvertriebene in der West- und Zentralukraine. Zieht man die Flüchtlinge in Russland davon ab, ergibt das eine Population von insgesamt ungefähr 13 Millionen Menschen, die inzwischen stark politisiert, extrem anti-russisch und vom Wunsch getrieben sind, in ihre Heimat zurückzukehren. Das sind 27 Prozent der gesamten ukrainischen Vorkriegsbevölkerung und damit ein gefundenes Fressen für radikale, nationalistische Parteien, die jeden Versuch boykottieren werden, auf die von Russland annektierten Gebiete zu verzichten, ein wenig wie die Christdemokraten in der alten Bundesrepublik, die sich bis in die siebziger Jahre gegen jeden Versuch wehrten, den Verlust der Ostgebiete anzuerkennen.
Das muss uns im Westen nicht den Schlaf rauben; den........
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