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Das Justiz-Paradox: Warum sich Karlsruhe ein AfD-Verbot nicht leisten kann

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25.02.2024

Gefahr für die Demokratie kommt heutzutage nicht mehr von faschistischen oder kommunistischen Massenbewegungen, die getrieben werden von jungen, hungrigen Leuten, die ihr Leben für eine Idee in die Waagschale werfen. Sie kommt aus dem politischen Establishment selbst, wo demagogische Politiker, die sich selbst zu Sprechern des einfachen Mannes ernennen, entweder an die Macht wollen, oder, wenn sie es schon sind, diese Macht ausweiten wollen, oft weit mehr als es die Verfassung erlaubt. Gewählt werden sie überwiegend von älteren Männern, die keine neue Welt erobern, sondern die alte Ordnung, an die sie gewöhnt sind, unbedingt erhalten wollen.

Das Haupthindernis dabei: von Regierung und Parlament unabhängige Richter, die auch um den Erhalt der alten Ordnung kämpfen, in der sie unabhängige entscheiden können, ohne Repressalien befürchten zu müssen und ohne in eine politische Ecke gestellt zu werden. Sie werden heutzutage schnell zur letzten Verteidigungslinie der Demokratie, besonders, wenn Parlament, Regierung, Parteien, Medien und Zivilgesellschaft versagen. Und das tun sie nicht oft, aber in letzter Zeit immer öfter.

Sehen wir uns um im Mutterland der modernen Demokratie, den USA. Dort gibt es einen Kandidaten für das Amt der Präsidenten, der für den Fall seiner – ziemlich wahrscheinlichen – Wiederwahl, eine Art Diktatur ankündigt, in der er mit seinen Gegnern abrechnet, ohne sich an die geltenden Gesetze zu halten, der noch radikaler vorgehen will als in seiner ersten Amtszeit, der Wahlergebnisse nur anerkennt, wenn sie zu seinem Vorteil sind.

Der Kongress hat es in seiner Amtszeit nicht geschafft, ihn aus dem Amt zu entfernen, die demokratischen Politiker dort waren zu unentschlossen, zu zerstritten, um diesen Schritt zu wagen. Medienenthüllungen und Ermittlungen gegen Donald Trump hatten bisher entweder keinen oder einen gegenteiligen Effekt – sie haben seine Anhänger radikalisiert und mehr Spenden in seine Wahlkampftöpfe gespült. Jetzt hängt die Frage, ob Trump noch einmal kandidieren (und unter Umständen Präsident werden) kann, an den Richtern des Obersten Gerichtshofs. Sie müssen entscheiden, ob die Entscheidung des Obersten Gerichts von Colorado bestehen bleibt, Trump die Kandidatur zu verbieten, weil er sich an einem Aufstand beteiligt hat. Das ist zweifelhaft: Ein Drittel der Richter hat er selbst ernannt. Bei der Anhörung war ihre Skepsis gegenüber dem Colorado-Urteil unverkennbar.

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23.02.2024

Und völlig unabhängig von der ideologischen Ausrichtung haben Richter auch in anderen Ländern ein Grundproblem: sie entscheiden möglichst unpolitisch nach dem Buchstaben des Gesetzes. Soll heißen: Sie bestrafen einen Politiker oder eine Partei, die die Demokratie herausfordern, eher wegen Verstößen gegen Wahlkampfregeln oder Parteienfinanzierung, als wegen undemokratischem Gebaren. In den meisten Ländern haben sie dafür ohnehin keine ausdrückliche Kompetenz. Sie können entscheiden, ob ein Politiker gelogen hat, ob er korrupt ist, sie können ihn wegen Formfehlern von der Wahl ausschließen, aber nicht, weil er kein Demokrat ist.

Das ist widersinnig: wenn Trumps Anwälte ein Formular falsch ausfüllen, könnte Trump von der Wahl ausgeschlossen werden. Aber als Anhänger einer Präsidialdiktatur und Befürworter der Aufhebung der Gewaltenteilung, der seine Gegner ins Gefängnis bringen will und der Ansicht ist (so haben seine Anwälte vor dem Obersten Gerichtshof argumentiert) dass der Präsident für alles, was er tut, Immunität genießt – für das alles können sie ihn von der Wahl nicht........

© Berliner Zeitung


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