Gianluigi D’Autilia sitzt im teuersten Zimmer des Just Music. Es ist ein gemütlicher Raum mit warmem Licht, Teppich auf dem Boden und Gardinen vor den Fenstern. Es gibt eine Couch, einen kleinen Tisch und ein paar Hocker. Auf einem beugt sich Gianluigi über eine elektrische Gitarre, an deren Kopfplatte das Preisschild baumelt. Vier Stellen stehen vor dem Komma.

Er hat das Instrument mit einem Verstärker verkabelt und lässt die Finger seiner linken Hand stepptanzschnell über das Griffbrett trippeln. Der Mann ist ganz allein mit seiner Musik. Nur Jimmy Page ist noch da. Der Led-Zeppelin-Gitarrist schaut ihm von einem großen gerahmten Foto, das an der Wand lehnt, über die Schulter.

Das Zimmer befindet sich ganz am Ende der Gitarrenabteilung in der dritten Etage des Kreuzberger „Alles für Musiker“-Kaufhauses Just Music. Bis an die Decke hängen etwa fünf Dutzend Stromgitarren. An einer Wand die Klassiker der Marke Gibson. Fenders Strato- und Telecaster an einer anderen. Eine Werkzeugkammer der Rockgeschichte, deren Inventar zusammen kaum weniger als eine Viertelmillion Euro kosten dürfte. „Ich liebe dieses Zimmer“, sagt D’Autilia.

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Der 48-Jährige hat sich eine Gibson Les Paul von der Wand genommen. Vier Gitarren des legendären Herstellers besitzt er bereits. Ob das getestete Instrument die Nummer fünf wird, lässt D’Autilia offen. „Mal sehen“, sagt er lächelnd, als hätte man ihn in einer sehr jungen, aber noch geheimen Beziehung ertappt. Der Hobby-Musiker und Marketing-Profi kommt regelmäßig ins Just Music an der Oranienstraße. „Einmal pro Woche auf jeden Fall, oft auch zweimal.“ Hier könne er abschalten und Energie tanken.

Früher habe er oben in der fünften Etage immer noch einen Espresso getrunken. Aber das Café habe ja leider schon lange geschlossen, sagt er. Das geliebte Zimmer mit den Gitarren ist geblieben. „Du kannst dir einfach eine Gitarre nehmen und abtauchen. Keiner nervt dich, ob du nun kaufen willst oder nicht. Aber wenn du reden willst, kannst du die besten Fachgespräche führen“, sagt er. Es sei „das Paradies für Musiker“. Jetzt steht es vor der Schließung.

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Seit Tagen sind auf allen vier Etagen des Kaufhauses „Sale“-Schriftzüge zu lesen. In der Schlagzeug-Abteilung ist das Angebot unübersehbar lichter geworden. Und tatsächlich war hinter vorgehaltener Hand von Räumungsverkauf die Rede, gerade erst sind die Öffnungszeiten verkürzt worden.

Nun ist es offiziell. Am Donnerstag teilte die Geschäftsführung mit, dass das „Berliner Traditionsunternehmen Just Music“ den Betrieb vollständig einstellen wird. Spätestens zum 30. März werde das Haus schließen. Zur Begründung heißt es, dass das Unternehmen seit längerem nicht mehr wirtschaftlich operiere. Das Kerngeschäft verlagere sich zunehmend zu wenigen Online-Giganten, mit weitaus vorteilhafteren Kostenstrukturen. Da sei man als Großstadt-Einzelhändler mit Vollsortiment nicht mehr konkurrenzfähig.

Ein Verkäufer in der Gitarrenabteilung, der seinen Namen nicht verraten will, versucht, gefasst zu sein. Der junge Mann, den wir hier Frank nennen, schafft es aber nur bedingt. Es gebe bei Just Music Leute, die noch nie irgendwo anders gearbeitet hätten. „Natürlich bin ich traurig“, sagt er. Noch mehr tue es ihm aber um die Kunden leid. Das Just Music werde „sehr vielen Menschen sehr fehlen“. Frank sagt, dass Berlin mit dem Just Music etwas Einmaliges verliere und nennt auch wenigstens einen Schuldigen beim Namen. „Thomann hat die Preise so stark gedrückt, dass da kein stationärer Händler mithalten kann“, sagt der Verkäufer. E-Commerce frisst klassische Läden. Auch im Musikgeschäft.

Thomann, das ist ein oberfränkisches Familienunternehmen, das in diesem Jahr bereits sein 70-jähriges Firmenjubiläum feiert und schon im Onlinehandel mitmischte, als die Zalando-Gründer noch in der sechsten Klasse die Schulbank drückten. 1996 hatte das Unternehmen als erster deutschen Musikinstrumente-Händler einen Webshop eröffnet und gilt heute mit Jahresumsätzen von mehr als einer Milliarde Euro als Amazon der Musikbranche und umsatzstärkster Instrumente- und Equipment-Dealer weltweit.

„Gegen deren Preise hast du keine Chance“, sagt Frank und macht eine düstere Prognose: In drei bis fünf Jahren werde es gar keine Läden für Musikinstrumente mehr geben. Dann werde Thomann die Preise wieder anheben und es können, weil er das Monopol hat. Für Frank ist aber auch klar, dass Thomann offenbar zur richtigen Zeit die richtige Entscheidung getroffen hat. Just Music offenbar nicht.

Frank ist selbst Musiker, spielt Gitarre, seit er 14 ist. Heute ist er 46. In der dritten Etage hängen noch immer etwa 2000 Gitarren. Zu besten Zeiten hätten 4000 zur Auswahl gestanden. Die allermeisten Instrumente kann man sich einfach nehmen und ausprobieren. Und so gehört es auch zum Geist des Hauses, dass hier der virtuose Solist neben dem Teenager hockt, der sich mit Deep Purples berühmtestem Riff auf die Suche nach einem geeigneten Werkzeug für seinen Aufstieg zum Rockstar macht. „Wir haben alle mal angefangen“, sagt Frank und erzählt, dass dies unter der internationalen Kundschaft immer wieder für Erstaunen sorge. „Viele wollen wissen, wie viel es kostet, eine Gitarre in die Hand zu nehmen“, sagt Frank. „Das musst du woanders echt bezahlen.“

Tatsächlich bietet das Haus in Kreuzberg die vielleicht einmalige Gelegenheit, seinem Traum-Instrument näher als bis zur Schaufensterscheibe zu kommen und bei diesen ersten Annäherungsversuchen ob der Größe des Hauses dennoch unauffällig und für sich bleiben zu können. Just Music ist wie Speeddating vor der Geräuschkulisse eines Soundchecks samt offenem Ausgang.

Denn ob ein Instrument geeignet ist, hängt nicht vom Preis oder vom Aussehen ab, nicht einmal allein vom Klang. Es geht um körperlichen Kontakt, um Schwingungen und Gefühle und schließlich jenen unberechenbaren Moment, in dem alles passt. In dem man ein Instrument in den Händen hält, ein paar Akkorde spielt und der Atem plötzlich schneller wird und das Herz bis zum Hals pocht. Ja, man kann sich verlieben in solch einer Umgebung. Und genau das macht es aus. „Du kannst ein Keyboard online kaufen, auch Kopfhörer und Kabel“, sagt der Stammkunde Gianluigi D’Autilia. „Aber keine Gitarre.“

Mit diesem Gedanken war Just Music eigentlich auch angetreten. „Wir sind überzeugt, dass der Instrumentenkauf ein haptisches Erlebnis ist“, heißt es auf der Website des Unternehmens. 1977 war es von Jochen Stock in Berlin gegründet worden. Der war seinerzeit BWL-Student und Trommler – oder umgekehrt – und wollte sich etwas dazuverdienen. Dafür eröffnete er das Geschäft Drumland. Es sei darum gegangen, einen Musikladen betreiben, in dem leidenschaftliche Mitarbeiter den Kunden hervorragende Beratung anbieten und das bestmögliche Erlebnis beim Musikinstrumentenkauf stattfindet, heißt es in der Firmenhistorie.

Doch aus der Musikerromantik wird bald ein expandierendes Business. Stock übernimmt kleine Läden in der Pariser und der Fasanenstraße in Wilmersdorf. Nun heißt Drumland bereits Sound & Drumland. 1991 geht Stock auch in den Osten der Stadt und kauft in der Rathaus-Passage am Alexanderplatz den ehemaligen DDR-Handelsbetrieb Takt & Ton und nennt das Geschäft Just Music. Später zieht die Filiale von dort in die Kulturbrauerei nach Prenzlauer Berg, wo sie zwölf Jahre residieren wird.

Derweil wächst Stocks Unternehmen auch bundesweit. In Hamburg kommt der Laden Amptown dazu, mit dem Stock später zwei Etagen des alten Hochbunkers am Heiligengeistfeld bezieht. Auch in München und Dortmund übernimmt der Berliner etablierte Geschäfte. In Berlin selbst gibt man indes 2013 die Filiale in der Kulturbrauerei auf, um an den Moritzplatz umzuziehen. Dort erfüllt sich Stock einen Traum und eröffnet „ein großes Haus der Musik mitten in Berlin“.

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Tatsächlich ging es über 40 Jahre nur aufwärts. Doch dann kam der Abstieg, der von Corona beschleunigt wurde. Der jüngste im Bundesanzeiger veröffentlichte Geschäftsbericht von Just Music ist der für das Jahr 2020, er weist einen Verlust von etwa 1,5 Millionen Euro aus. Im selben Jahr hatte Just Music angekündigt, die Filialen in Hamburg, Dortmund und München in der ersten Hälfte 2021 zu schließen. Danach wollte man sich ganz auf Berlin und den Internethandel konzentrieren.

Nun war es das wohl. Zumindest, was das „haptische Erlebnis des Instrumentenkaufs“ betrifft. Denn geschäftlich geht es im Hause Stock schon lange nicht mehr allein um Musik. Zur bereits 1995 gegründeten Joachim Stock Holding gehören neben Just Music unter anderem auch ein europäischer Großhandel für Musikinstrumente und Equipment, das Immobilienunternehmen Grund-Stock sowie ein Forst- und ein Logistikunternehmen. Nur Speeddating mit Les Paul und Stratocaster ist in jedem Fall bald Geschichte.

QOSHE - Just Music: Instrumenten-Kaufhaus am Moritzplatz muss endgültig schließen - Jochen Knoblach
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Just Music: Instrumenten-Kaufhaus am Moritzplatz muss endgültig schließen

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01.02.2024

Gianluigi D’Autilia sitzt im teuersten Zimmer des Just Music. Es ist ein gemütlicher Raum mit warmem Licht, Teppich auf dem Boden und Gardinen vor den Fenstern. Es gibt eine Couch, einen kleinen Tisch und ein paar Hocker. Auf einem beugt sich Gianluigi über eine elektrische Gitarre, an deren Kopfplatte das Preisschild baumelt. Vier Stellen stehen vor dem Komma.

Er hat das Instrument mit einem Verstärker verkabelt und lässt die Finger seiner linken Hand stepptanzschnell über das Griffbrett trippeln. Der Mann ist ganz allein mit seiner Musik. Nur Jimmy Page ist noch da. Der Led-Zeppelin-Gitarrist schaut ihm von einem großen gerahmten Foto, das an der Wand lehnt, über die Schulter.

Das Zimmer befindet sich ganz am Ende der Gitarrenabteilung in der dritten Etage des Kreuzberger „Alles für Musiker“-Kaufhauses Just Music. Bis an die Decke hängen etwa fünf Dutzend Stromgitarren. An einer Wand die Klassiker der Marke Gibson. Fenders Strato- und Telecaster an einer anderen. Eine Werkzeugkammer der Rockgeschichte, deren Inventar zusammen kaum weniger als eine Viertelmillion Euro kosten dürfte. „Ich liebe dieses Zimmer“, sagt D’Autilia.

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Früher habe er oben in der fünften Etage immer noch einen Espresso getrunken. Aber das Café habe ja leider schon lange geschlossen, sagt er. Das geliebte Zimmer mit den Gitarren ist geblieben. „Du kannst dir einfach eine Gitarre nehmen und abtauchen. Keiner nervt dich, ob du nun kaufen willst oder nicht. Aber wenn du reden willst, kannst du die besten Fachgespräche führen“, sagt er. Es sei „das Paradies für Musiker“. Jetzt steht es vor der........

© Berliner Zeitung


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