Danny J. lächelt in die Kamera. Er sitzt im Gras, die Beine gekreuzt. In der rechten Armbeuge hält er seinen kurz zuvor geborenen Sohn Emil. Das Baby schläft. Links neben ihm auf dem Foto ist die Partnerin von Danny J. zu sehen, Emils Mutter Nora L.* Sie lacht. Die ältere Tochter der beiden ist fünf Jahre alt, sie hat sich mit einem breiten Grinsen zwischen Mama und Papa gequetscht.

Es ist ein Schnappschuss von einer scheinbar glücklichen Familie, der vermutlich stolz herumgereicht wurde bei Verwandten und Freunden. Nun aber wird das Foto in einem Saal des Berliner Kriminalgerichts gezeigt, als Indiz in einem Mordprozess, in dem der Angeklagte Danny J. heißt.

Es ist sehr still im Saal, als das Bild mit einem Beamer auf die Wand projiziert wird. Schluchzen ist zu hören. Es kommt von den Zuschauern, darunter sind Freunde von Nora L. und Danny J. sowie die Eltern des Angeklagten, die im Publikum sitzen und in dem Verfahren gegen ihren Sohn nichts sagen wollen – was ihr gutes Recht ist.

Aber auch Danny J. ringt sichtbar mit den Tränen, als er das Foto sieht. Nora L., seine einstige Partnerin und die Mutter von Emil, hat es nicht mehr ausgehalten und den Saal weinend verlassen.

Das Foto macht die Tat noch unbegreiflicher.

Danny J. soll Emil umgebracht haben, seinen gerade einmal drei Monate alten Sohn. An diesem Donnerstag, dem siebten Verhandlungstag, werden in dem Verfahren, in dem kein einziger Zeuge, noch nicht einmal die Mutter des getöteten kleinen Jungen, ein schlechtes Wort über den Angeklagten verloren hat, die Plädoyers gehalten und vermutlich ein Urteil gesprochen.

02.03.2024

•vor 1 Std.

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gestern

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Die Vorwürfe, die die Staatsanwältin Katharina Ostendorf dem Angeklagten macht, hören sich furchtbar an. Sie wirft dem 38 Jahre alten Mann vor, seinen kleinen Sohn aus niedrigen Beweggründen getötet zu haben, weil das Kind seine Lebensgestaltung gestört habe. Danny J. soll den Säugling in eine mit heißem Wasser gefüllte Kinderbadewanne gelegt, dann aus dem Bad in ein anderes Zimmer gegangen sein und gewartet haben, bis das Planschen des Säuglings aufgehört habe.

Danny J., ein dünner Mann mit Brille und ordentlich gebügeltem Hemd, hat zugegeben, was ihm die Staatsanwältin zur Last legt. Allerdings erklärt sein Verteidiger, es sei nicht Mord, sondern Totschlag gewesen. Damit will der Anwalt die drohende lebenslange Freiheitsstrafe für seinen Mandanten abwenden.

Schon am ersten Verhandlungstag hat sich der Angeklagte zu den Vorwürfen geäußert, von seiner Angst vor dem zweiten Kind geredet, von seinem Grübeln, seinen Zweifeln, ob seine Liebe für zwei Kinder reichen könnte. Er hat dabei geweint und die Stimme gehoben. Doch haben nicht alle angehenden Mütter und Väter Angst, die neue Rolle als Eltern vielleicht nicht meistern zu können?

Offenbar handelt es sich bei Danny J. um einen Menschen mit autistischen Zügen, der jede Veränderung hasst. So sagt es die psychiatrische Gutachterin Dagny Luther in dem Verfahren. Sie widerspricht der Staatsanwältin, die meinte, Emil habe das Leben des Angeklagten eingeengt. Vielmehr gehe es bei der Tat um Stressreduktion. Der Angeklagte habe sich bei seiner Tochter Lisa in die Vaterrolle gefügt. Ein zweites Kind jedoch habe Veränderung und – typisch bei Autisten – massiven Stress bedeutet.

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heute

Am Nachmittag des 11. August vorigen Jahres war Danny J. mit dem Säugling allein in der 70 Quadratmeter großen Wohnung in der Wiecker Straße, einem elfgeschossigen Plattenbau in Neu-Hohenschönhausen. Emils Mutter hatte die Wohnung verlassen, als das Kind schlief. Nora L. wollte an jenem Nachmittag kurz beim Junggesellenabschied ihrer Schwester vorbeischauen, den nach dem Essen geplanten Theaterbesuch ließ sie aus, um ihren Mann mit dem Baby nicht so lange allein zu lassen.

Lisa, die fünfjährige Tochter, war wie jeden Freitag von der Oma aus der Kita abgeholt worden. Zusammen gingen sie etwas essen, dann in die Bibliothek, wo sich Lisa von ihrer Großmutter Geschichten vorlesen ließ. Alles war an diesem Tag wie immer.

Nora L. fragte Danny J. gegen 15.45 Uhr über WhatsApp, ob Emil noch schlafe. Er sei gerade am Aufwachen, antwortete Danny J. der Mutter des Kindes. Was dann geschah, hat der Angeklagte so geschildert: Emil sei aufgewacht, er habe sein Fläschchen bekommen. Als Danny J. in die Küche ging, um ein neues Fläschchen fertig zu machen, habe Emil plötzlich losgeschrien. „Ich konnte nicht mehr, bin irgendwie explodiert. Es war wie eine Attacke auf einen Server“, beschreibt er seine Gefühle.

Mit einer Hand nahm er seinen weinenden Sohn, mit der anderen Hand die Babybadewanne. Er ging ins Bad. „Wasser rein, Baby rein, raus aus dem Bad“, sagt er. Seinen Sohn habe er mit dem Gesicht nach unten in die Wanne gelegt. Erst an der geöffneten Balkontür kam er angeblich wieder zitternd zu sich.

Das tote Kind will er sodann in eine Tragetasche gelegt haben, die er in den Kofferraum seines Wagens stellte. Dann steuerte er das Fahrzeug zu seinen Eltern nach Ahrensfelde, die mit dem toten Jungen sofort ins Unfallkrankenhaus Berlin fuhren.

Das Team der Rettungsstelle konnte nichts mehr tun für Emil. Der Junge hatte Schaum vor Mund und Nase und schon Leichenflecken ausgeprägt. Die Ärztin der Notaufnahme sagt vor Gericht: „Es war für mich das meistbelastende Ereignis bisher.“ Die Mediziner riefen die Polizei.

Emils Großmutter und seine Schwester ahnten nichts, als sie nach Hause kamen. Die Oma hatte zuvor eine Nachricht von Danny J. erhalten. Sie solle mit Lisa schon Abendbrot essen, er sei mit Emil unterwegs. Sie habe sich über die Nachricht gewundert, sagt die 61-Jährige vor Gericht. Nie aber hätte sie gedacht, dass Danny zu so einer Tat fähig sein könnte.

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02.03.2024

Gegen 18.30 Uhr klingelte es an der Wohnungstür. Es war die Polizei. Sie mussten die Wohnung wegen der Spurensicherung verlassen, wenig später traf auch Emils Mutter in der Wiecker Straße ein.

Danny sei ein Zahlenmensch, der Zweifel gehabt habe, ob er Vater sein könne, sagt Lisas Oma als Zeugin. „Er ist reingewachsen. Ich habe ihn richtig lieb gewonnen.“ Mit jedem Problem habe sie zu ihm gehen können. „Er wurde nie wütend, nie laut, nie ausfallend.“ Emil habe nach der Geburt viel geweint, er sei, wie seine große Schwester, ein Schreikind gewesen. „Ich habe selbst drei Kinder, ich weiß, wie anstrengend es nach einer Geburt ist.“

Auch andere Zeugen beschreiben den Angeklagten zwar als wenig emotional. Aber Danny sei kein bösartiger Mensch, sondern liebenswürdig, berichtet die Schwester von Nora L., eine Polizistin. Sie verstehe nicht, warum er sich nicht der Familie anvertraut habe. Die Schwägerin von Nora L., ebenfalls Polizeibeamtin, erklärt, Danny sei ein guter Vater, der sich rührend um seine Tochter gekümmert habe.

„Und wie war es bei Emil?“, will der Vorsitzende Richter wissen. Die Frau stockt, erzählt dann, dass sie Danny nach der Geburt gefragt habe, wie es mit zwei Kindern sei. „Ich dachte, er sagt, dass sie jetzt endlich eine richtige Familie sein würden“, berichtet die Frau. Die Antwort, die ihr der Angeklagte jedoch gab, verblüffte sie. Mit einem „komplett leeren Blick“ habe ihr Danny erklärt: Lisa habe wenigstens Charakter, Emil nicht.

Als sein Sohn im Mai vorigen Jahres geboren wird, ist Danny J. 37 Jahre alt. Er hat einen Job, der ihm offenbar gefällt, arbeitet bei einem Softwareentwicklungsdienst. Er kann damit seine Familie ernähren, in den Urlaub fahren. Seine Partnerin studiert.

Danny J. ist wissbegierig, wenn er etwas hört, das er noch nicht kennt und das ihn interessiert, macht er sich im Internet schlau. Seine Freunde und die Familie sagen, dass er zu jedem Thema etwas zu sagen hat. Er bewundert seine Lebensgefährtin, weil sie ganz anders als er sei, eine „Powerfrau“. Der Polizist, der zuerst im Krankenhaus erschienen war, erzählt, dass Danny J. gestanden habe, seinen Sohn in die volle Badewanne gelegt zu haben.

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Er habe ihn belehrt und erklärt, was nun geschehen werde. „Danny J. hat alles hinterfragt. Er war sehr sachlich und sprachgenau.“ Der Vater, der offenbar gerade seinen Sohn umgebracht hatte, wirkte, als würde er einen Verkehrsunfall schildern. Er habe nicht einmal nach dem Kind gefragt.

Zu Lisa, seiner Tochter, hat Danny J. offenbar ein sehr inniges Verhältnis. Sie sei ihnen sehr gut gelungen, hat Danny J. vor Gericht gesagt. Für das Mädchen hätten Nora und er immer das Beste gewollt: das beste Spielzeug, die besten Kleider. Danny J. kann seiner Tochter jede Frage beantworten. Aber er wirkt unbeholfen, wenn das Kind Trost braucht. Wenn autistische Menschen jemanden umarmen, sei das, als würden sie einen Holzklotz in die Arme nehmen, so formuliert es die psychiatrische Sachverständige.

Als die damals noch kleine Familie zu Corona-Zeiten zu Hause in der Neubauwohnung bleiben muss und die Tochter nicht auf dem Spielplatz vor dem Plattenbau spielen darf, kaufen ihr die Eltern einen Sandkasten für den Balkon.

Danny J. hat nach Lisas Geburt eine Kamera erworben, er macht Fotos von der Entwicklung seiner Tochter, wird der Familienfotograf, wie er es nennt. Die Freunde des Angeklagten und auch die Verwandten seiner Partnerin sagen, er sei für Lisa der wundervollste, allerstolzeste und glücklichste Vater gewesen.

Nora L., Emils Mutter, ist im Prozess Nebenklägerin. „Wir waren eigentlich eine glückliche Familie“, sagt die 33-Jährige. Beide hätten sie erst in die Elternrolle hineinwachsen müssen, wie das immer sei, wenn man Mutter oder Vater werde. „Wir waren sehr perfektionistisch, ein gutes Team“, erklärt sie.

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Als sie den Bachelor-Abschluss gemacht habe, sei ihr klar geworden, dass „ich noch ein zweites Kind wollte“. Auch Danny habe zunächst zugestimmt, dann aber, als sie schwanger geworden sei, seine Meinung geändert. Er habe nicht noch einmal Vater werden wollen, sie gebeten, abzutreiben. Doch das sei für sie nicht infrage gekommen. „Kinder sind keine Schuhe, die man kauft und am nächsten Tag zurückgibt“, sagt Nora L. Sie sagte ihm, dass sie das Kind auch ohne ihn bekommen werde.

Die psychiatrische Sachverständige erklärt, seit Herbst 2022 habe es bei Danny J. bis zum Tattag in Wellen eine mittelschwere depressive Episode gegeben. Der Angeklagte habe das Kind nicht gewollt, auch nicht nach Emils Geburt. Sie spricht von der Möglichkeit, dass es sich bei der Tat um eine Stressreaktion des Körpers gehandelt hat, um sich dem für ihn unerträglichen Zustand zu entziehen.

Solches Derealisationserleben entstehe abrupt – wie Panikattacken. Der Betroffene fühle sich „im falschen Film“. Ob die Steuerungsfähigkeit von Danny J. zum Tatzeitpunkt beeinträchtigt war, kann Luther weder bestätigen noch ausschließen.

Das muss nun das Gericht entscheiden.

QOSHE - Was bringt einen Vater dazu, seinen drei Monate alten Sohn zu ertränken? - Katrin Bischoff
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Was bringt einen Vater dazu, seinen drei Monate alten Sohn zu ertränken?

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04.03.2024

Danny J. lächelt in die Kamera. Er sitzt im Gras, die Beine gekreuzt. In der rechten Armbeuge hält er seinen kurz zuvor geborenen Sohn Emil. Das Baby schläft. Links neben ihm auf dem Foto ist die Partnerin von Danny J. zu sehen, Emils Mutter Nora L.* Sie lacht. Die ältere Tochter der beiden ist fünf Jahre alt, sie hat sich mit einem breiten Grinsen zwischen Mama und Papa gequetscht.

Es ist ein Schnappschuss von einer scheinbar glücklichen Familie, der vermutlich stolz herumgereicht wurde bei Verwandten und Freunden. Nun aber wird das Foto in einem Saal des Berliner Kriminalgerichts gezeigt, als Indiz in einem Mordprozess, in dem der Angeklagte Danny J. heißt.

Es ist sehr still im Saal, als das Bild mit einem Beamer auf die Wand projiziert wird. Schluchzen ist zu hören. Es kommt von den Zuschauern, darunter sind Freunde von Nora L. und Danny J. sowie die Eltern des Angeklagten, die im Publikum sitzen und in dem Verfahren gegen ihren Sohn nichts sagen wollen – was ihr gutes Recht ist.

Aber auch Danny J. ringt sichtbar mit den Tränen, als er das Foto sieht. Nora L., seine einstige Partnerin und die Mutter von Emil, hat es nicht mehr ausgehalten und den Saal weinend verlassen.

Das Foto macht die Tat noch unbegreiflicher.

Danny J. soll Emil umgebracht haben, seinen gerade einmal drei Monate alten Sohn. An diesem Donnerstag, dem siebten Verhandlungstag, werden in dem Verfahren, in dem kein einziger Zeuge, noch nicht einmal die Mutter des getöteten kleinen Jungen, ein schlechtes Wort über den Angeklagten verloren hat, die Plädoyers gehalten und vermutlich ein Urteil gesprochen.

02.03.2024

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Die Vorwürfe, die die Staatsanwältin Katharina Ostendorf dem Angeklagten macht, hören sich furchtbar an. Sie wirft dem 38 Jahre alten Mann vor, seinen kleinen Sohn aus niedrigen Beweggründen getötet zu haben, weil das Kind seine Lebensgestaltung gestört habe. Danny J. soll den Säugling in eine mit heißem Wasser gefüllte Kinderbadewanne gelegt, dann aus dem Bad in ein anderes Zimmer gegangen sein und gewartet haben, bis das Planschen des Säuglings aufgehört habe.

Danny J., ein dünner Mann mit Brille und ordentlich gebügeltem Hemd, hat zugegeben, was ihm die Staatsanwältin zur Last legt. Allerdings erklärt sein Verteidiger, es sei nicht Mord, sondern Totschlag gewesen. Damit will der Anwalt die drohende lebenslange Freiheitsstrafe für seinen Mandanten abwenden.

Schon am ersten Verhandlungstag hat sich der Angeklagte zu den Vorwürfen geäußert, von seiner Angst vor dem zweiten Kind geredet, von seinem Grübeln, seinen Zweifeln, ob seine Liebe für zwei Kinder reichen könnte. Er hat dabei geweint und die Stimme gehoben. Doch haben nicht alle angehenden Mütter und Väter Angst, die neue Rolle als Eltern vielleicht nicht........

© Berliner Zeitung


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