Usbekistan befindet sich seit einigen Jahren in einem umfangreichen Transformationsprozess. Das zentralasiatische Land hat sich bekanntlich politisch und wirtschaftlich geöffnet und aus der Isolation der postsowjetischen Jahrzehnte herausgeschält.

Es holt Investoren ins Land und pflegt internationale Beziehungen auch stärker mit dem Westen, trotz weiter bestehender Seilschaften zu den ehemaligen Sowjetrepubliken. Darüber hinaus fördert es aktiv seine kulturelle Außenwirkung.

Die Ausstellung auf der Museumsinsel Berlin mit großartigen archäologischen Schätzen Usbekistans aus der Epoche Alexanders des Großen und aus vorislamischer Zeit ist ein Beleg dafür. Sie ist noch bis 14. Januar zu sehen.

Wie sehr dieses „neue“ Usbekistan auch daran arbeitet, seine kulturelle, historisch im Orient verankerte Identität im heutigen Zentralasien sichtbar zu machen, zeigt sich am Umgang mit seinem Kulturerbe. So lässt die politische Führung seit sieben Jahren mit großem Einsatz und finanziellen Mitteln Usbekistans reiches Vermächtnis aus Artefakten, Manuskripten und Kunstobjekten, die weltweit verstreut in Bibliotheken, Museen und privaten Sammlungen schlummern, durchforsten und erfassen – auch in Deutschland.

03.12.2023

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Das breit angelegte Forschungs- und Publikationsprojekt „Kulturerbe Usbekistans in den Sammlungen der Welt“ soll dieses aufarbeiten – für künftige Generationen und für eine neue Wissensgesellschaft, wie es heißt. Dem amtierenden Präsidenten Schawkat Mirzijojew reichen für das neue Narrativ keine geringeren Schlagworte als „dritte Renaissance“ oder „Enlightenment“, also „Aufklärung“. Begriffe, die sich bezeichnenderweise auf abendländisch konnotierte Epochen beziehen.

Für das mit internationaler Expertise betriebene Projekt wurde 2018 von 300 Orientalisten eigens die Weltgesellschaft zur Erforschung, Bewahrung und Popularisierung des kulturellen Erbes Usbekistans ins Leben gerufen, kurz World Society. Im November hat die mittlerweile auf 400 Mitglieder angewachsene Gesellschaft Wissenschaftler und Museumsvertreterinnen aus dem In- und Ausland zum siebten Kongress eingeladen. Und zwar nach Samarkand. Keine Stadt steht wohl mehr für das, was Usbekistans Kulturerbe ausmacht. Samarkand, „die Schöne“ an der Seidenstraße, die Timur Lenk (Tamerlan) im 14. Jahrhundert zur Hauptstadt seines Reichs machte und die nachfolgend von den muslimisch geprägten Timuriden mit prachtvollen Moscheen und Meseden ausgestattet wurde. Die türkisblauen Kuppeln und reliefverzierten Minarette der Koranschulen auf dem Registan-Platz sowie die Mausoleen zeugen davon. Die Stadt wurde zur Wissenshochburg, die Baudenkmäler sind Weltkulturerbe.

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Dieses Samarkand spiegelt also recht passend das Vorhaben und die Absicht, die hinter dem Projekt steckt, vereint es doch das Alte und das Neue, Junge. Das führen nicht nur die vielen jungen Usbekinnen und Usbeken vor Augen, die die aus mehr als 30 Ländern angereiste Expertenschaft betreuen, sondern auch der Ort, an dem die Konferenz stattfindet. Silk Road Samarkand heißt das nagelneue, angeblich in nur zwei Jahren auf die grüne Wiese beziehungsweise an den Rand der bewässerten Steppe gebaute weitläufige Parkgelände mit Ruderkanal und Ensembles aus 5-Sterne-Hotel, Kultur-, Vergnügungs-, Messe- und Konferenzzentren. Bei genauerem Blick hinter die Kulissen wird das chinesische Investment erkennbar.

An das Wasserbecken angedockt ist die sogenannte Ewige Stadt. Nein, nicht Rom ist gemeint. Vielmehr führt das festungsartige Ensemble die Mystifizierung Samarkands mit heutigen Mitteln weiter: Ein etwas disneylandhaft auf historisch getrimmter Stadtkern mit echten kleinen Läden, Werkstätten für Kunsthandwerk, Restaurants, Teehäusern und einem Amphitheater lädt zum Flanieren und Speisen ein. Man kann es auch verspielt nennen, denn bei den Usbeken erfreuen sich Park und Ewige Stadt als Ausflugsziel sichtlich großer Beliebtheit. Nachts weithin zu sehen aber ist vor allem das bunt beleuchtete Observatorium, benannt nach dem berühmten Prinzen Ulugh Beg, dem großen Astronom und Enkel Timurs, der bereits als 15-Jähriger Statthalter von Samarkand wurde und es zum Zentrum islamischer Kultur machte. Er war in allen Wissenschaften gebildet und dient im neuen Usbekistan als Vorbild für alles, was mit Bildung zu tun hat.

So haben Ulugh Begs Schriften natürlich Eingang in das Kulturerbe-Projekt der World Society gefunden. In einer besonderen Faksimile-Ausgabe wurde sein Traktat über den Sternenhimmel gedruckt, das zu den wichtigsten und zugleich schönsten Meisterwerken zentralasiatischer Kunst zählt. Faksimiliert hat das Werk das deutsche Verlagshaus Müller & Schindler, das sich auf hochwertige Reproduktionen alter Handschriften und Miniaturmalereien spezialisiert hat. Für die Verlegerin Charlotte Kramer ist es ein großer Gewinn, von Anfang an Teil dieses umfassenden Projekts zu sein, da es der Mission des Verlags entspreche: Kulturgut zu schützen, es mit den besten technischen Möglichkeiten zu reproduzieren und so für die Öffentlichkeit und künftige Generationen sichtbar zu machen.

Auf der Konferenz stellte Kramer das kostbare Faksimile einer der ältesten Koran-Handschriften vor, des Katta-Langar-Korans aus einem Gebiet südlich von Samarkand. Das Manuskript aus der Mitte des 8. Jahrhunderts existiert nur noch in Fragmenten, 44 Suren sind erhalten. Durch den Willen des Schicksals, so heißt es, wurden etwa 80 Blätter in den Depots der Sankt Petersburger Zweigstelle des Instituts für Orientalistik der Russischen Akademie der Wissenschaften gefunden – und ein Blatt im Institut für Orientalistik der Akademie der Wissenschaften Usbekistans. Bis vor knapp zwei Jahren war der Zugang zu den Originalen im russischen Depot für Müller & Schindler noch möglich. Glück, oder auch das Schicksal. Daran sieht man, wie sehr die politische Lage Einfluss auf die Arbeit an Projekten wie diesem nimmt.

Zum Kongress lagen nun lange Reihen der dunkelblau gebundenen Bildbände mit Goldschnitt in einem eigenen Raum vor dem Konferenzsaal aus, aufgeklappt auf Lesepulten und wie aus der Zeit gefallen. Beim Durchblättern folgen Abbildungen alter Handschriften und ziselierter Metallgefäße auf persische oder arabische Kalligrafien, Miniaturmalereien, kunstvoll bemalte Fliesen, Seidenstickereien und bunte Ikat-Gewebe. Goldgeprägt sind auch die Titel auf den Einbänden, alle Texte und Bildbeschreibungen sind dreisprachig, auf Russisch, Usbekisch und Englisch. Ein selbstbewusstes Statement in Form einer anwachsenden Buchreihe.

Mehr als 70 Alben sind bisher publiziert, zehn weitere kurz vor der Fertigstellung, 100 sollen es werden. Bände zu Sammlungen in Indien, Spanien, der Mongolei, Großbritannien, Japan, Russland, der Türkei, Aserbaidschan, Frankreich oder Tschechien gibt es bereits, und auch zu Deutschland. Doch sind bei weitem noch nicht alle Bestände erfasst. Deshalb sei jetzt ein zweiter Band angedacht, sagt Aysima Mirsultan von der Staatsbibliothek zu Berlin, wo ebenfalls wertvolle Schriften zur Astronomie von Ulugh Beg lagern sowie viele Originale aus dem 16. Jahrhundert, die der Orientalist Friedrich von Diez (1751–1817) gesammelt und katalogisiert hat.

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Auch mit Österreich will die World Society eine Kooperation eingehen. Aus Wien eingeladen wurde deshalb Jonathan Fine, ausgewiesener Experte für Provenienzforschung, derzeit Chef des Weltmuseums Wien und ab 2025 Generaldirektor des Kunsthistorischen Museums und des gesamten Wiener Museumskonzerns. Auch in Berlin ist Fine kein Unbekannter, er war Kurator für die Afrikanischen Sammlungen bei den Staatlichen Museen und ab 2020 Leiter des Ethnologischen Museums bis zum Umzug ins Humboldt Forum. Beide sagen, dass die Beteiligung an diesem Buchprojekt sehr spannend und natürlich wünschenswert ist, allerdings binde es Wissenschaftspersonal aus den ohnehin kleinen Teams für eine nicht unerhebliche Zeit.

Aus der altehrwürdigen Universitätsstadt Cambridge referierte der Historiker und Iran-Experte Charles Melville über die Sammlung der Library, die im frühen 16. Jahrhundert begann und wertvolle Manuskripte aus dem Orient beherbergt – nicht nur solche mit religiösem Inhalt, sondern auch Gedichtsammlungen, Diwane, Lyrik und Märchen. Wie jenes von einem Gelehrten namens Al-Samarkandi, der eigentlich aus Herat im heutigen Afghanistan stammte. Es handelt sich also um ein größeres Gebiet als das heutige Usbekistan, das erst 1925 als sowjetische Teilrepublik aus dem vormaligen zum russischen Reich gehörenden Turkestan hervorging. Gerade deswegen seien diese Treffen und der Austausch so wichtig, sagt Swetlana Gorshenina. Historische Fakten und Ungenauigkeiten müssten immer wieder auf den Prüfstand. Die gebürtige Usbekin ist Kunsthistorikerin, zentralasiatische Historiografin und Forscherin an der Universität Lausanne. Sie engagiert sich seit fünf Jahren für das Projekt, ist Mitbegründerin des Alert Heritage Observatory, einer nichtstaatlichen internationalen Vereinigung für die Erhaltung des kulturellen Erbes Zentralasiens und forscht in Paris am CNRS, das vergleichbar ist mit der deutschen Max-Planck-Gesellschaft.

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Eine Kartografie der verschwundenen Schätze also, ein umfassendes Puzzle, das in akribischer Kleinarbeit zusammengetragen und zusammengesetzt wird und dessen Einzelteile vielfach erst noch in den Museumsdepots und Privatsammlungen aufgespürt, identifiziert und erforscht werden müssen. Das kulturelle Erbe physisch zurückzubringen sei unmöglich, sagt der usbekische Leiter der Unternehmung, Firdavs Abdukhalikov, aber mit technischen Mitteln und neuen Medien könne man es zugänglich machen. Deshalb ist das Kulturerbe-Projekt Usbekistans in den Sammlungen der Welt auch ein großes Digitalisierungsprojekt. Viele der Bildbände sind bereits medial aufbereitet mit im Netz zugänglichen Dateien, es gibt einen Instagram-Auftritt und einen Blog. Zum Nachstöbern und Weiterlesen empfiehlt sich die Website https://society.uz/, die übrigens bereits sechs Jahre lang vom usbekisch-internationalen Öl-Multi Eriell Group gesponsert wird. Die Bücher sind nicht verkäuflich, sondern werden an die beteiligten Museen und Bibliotheken verschenkt und im Zuge der breiten Bildungsoffensive in den usbekischen Schulen verteilt. Denn wie sagte der Dichter Alisher Navoi: „Das Buch ist ein Lehrer … in jedem Moment offenbart es Weisheit.“

Das ist ein Beitrag, der im Rahmen unserer Open-Source-Initiative eingereicht wurde. Mit Open Source gibt der Berliner Verlag freien Autorinnen und Autoren sowie jedem Interessierten die Möglichkeit, Texte mit inhaltlicher Relevanz und professionellen Qualitätsstandards anzubieten. Ausgewählte Beiträge werden veröffentlicht und honoriert.

QOSHE - Usbekistans Erbe ist in alle Welt verstreut: Ein Mammutprojekt trägt es wieder zusammen - Irmgard Berner
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Usbekistans Erbe ist in alle Welt verstreut: Ein Mammutprojekt trägt es wieder zusammen

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05.12.2023

Usbekistan befindet sich seit einigen Jahren in einem umfangreichen Transformationsprozess. Das zentralasiatische Land hat sich bekanntlich politisch und wirtschaftlich geöffnet und aus der Isolation der postsowjetischen Jahrzehnte herausgeschält.

Es holt Investoren ins Land und pflegt internationale Beziehungen auch stärker mit dem Westen, trotz weiter bestehender Seilschaften zu den ehemaligen Sowjetrepubliken. Darüber hinaus fördert es aktiv seine kulturelle Außenwirkung.

Die Ausstellung auf der Museumsinsel Berlin mit großartigen archäologischen Schätzen Usbekistans aus der Epoche Alexanders des Großen und aus vorislamischer Zeit ist ein Beleg dafür. Sie ist noch bis 14. Januar zu sehen.

Wie sehr dieses „neue“ Usbekistan auch daran arbeitet, seine kulturelle, historisch im Orient verankerte Identität im heutigen Zentralasien sichtbar zu machen, zeigt sich am Umgang mit seinem Kulturerbe. So lässt die politische Führung seit sieben Jahren mit großem Einsatz und finanziellen Mitteln Usbekistans reiches Vermächtnis aus Artefakten, Manuskripten und Kunstobjekten, die weltweit verstreut in Bibliotheken, Museen und privaten Sammlungen schlummern, durchforsten und erfassen – auch in Deutschland.

03.12.2023

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Das breit angelegte Forschungs- und Publikationsprojekt „Kulturerbe Usbekistans in den Sammlungen der Welt“ soll dieses aufarbeiten – für künftige Generationen und für eine neue Wissensgesellschaft, wie es heißt. Dem amtierenden Präsidenten Schawkat Mirzijojew reichen für das neue Narrativ keine geringeren Schlagworte als „dritte Renaissance“ oder „Enlightenment“, also „Aufklärung“. Begriffe, die sich bezeichnenderweise auf abendländisch konnotierte Epochen beziehen.

Für das mit internationaler Expertise betriebene Projekt wurde 2018 von 300 Orientalisten eigens die Weltgesellschaft zur Erforschung, Bewahrung und Popularisierung des kulturellen Erbes Usbekistans ins Leben gerufen, kurz World Society. Im November hat die mittlerweile auf 400 Mitglieder angewachsene Gesellschaft Wissenschaftler und Museumsvertreterinnen aus dem In- und Ausland zum siebten Kongress eingeladen. Und zwar nach Samarkand. Keine Stadt steht wohl mehr für das, was Usbekistans Kulturerbe ausmacht. Samarkand, „die Schöne“ an der Seidenstraße, die Timur Lenk (Tamerlan) im 14. Jahrhundert zur Hauptstadt seines Reichs machte und die nachfolgend von den muslimisch geprägten Timuriden mit prachtvollen Moscheen und Meseden ausgestattet wurde. Die türkisblauen Kuppeln und reliefverzierten Minarette der Koranschulen auf dem Registan-Platz sowie die Mausoleen zeugen davon. Die Stadt wurde zur Wissenshochburg, die Baudenkmäler sind Weltkulturerbe.

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