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CDU und Leitkultur: Der deutsche Kitt sind Pizza und Döner (und nicht Hitler)

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19.05.2024

Mit dem Nachtbus von Windhoek nach Kapstadt zu fahren, erfordert starke Nerven: Auf der Bergstrecke trennen manchmal nur wenige Zentimeter die Seitenscheiben vom Rumpf der schweren Lastwagen auf der Gegenfahrbahn. Die Strecke geht durch Wüste und kahle Berge voller Serpentinen. Aber der Bus ist bequem: Man kann die Sitze verstellen wie in der Business-Class eines Langestreckenflugzeugs. Nur muss der Sitznachbar hinten das dann auch tun, sonst bekommt er die Rücklehne seines Vordermanns in den Bauch.

Man kann sich da absprechen, denn wenn man 24 Stunden eingepfercht ist und nur alle acht Stunden zum Pinkeln raus darf, lernt man sich schnell ziemlich gut kennen. Außer, man hat keine gemeinsame Sprache. Die deutschen Studenten auf dem Weg nach Kapstadt und das französische Ehepaar hatten das nicht. Und so protestierte der französische Fahrgast laut, unflätig, aber für praktisch alle im Bus unverständlich, als die Studenten ihre Sitze umlegten, als es alle anderen Fahrgäste vor ihnen taten.

Nur die Franzosen wollten das nicht. Sie legten ihre Sitze nicht um und verlangten, dass die Passagiere vor ihnen das auch nicht taten. Begründen konnten sie das – aber nur auf Französisch, aber das verstand niemand. „Wenn du mit mir reden willst, tu es auf Französisch“, raunzte der französische Ehemann schließlich. Irgendwann legte er dann auch seinen Sitz um und begann zu schnarchen.

Ich habe keine Ahnung, wie der südafrikanische Grenzbeamte von der Geschichte erfuhr, als der Bus an der kleinen, verschlafenen und stockdunklen Grenzstation am Oranje-Fluss ankam. Der Beamte stellte sich neben den Fahrer, ergriff das Mikrofon und hielt eine Predigt über „Ubuntu“ – was man mit Menschlichkeit, Einigkeit, Friede und einer Menge anderer positiv besetzter Begriffe übersetzen kann, für die Südafrikaner nur dieses eine Wort brauchen. „Wir sind hier in Südafrika“, verkündete er, „hier einigt man sich, man redet miteinander, man geht aufeinander zu und ist höflich. Versöhnung, Diversität, Respekt für jeden, egal woher er kommt. Das ist Ubuntu. Denkt daran, wenn ihr weiterfahrt.“

Die Predigt war voller Anspielungen auf den abendlichen Vorfall mit den Franzosen, obwohl er sie nicht ansprach, sie hätten es ja auch nicht verstanden. Es kann sogar sein, dass die Begriffe Apartheid, Wahrheitskommission und Verzeihung in seiner Rede vorkamen, aber so genau weiß ich das nicht mehr. Dann fuhr der Bus weiter nach Süden.

Die Szene an der namibisch-südafrikanischen Grenze fällt mir immer ein, wenn in Deutschland wieder eine Debatte über „Leitkultur“ losbricht, also alle paar Jahre. Diskutiert wird darüber ja schon seit den neunziger Jahren, als damit Jörg Schönbohm, Norbert Lammert und – wenig überraschend – Friedrich Merz argumentierten, den das Thema schon vor 24 Jahren umtrieb. Dahinter steckt ja die durchaus spannende Frage, was uns als Deutsche eigentlich zusammenhält, eine Frage, die ja auch für nicht-konservative und nicht-nationalistische Politiker und Intellektuelle wichtig sein müsste.

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17.05.2024

Das Problem dabei ist nur, dass bei diesen Debatten meist gar nicht danach gesucht wird, was uns zusammenhält, sondern was uns von anderen trennt oder, das ist dann die verschärfte Version, was angeblich dafür verantwortlich ist, dass „andere“ nicht zu „uns“ passen und deshalb, wie Hunde vor einem Lebensmittelladen, leider draußen bleiben müssen. Darüber wird heftig und emotional diskutiert, dabei ist die ursprüngliche Frage doch viel wichtiger: Wer sind wir denn eigentlich und was hält uns zusammen, beziehungsweise was macht Deutsche eigentlich zu Deutschen?

Das ist nämlich überall auf der Welt anders. Irgendwann, vor etwa 24 Jahren, beschlossen die Südafrikaner zum Beispiel, dass das, was sie miteinander verbindet, die Tatsache ist, dass sie nichts miteinander verbindet. Und dass sie das zugleich auch von anderen unterscheidet. Seither gibt es in Südafrika elf offizielle Landessprachen, von Englisch über Afrikaans bis zu isiZulu, isiKhosa und Sesotho, wobei Letzteres gerade einmal 0,2 Prozent der Bevölkerung sprechen. Aber da, wo sie wohnen, können Sesotho-sprechende Südafrikaner in dieser Sprache Eingaben verfassen und Behördengänge erledigen. Auch in punkto Religion verbindet Südafrikaner eigentlich nichts. Die gesetzliche Toleranz erlaubt sogar Polygamie: Der jetzige Präsident Cyril Ramaphosa ist monogam, aber sein Vorgänger war polygam.

Europäische Nationalstaaten sind entstanden, weil sich die Mehrheit ihrer Bewohner durch Kultur, Religion, Sprache oder ethnische Zugehörigkeit verbunden fühlte und sich damit von ihren Nachbarn abgrenzen konnte. Nichts davon passt auf Südafrika, aber die Südafrikaner sind trotzdem stolz drauf, Südafrikaner zu sein. Sie sind vor allem stolz darauf, dass sie eine Demokratie und ein Rechtsstaat sind.

An der........

© Berliner Zeitung


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