Oben auf dem Viadukt der S-Bahn rattern an der Jannowitzbrücke die Züge entlang, darunter auf dem Bürgersteig schimmert Taubenkot in den Pfützen. Ein Ort, laut und schmuddelig. Ein paar Treppen führen direkt hinunter zum Spreeufer, über den Stufen hängt eine Handvoll bunter Weihnachtslichter sowie provisorisch angebrachte Glitzerfolie. Weihnachtsmusik weht herüber, sie klingt unter den S-Bahn-Gleisen ganz dumpf. Sie wird von den lauten Schienengeräuschen übertönt. An einem Bauzaun hängt eine bedruckte Plastikplane. Darauf steht: „That Gay Creation Presents: Winterwunderland Berlin“.

Dieser Weihnachtsmarkt wird als „queeres Winterwunderland“ beworben. Eine Idee, die zu Berlin passt. Die Stadt ist seit Jahrzehnten ein Eldorado für all jene, die offen sind und gern ausgelassen feiern. Der Markt befindet sich auf dem Gelände von Gestrandet in Mitte, wo im Sommer eine Strandbar direkt am Spreeufer eingerichtet ist.

Neben klassischen Weihnachtsmarktelementen gibt es im Winterwunderland am Spreeufer auch Kerzenworkshops, DJ-Sets, Livemusik und Thementage. Das Programm soll sich nicht nur an die queere Community, sondern an ein breites Publikum richten. Dieses blieb an diesem Abend aus. Sieben Menschen liefen in den frühen Abendstunden über den Markt.

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Weihnachtsmärkte in Berlin 2023: Öffnungszeiten, Preise und Adressen

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Vorm Glühweinstand stehen vier Personen und kaufen sich das alkoholhaltige Heißgetränk. Im Thekenbereich steht ein 40 Zentimeter großer gehäkelter Penis. „Schau mal, der ist sogar aus Stoff!“, sagt eine junge Frau zu ihrer Freundin. „Das wäre doch auch ein prima Weihnachtsgeschenk.“

Das grüne Ding zeigt steil nach oben, während die zwei Frauen den Glühwein überreicht bekommen. Die Frauen stellen sich an einen Stehtisch und trinken ihren Glühwein. Schräg gegenüber befindet sich ein Stand, an dem Kerzen und Lollis in Penisform angeboten werden.

Im Internet wird der Weihnachtsmarkt heftig verspottet. Auf dem Kurznachrichtendienst X hagelte es besonders viel Kritik. Die „abstoßende Seite“ Berlins soll der Weihnachtsmarkt repräsentieren. Besonders die Atmosphäre der schmutzigen Jannowitzbrücke sorgt im Netz für Aufregung.

Einladend ist der Weihnachtsmarkt auf den ersten Blick tatsächlich nicht. Die Bilder vom Weihnachtsmarkt, die auf X kursieren, sind tagsüber fotografiert und zeigen den Markt nicht von der schönsten Seite: leere Bretterbuden, beschmierte Wände und Taubenkot.

Der Weihnachtsmarkt am Alexanderplatz hingegen macht in den frühen Morgenstunden kaum einen besseren Eindruck. Auf den ersten Blick sind die Bretterbuden zwar gepflegter, auf den zweiten Blick sieht es dort aber auch nicht viel schöner aus. Durch den Regen haben sich die Rindenmulchbeete vor den Buden aufgeweicht. Die braune Baumrinde ist mit Hunderten Zigarettenstummeln übersäht. Zwischen den Kabelbrücken, die zum Markt führen, sammelt sich nasser Abfall. Da stellt sich die Frage: Beginnt der Weihnachtsmarktzauber eigentlich nicht immer erst in den Abendstunden, wenn der Müll nicht mehr zu erkennen ist?

Besinnlichkeit kommt da keine auf. Zumindest bei mir nicht. Penisse als Weihnachtsdeko? Ich kenne keinen Homosexuellen, der sich das hinstellen würde. pic.twitter.com/I5qazzrvYC

In der hintersten Ecke des Winterwunderlands am Spreeufer sitzt eine Gruppe von Touristen und trinkt Glühwein. Im Sommer werden hier Strandpartys veranstaltet. Im Winter zieren dunkle Glühweinflecken den sandigen Boden. Direkt am Weihnachtsmarkt ist die Bootsanlegestelle für Spreerundfahrten. Ein Ausflugsboot liegt am Kai, davor sitzen zwei Personen auf einer Bank, dick eingepackt in ihre Winterjacken, und liegen sich im Arm. Fast schon spießig wirkt die Szene auf dem Weihnachtsmarkt in den frühen Abendstunden.

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Beim Ausgang des alternativen Weihnachtsmarktes steht eine große Bluetooth-Box auf einer Getränkekiste. Sie beschallt den Markt mit Weihnachtsmusik. Vor dem Tor stehen drei junge Männer, die von den Songs des kanadischen Schmusesängers Michael Bublé angelockt werden. Sie trinken vorbildlich ihre Bierflasche aus und stellen sie neben die Mülltonne. Pfand gehört schließlich daneben.

Was auf den ersten Blick wirken könnte wie ein alternativer Weihnachtsmarkt, ist am Ende vor allem eines: langweilig und meilenweit weg von einer „unvergesslichen Erfahrung“, die versprochen wird. Der Glühwein hier kostet auch fünf Euro. Und nicht mal die Tassen sind irgendwie auffällig oder verrückt. Da steht nur: „Heide’s Glühwein-Spezialitäten“.

Winterwunderland Berlin. Rolandufer 4, 10179 Berlin. 15. November bis 23. Dezember 2023. Öffnungszeiten: Montag bis Freitag von 16.45 bis 22 Uhr, Sonnabend von 12 bis 22 Uhr, Sonntag von 12 bis 21 Uhr.

QOSHE - Winterwunderland Berlin: Ist dies der hässlichste Weihnachtsmarkt der Stadt? - Kevin Gensheimer
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Winterwunderland Berlin: Ist dies der hässlichste Weihnachtsmarkt der Stadt?

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14.12.2023

Oben auf dem Viadukt der S-Bahn rattern an der Jannowitzbrücke die Züge entlang, darunter auf dem Bürgersteig schimmert Taubenkot in den Pfützen. Ein Ort, laut und schmuddelig. Ein paar Treppen führen direkt hinunter zum Spreeufer, über den Stufen hängt eine Handvoll bunter Weihnachtslichter sowie provisorisch angebrachte Glitzerfolie. Weihnachtsmusik weht herüber, sie klingt unter den S-Bahn-Gleisen ganz dumpf. Sie wird von den lauten Schienengeräuschen übertönt. An einem Bauzaun hängt eine bedruckte Plastikplane. Darauf steht: „That Gay Creation Presents: Winterwunderland Berlin“.

Dieser Weihnachtsmarkt wird als „queeres Winterwunderland“ beworben. Eine Idee, die zu Berlin passt. Die Stadt ist seit Jahrzehnten ein Eldorado für all jene, die offen sind und gern ausgelassen feiern. Der Markt befindet sich auf dem Gelände von Gestrandet in Mitte, wo im Sommer eine Strandbar direkt am Spreeufer eingerichtet ist.

Neben klassischen Weihnachtsmarktelementen gibt es im Winterwunderland am Spreeufer auch Kerzenworkshops, DJ-Sets, Livemusik und Thementage. Das Programm soll sich nicht nur an die queere Community, sondern an ein breites Publikum richten. Dieses blieb an diesem Abend aus. Sieben Menschen liefen in den frühen Abendstunden über........

© Berliner Zeitung


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