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Das Verfassungsgericht lässt sich nicht AfD-sicher machen: Nur Machtverzicht der Etablierten hilft

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05.02.2024

In der plötzlich ausgebrochenen Debatte um eine Reform des Bundesverfassungsgerichts geht eine Menge durcheinander. Das höchste deutsche Gericht – und eines der mächtigsten Verfassungsgerichte der Welt – soll gegen „Angriffe der AfD“ geschützt werden, indem Amtszeit der Richter, Zahl der Senate und die zur Wahl von Richtern erforderliche Mehrheit in das Grundgesetz aufgenommen werden und damit nur noch mit Zweidrittelmehrheit geändert werden können.

Dazu gibt’s polnische und ungarische Begleitmusik: Man habe ja gesehen, wie schnell die Regierungen in Polen und Ungarn ihre Verfassungsgerichte als unabhängige Kontrollinstanzen ausschalten konnten. Ich würde da sogar noch Russland, Belarus und die Türkei in diese Galerie mit aufnehmen. Das Problem ist nur: Keines dieser Beispiele ist für die Bundesrepublik wirklich relevant. Und die AfD, deren Wahlerfolge bei dieser Diskussion natürlich das sind, was die Briten „den Elefanten im Raum“ nennen, eignet sich nur bedingt als Schreckgespenst, mit dem sich eine Reform der Verfassungsgerichtsbarkeit rechtfertigen lässt.

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Das liegt gar nicht daran, dass die Partei bisher keinen Anlass zu solchen Befürchtungen gegeben hat. Das tun radikale Parteien nie, solange ihnen die Existenz einer unabhängigen Justiz nützt. Viele Alt-Nazis wurden nach 1945 über Nacht zu überzeugten Demokraten, als ihnen klar wurde, dass Rechtsstaat, Menschenrechte und unabhängige Richter sie vor der Rache ihrer politischen Gegner (und oft genug früheren Opfer) schützen konnten. Viele PDSler und Altkommunisten in Polen, Ungarn, der Tschechoslowakei und im Baltikum wurden zu Verteidigern des Rechtsstaats, weil dieser ihnen eine weiche Landung garantierte. Eine der im Nach-Apartheid-Südafrika einflussreichsten Nichtregierungsorganisationen verteidigt die Privilegien der weißen Minderheit bis heute; aber nicht mehr im Namen rassischer Überlegenheit, sondern im Namen der Menschenrechte.

Der Grund, warum es nicht nur um die AfD gehen sollte, ist ein anderer. Die AfD wird bei den anstehenden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg vielleicht stärkste Partei und kann damit Einfluss auf die Wahl von Verfassungsrichtern auf Landesebene nehmen. Das muss niemanden erschrecken, das konnte sie nämlich in Bundesländern, wo sie viel schwächer ist (Baden-Württemberg, Hessen und Mecklenburg-Vorpommern) auch schon. Es gibt auch keinerlei denkbares Remedium dagegen, dass einer oder mehrere Richter nach ihrer Wahl AfD-Positionen verinnerlichen und damit zu AfD-Richtern werden, obwohl die AfD auf ihre Wahl gar keinen Einfluss hatte. Sowas tun nicht nur Juristen, wenn sie älter und sich ihrer Unabhängigkeit bewusst werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie dann konservativer werden, ist wesentlich größer als das Gegenteil. Eine Verfassungsreform hilft dagegen nicht.

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03.02.2024

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Der Grund, warum es bei dieser Debatte nicht so sehr um die AfD gehen sollte, ist ein anderer. Das bundesdeutsche Parteiensystem ist im Umbruch. Bis in die 80er-Jahre hatten wir ein stabiles Dreiparteiensystem, in dem meistens zwei Parteien eine Koalition bildeten und die dritte in die Opposition ging. Dann kamen die Grünen, die deutsche Einheit, die PDS und die AfD und der Niedergang der Volksparteien. Jetzt haben wir ein Vielparteiensystem, in dem erstmals drei Parteien Koalitionen bilden müssen, um regierungsfähig zu werden und diese Koalitionen auch noch instabiler sind als früher. Kein Grund zur Panik, Länder wie die Niederlande und Belgien haben das seit Jahrzehnten. Das Problem steckt woanders. Neben AfD-Mehrheiten kann es demnächst auch negative Bündnisse geben: Konstellationen, bei denen Radikale auf der Rechten und Linken zwar eine Mehrheit hätten, sich aber nicht einigen können und das Parlament blockieren. Deshalb sollte jedes Rezept zum Schutz des Bundesverfassungsgerichts folgende Szenarien berücksichtigen: eine Sperrminorität für eine oder mehrere radikale Parteien, eine negative Mehrheit aus mehreren einander feindlich gesonnenen Parteien und eine Regierungsmehrheit für eine radikale Partei.

Verweise auf........

© Berliner Zeitung


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