Hier ist alles, wie es sich für einen Treffpunkt dieser Partei gehört. Aber nur auf den ersten Blick. Es geht um den kleinen „Grünen Laden“ am Rande der Innenstadt von Cottbus: Über einen großen Teil der Fensterscheibe ist eine Sonnenblume geklebt, das Parteisymbol.

Darunter hängt ein Plakat mit der Losung „Nie wieder ist jetzt“. Es ist ein Aufruf zu einer der vielen Kundgebungen gegen Rechtsextremismus, wie sie derzeit überall in Deutschland stattfinden.

In Berlin dafür auf die Straße zu gehen ist einfach, da die Stadt noch immer recht rot-rot-grün geprägt ist. Aber das hier ist Cottbus, das ist die Lausitz – die Hochburg der AfD im Land Brandenburg. Bei der Landtagswahl 2019 holte die rechtspopulistische bis extremistische Partei in dieser Stadt die beiden Direktmandate für das Landesparlament; bei der Kommunalwahl wurde sie stärkste Kraft im Stadtparlament. Die AfD ist hier so normal, dass die CDU mit ihr gemeinsame Anträge erfolgreich durchs Stadtparlament bringt. Gegen die Linie der Bundes-CDU.

Hier in der Lausitz sind die Grünen seit langem das, was sie bei manch anderen erst in letzter Zeit geworden sind: Lieblingsfeinde. Eigentlich aber sind Grüne und AfD füreinander schon seit zehn Jahren die jeweiligen erklärten Hauptgegner. Deshalb stellt sich in Cottbus die Frage: Wie ist es, in einer AfD-blau eingefärbten Region grüne Politik zu machen?

Die Frage soll an Hans-Joachim Weißflog gehen, 70 Jahre alt, grauhaarig, durchtrainiert, angenehme Stimme, klare Meinung und seit 32 Jahren das Aushängeschild der Grünen in der Lausitzmetropole. „In dieser Region sind wir es schon immer gewohnt, in der Minderheit zu sein“, sagt er, lächelt und führt hinein in den „Grünen Laden“.

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23.02.2024

23.02.2024

Auch dort scheint erst einmal alles ganz normal: Gleich neben der Tür steht ein parteigrün lackiertes Lastenrad, an der Wand reckt sich eine frisch gegossene Grünpflanze in die Höhe, das Mineralwasser kommt natürlich aus der Pfandflasche und auch das Toilettenpapier ist ökologisch korrekt. Erst auf den zweiten Blick wird klar, dass etwas anders ist, dass das hier für Grüne auch ein gefährliches Pflaster ist: Die große Schaufensterscheibe ist sehr viel jünger als der jahrzehntealte Mietvertrag. „Im April 2023 wurde die Scheibe eingeworfen“, sagt Weißflog.

Es war einer jener anonymen Angriffe auf Parteibüros. In diesem Fall gab es einen Zeugen: Ein Mann sah an jenem Abend gegen 22.30 Uhr, wie ein Radfahrer zum „Grünen Laden“ fuhr, einen Stein warf und flüchtete. Bei der Kripo übernahm der Staatsschutz den Fall, jene Abteilung, die für politisch motivierte Straftaten zuständig ist. Doch die Ermittler konnten den Täter nicht finden. Damit nicht genug: Immer wieder fliegen Farbbeutel gegen das Fenster.

In einer Demokratie ist Gewalt in der Politik ein Tabu, aber in Zeiten extremer politischer Polarisierung hat sie massiv zugenommen – vor allem persönliche Angriffe auf Politiker. 2023 gab es nach Angaben des Bundestages 2790 solcher Attacken. Das ist ein Plus von 50 Prozent gegenüber dem Jahr davor. Jahrelang war die AfD das Hauptangriffsziel vor allem für Radikale von der Antifa, inzwischen führen die Grünen die Liste an: Deren Politiker wurden 2023 insgesamt 1219 Mal attackiert. Das ist so oft wie Vertreter von AfD, SPD, CDU und Linken zusammen.

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Hans-Joachim Weißflog trinkt einen Schluck Kaffee und erzählt, dass sich auch in Cottbus die Stimmung gewandelt habe. „Seit die AfD dabei ist, hat sich die Tonalität verändert“, sagt er. „Es ist erkennbar anders: Die Sprache hat sich verändert, der Umgang wird härter, oft fehlt ganz einfach der grundsätzliche Respekt.“

Eigentlich würde Weißflog am liebsten nur über seine Grünen reden und nicht über die AfD, weil derzeit fast nur noch über diese Partei gesprochen wird, wenn es um Politik im Osten geht. „So, als gäbe es alle anderen überhaupt nicht“, sagt er. „Die bekommen mehr Aufmerksamkeit als nötig.“

Doch die AfD ist nun mal überstark, und in der Lausitz gewinnt sie Wahlen. Im Juni stehen Kommunalwahlen und die Europawahl an und dann im September die Landtagswahl. Und genau wie in Sachsen und Thüringen führt die AfD auch in Brandenburg seit Monaten alle Umfragen an – derzeit mit 30 Prozent. Weißflogs Partei ist zwar Teil der Landesregierung, steht aber nur bei acht Prozent.

Weißflog selbst tritt bei der Kommunalwahl nicht noch mal an, kämpft aber dafür, dass die Grünen wieder drei Sitze bekommen und eine Fraktion bilden können, deren Chef er über Jahrzehnte war. „Es wird ganz klar härter als beim letzten Mal“, sagt er. Gerade seine Partei steht derzeit im Sturm.

Weißflog sehnt sich nicht nach einer politischen Kuschelecke. Der gebürtige Cottbuser ist hart im Nehmen, musste immer kämpfen, denn die Lausitz ist ein riesiges Kohlerevier, und er vertritt die Partei der Kohlegegner. Ihn stört vor allem, dass die AfD so rückwärts denke. Dabei gehe es doch für Cottbus metaphorisch gesprochen um alles: um eine neue Zukunft. Denn nach 150 Jahren endet im Kohlerevier das Zeitalter des schwarzen Goldes. Doch den beschlossenen Kohleausstieg lehnt die AfD ab. „Die Vergangenheit ist braun“, sagt Weißflog, „die Zukunft ist grün.“

Er steht auf, will raus in die Stadt, will zwei Beispiele für die Cottbuser Zukunft zeigen. Der erste Teil dieser Zukunft gehört zu Weißflogs Vergangenheit: das Bahnwerk. Dort wurde gerade ein neues ICE-Instandsetzungswerk angebaut: groß, lang und weiß. Diese neue Cottbuser Milliarde sieht gar nicht nach einer Milliarde aus, sondern so funktional-schlicht wie ein riesiger Baumarkt. Das Werk wurde ab 1873 erbaut, davon zeugt noch ein alter Ziegelbau, dahinter sind die hohen Hallen aus DDR-Zeiten zu sehen und ganz vorn an der Straße die fast 450 Meter lange, nagelneue weiße Halle. „Da passt ein ganzer ICE rein“, sagt er. Zwar fallen Jobs in der Kohle weg, aber die Regierung und die EU investieren hier eine Milliarde Euro in die Transformation der Lausitz und in 1200 neue Jobs.

Und was sagt die AfD? Sie kritisiert, dass das ICE-Werk ausgerechnet in einer Stadt gebaut wird, die nicht mal ICE-Anschluss hat. „Genau das ist es, was mich an der AfD stört“, sagt Weißflog. „Sie suchen immer die schlechten Details, um dann das große Ganze schlechtzumachen. Aber dieses Werk ist etwas Gutes, auch ohne ICE-Anschluss.“

Der Diplomingenieur für Halbleiterphysik stammt aus einer Dynastie von Eisenbahnern, ging wie Vater und Großvater zur Bahn und prüfte in diesem Werk 13 Jahre lang im Drei-Schicht-Betrieb Loks aus sowjetischer Produktion; er leitete nacheinander vier Abteilungen und war zwei Jahre lang Personalrat. „Ich war in der DDR zwar politisch interessiert, aber nicht aktiv.“ In die Politik ging er erst im Revolutionsherbst 1989, als das Neue Forum gegründet wurde. Er gehört also zu jenem ostdeutschen Flügel, der im Parteinamen Bündnis90/Die Grünen für das Bündnis der DDR-Bürgerbewegungen steht. Seine Frau war anfangs Brandenburgs Landesvorsitzende. Er wurde schnell Stadtverordneter.

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Lächelnd und kopfschüttelnd erzählt er über die damalige demokratische Euphorie: „Die Stadtverordnetenversammlungen liefen auch mal von morgens um 9 Uhr bis Mitternacht.“ Er lacht. „Das war nix für Weicheier. Damals waren alle politisch, aber die wenigsten sind es geblieben.“ Er blieb dabei, obwohl er immer in der Minderheit war.

Er erzählt, dass die politische Kultur auch in Cottbus lange vom Respekt der Abgeordneten untereinander geprägt war. Aber es wird rauer. Manchmal auch in ihren Reihen. Eine Frau der Grünen hat sich massiv im Kampf gegen Neonazis profiliert. Ihr wurden die Scheiben des Autos eingeworfen. Später wurde auch sie hart im Umgang und griff in einer Internetdebatte mit Kritikern der Corona-Maßnahmen die Leute massiv an. Dann trat sie aus der Fraktion und der Partei aus.

Weißflog erzählt, dass er persönlich noch nicht attackiert wurde. Vielleicht liegt es am Alter, vielleicht an seiner eher ruhigen Art. Trotzdem hat er auch schon die Justiz eingeschaltet. Es war ausgerechnet im Stadtparlament. Im Nachgang der Pandemie hatte ein AfD-Abgeordneter eine provokante Rede gehalten. „Ich gab dazu eine Stellungnahme unserer Fraktion ab“, erzählt er. Danach kam ein Mann zu ihm, der in den Zuschauerreihen gesessen hatte. „Er sagte, dass ein anderer Mann während meiner Rede gesagt habe: Den müsste man erschießen.“ Weißflog schüttelt den Kopf. Er erstattete Anzeige gegen Unbekannt, der Mann wollte den Vorfall auch bezeugen. „Ein Jahr später teilte mir die Staatsanwaltschaft mit, dass das Verfahren eingestellt wurde. Der Zeuge wurde nicht mal gehört.“

Nun kurven ein paar Autos über den Parkplatz vor dem Bahnwerk. Weißflog lächelt. „Die Spätschicht kommt.“ Er will weiter, will zum ehemaligen Tagebau Cottbus Nord. Es ist eine irre Welt, denn die Kohlegrube fraß sich hier weit ins Stadtgebiet hinein. Früher eine wüste Mondlandschaft, heute eine begehrte Ecke. Nun wird die leere Kohlegrube geflutet, wird zum Cottbuser Ostsee. „Das ist die Transformation von einer schmuddeligen industriellen Vergangenheit in eine touristische Zukunft“, sagt er, als er am Ufer steht und staunt. Der viele Regen dieses Winters hat dafür gesorgt, dass der Wasserspiegel ordentlich gestiegen ist. Er steht über einem kleinen Bauwerk, das Wasser aus der Spree in den Ostsee leitet. In einem dicken Strahl schießt das Wasser aus dem Rohr. „Hier am Ufer sollen mehrere Badestrände entstehen und in der Nähe auch Wohnungen.“

Wieder in der Innenstadt geht er zum weitläufigen Altmarkt mit seinen wunderbar sanierten Häusern. Ein Postkartenmotiv, ein Ort, der viele staunen lässt, die Cottbus immer nur als DDR-Plattenbaustadt wahrnehmen. Er erzählt, dass sich die Grünen hier ganz um die Basisthemen kümmern, um Radwege und solche Dinge. Er zeigt auf ein Schild: Der Markt ist nun verkehrsberuhigt. „Wir Grünen wollen natürlich eine autofreie Zone hier, das erhöht die Aufenthaltsqualität.“ Doch es gibt Skeptiker. Deshalb wird die Autofreiheit erst mal nur getestet.

Die Grünen werden meist als westdeutsch geprägte Großstadtpartei wahrgenommen. Im Osten haben sie es besonders schwer. Cottbus ist zwar Großstadt, doch hier hatten die Grünen über viele Jahre nur 30 Mitglieder, mit der Flüchtlingskrise ab 2015 wurden es 70. „Das ist nicht viel“, sagt er. „Aber immerhin.“

Oben, in der Führung der Grünen, aber auch der SPD oder der Linken, herrscht eine ganz klare Abgrenzungspolitik vor. Aber unten an der Basis müssen die Lokalpolitiker miteinander agieren. Sie müssen vor Ort ihr Gesicht zeigen, müssen auch für die Politik von denen dort oben geradestehen. Hier weiß auch der politische Gegner, wo man wohnt. Lokalpolitiker können nicht einfach die Wähler beschimpfen, wie es inzwischen bei einigen Parteigrößen üblich ist.

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Auch Hans-Joachim Weißflog sagt seinen Grünen immer: „Demokratie ist keine Einbahnstraße.“ Und wenn die Radikalen rumpöbeln oder ein AfD-Politiker provoziert, rufe er seine Leute auf, nicht zurückzuprovozieren. „Denn wenn alle bei der Eskalation mitmachen, endet es im politischen Chaos.“

Wenn rechtsradikale Parolen gesagt werden, hat auch er keine Lust mehr, mit den Leuten zu sprechen und grenzt sich klar von solchen Politikern ab. Aber bei AfD-Wählern ist es anders. „Man muss bereit sein, den Leuten zuzuhören, um eigene Schlüsse zu ziehen und vielleicht auch in die Diskussion zu kommen.“ Er geht am Stadthaus vorbei, dem Sitz des Stadtparlaments. „Wie sollte es sonst gelingen, Wählerschaft zurückzugewinnen?“

Cottbus gilt als eine der ostdeutschen Hochburgen der Rechtsradikalen und Neonazis. „Da ist ein Image entstanden, das werden wir so schnell nicht mehr los“, sagt Weißflog. Seit die Pegida-Demos in Dresden für bundesweite Schlagzeilen sorgten, rief auch der Verein „Zukunft Heimat“ in Cottbus zu Großdemos auf. Der Verein ist offiziell als rechtsextremistisch eingestuft. Zu den Demos kamen auch mal 4000 Leute. Die Radikalen wollen Cottbus zu einem zweiten Dresden machen.

Weißflog geht hinüber zur Stadthalle am Rande der Innenstadt. Die Gegensätze hier sind extrem. Dort die wunderbaren Häuser auf dem Markt aus dem 17. und 18. Jahrhundert, dann schöne Stadtvillen vom Anfang des 20. Jahrhunderts, dazu klassische DDR-Plattenbauten. Und überall große Lücken, die die Bombardements des Zweiten Weltkriegs gerissen haben. Die wechselvolle Geschichte Deutschlands ist hier ganz klar im Stadtbild erkennbar. Früher marschierten am 15. Februar oft Neonazis durch die Innenstadt – am Jahrestag der alliierten Luftangriffe. Dieses Mal kamen 500 Cottbuser zur Kundgebung gegen Rechtsextremismus.

Noch immer steht die AfD in Umfragen bei 30 Prozent, doch Weißflog bleibt optimistisch. „Denn deren Wirksamkeit ist doch gar nicht mehr so da“, sagt er. Die Zeit ihrer großen Demos sei längst vorbei. Nicht nur für ihn wurde die Trendwende im Herbst 2022 erkennbar: Die Stichwahl, bei der die AfD erstmals in einer bundesdeutschen Großstadt den Posten eines Oberbürgermeisters erobern wollte. Lars Schieske von der AfD trat an, jener Mann, der hier zuvor ein Direktmandat für den Landtag gewonnen hatte. Doch in der Stichwahl gewann Tobias Schick von der SPD, der fast 70 Prozent bekam.

Weißflog zeigt über den Markt auf die Stadthalle. Dort hängt ein buntes Banner mit der Losung „Cottbus ist bunt“. „Früher sind Tausende Rechtsradikale durch die Stadt gezogen, jetzt steht das da dran.“ Er lächelt.

Dann will er los. „Ich muss noch auf die Rolle“, sagt er. Er meint seinen Fahrrad-Hometrainer. Der Mann ist Triathlet: 3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren und dann ein klassischer 42-Kilometer-Marathon. Er trainiert sechs Tage pro Woche, insgesamt zehn bis zwölf Stunden. Als junger Mann sei er nie Leistungssportler gewesen, sagt der 70-Jährige. „Bis zu meinem 48. Lebensjahr war ich Leistungsraucher.“ Dann fing ein Freund mit dem Joggen an und fragte, ob er nicht mitmachen wolle. Er fing mit dem Laufen an und hörte mit dem Rauchen auf. „Das war 2001. Ein Jahr später lief ich beim Berlin-Marathon mit.“ Vier Jahre später folgte der erste große Triathlon. Er nickt. „Ich habe eine ungesunde Sucht durch eine gesunde ersetzt.“

Auf der Rolle will er einen Leistungstest absolvieren. „Mit wie viel Kraft darf ich beim Triathlon maximal Rad fahren, damit ich hinterher noch einen Marathonlauf schaffe?“ Gute Planung ist wichtig. In der Politik wie im Sport. Weißflog muss es wissen: Er war hier nicht nur jahrzehntelang Fraktionschef, er wurde gerade auch zu einem der Sportler des Jahres der Stadt Cottbus gekürt. Und im Vorjahr wurde er bei der WM in Nizza Vize-Weltmeister seiner Altersgruppe. Das Leben des Hans-Joachim Weißflog ist nicht nur politisch, sondern auch sportlich.

QOSHE - Von Wirklichkeit umzingelt: Grüne Politiker im AfD-Land in der Lausitz - Jens Blankennagel
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Von Wirklichkeit umzingelt: Grüne Politiker im AfD-Land in der Lausitz

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25.02.2024

Hier ist alles, wie es sich für einen Treffpunkt dieser Partei gehört. Aber nur auf den ersten Blick. Es geht um den kleinen „Grünen Laden“ am Rande der Innenstadt von Cottbus: Über einen großen Teil der Fensterscheibe ist eine Sonnenblume geklebt, das Parteisymbol.

Darunter hängt ein Plakat mit der Losung „Nie wieder ist jetzt“. Es ist ein Aufruf zu einer der vielen Kundgebungen gegen Rechtsextremismus, wie sie derzeit überall in Deutschland stattfinden.

In Berlin dafür auf die Straße zu gehen ist einfach, da die Stadt noch immer recht rot-rot-grün geprägt ist. Aber das hier ist Cottbus, das ist die Lausitz – die Hochburg der AfD im Land Brandenburg. Bei der Landtagswahl 2019 holte die rechtspopulistische bis extremistische Partei in dieser Stadt die beiden Direktmandate für das Landesparlament; bei der Kommunalwahl wurde sie stärkste Kraft im Stadtparlament. Die AfD ist hier so normal, dass die CDU mit ihr gemeinsame Anträge erfolgreich durchs Stadtparlament bringt. Gegen die Linie der Bundes-CDU.

Hier in der Lausitz sind die Grünen seit langem das, was sie bei manch anderen erst in letzter Zeit geworden sind: Lieblingsfeinde. Eigentlich aber sind Grüne und AfD füreinander schon seit zehn Jahren die jeweiligen erklärten Hauptgegner. Deshalb stellt sich in Cottbus die Frage: Wie ist es, in einer AfD-blau eingefärbten Region grüne Politik zu machen?

Die Frage soll an Hans-Joachim Weißflog gehen, 70 Jahre alt, grauhaarig, durchtrainiert, angenehme Stimme, klare Meinung und seit 32 Jahren das Aushängeschild der Grünen in der Lausitzmetropole. „In dieser Region sind wir es schon immer gewohnt, in der Minderheit zu sein“, sagt er, lächelt und führt hinein in den „Grünen Laden“.

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23.02.2024

23.02.2024

Auch dort scheint erst einmal alles ganz normal: Gleich neben der Tür steht ein parteigrün lackiertes Lastenrad, an der Wand reckt sich eine frisch gegossene Grünpflanze in die Höhe, das Mineralwasser kommt natürlich aus der Pfandflasche und auch das Toilettenpapier ist ökologisch korrekt. Erst auf den zweiten Blick wird klar, dass etwas anders ist, dass das hier für Grüne auch ein gefährliches Pflaster ist: Die große Schaufensterscheibe ist sehr viel jünger als der jahrzehntealte Mietvertrag. „Im April 2023 wurde die Scheibe eingeworfen“, sagt Weißflog.

Es war einer jener anonymen Angriffe auf Parteibüros. In diesem Fall gab es einen Zeugen: Ein Mann sah an jenem Abend gegen 22.30 Uhr, wie ein Radfahrer zum „Grünen Laden“ fuhr, einen Stein warf und flüchtete. Bei der Kripo übernahm der Staatsschutz den Fall, jene Abteilung, die für politisch motivierte Straftaten zuständig ist. Doch die Ermittler konnten den Täter nicht finden. Damit nicht genug: Immer wieder fliegen Farbbeutel gegen das Fenster.

In einer Demokratie ist Gewalt in der Politik ein Tabu, aber in Zeiten extremer politischer Polarisierung hat sie massiv zugenommen – vor allem persönliche Angriffe auf Politiker. 2023 gab es nach Angaben des Bundestages 2790 solcher Attacken. Das ist ein Plus von 50 Prozent gegenüber dem Jahr davor. Jahrelang war die AfD das Hauptangriffsziel vor allem für Radikale von der Antifa, inzwischen führen die Grünen die Liste an: Deren Politiker wurden 2023 insgesamt 1219 Mal attackiert. Das ist so oft wie Vertreter von AfD, SPD, CDU und Linken zusammen.

Oberbürgermeister-Wahl in Cottbus: Warum ist die Lausitz eine Hochburg der AfD?

23.09.2022

Verbot der AfD: Die Debatte kommt wieder zum falschen Zeitpunkt

29.12.2023

Hans-Joachim Weißflog trinkt einen Schluck Kaffee und erzählt, dass sich auch in Cottbus die Stimmung gewandelt habe. „Seit die AfD dabei ist, hat sich die Tonalität verändert“, sagt er. „Es ist erkennbar........

© Berliner Zeitung


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