Ein kleiner Stups am Rahmen und das Bild hängt wieder gerade an der Wand. Das Besondere daran: Der Stups passiert real, vollführt von dem Performer Dennis Dieter Kopp auf der kleinen Bühne im Ballhaus Ost, das Bild aber ist nur eine Lichtprojektion. Sie zeigt einen jungen Marinesoldaten, der dem Performer zufolge sein Großvater Günther ist, tatsächlich aber im Graphic-Novel-Stil gezeichnet die Gestalt eines jeden Soldaten sein könnte.

Und Dennis selbst steht nicht etwa wie ein realer Mensch neben der mannshohen Comic-Foto-Projektion, sondern wie sein kunstgewerbliches Nachbarstück auf dem Spitzendeckchen bei Oma, als barocke Porzellanfigur.

Reiz und Reaktion, Porträt und Mensch entsprechen in dieser Konstellation einander also eigentlich in keiner Weise. Und doch bildet die kleine physikalische Grenzüberschreitung den magischen Erzählmotor der Lecture-Performance, mit der Kopp und die Regisseurin Marie Simons, beide Absolventen der Uni Hildesheim, hier sehr gewitzt Erinnerungsarbeit, kritische Bildanalyse und performative Fantasie vereinen.

Dabei versucht „Studie von G. Anschütz, Dolomiten 1943“, das bereits im vergangenen Oktober in Hamburg herauskam und nun in Berlin gastiert, bei all dieser technischen Raffinesse eine sehr einfache, persönliche Familiengeschichte – die des Performers selbst – als Parabel zu erzählen.

•gestern

•gestern

18.01.2024

•vor 7 Std.

18.01.2024

Vater und Sohn Metzkes: Der alte Harlekin trifft Pierrot und Columbine

vor 6 Std.

Feier im Berliner Ensemble - Katharina Thalbach wird 70

gestern

Dass gleich zu Beginn die Heintje-Schnulze „Oma so lieb, Oma so nett“ durch den Raum schmettert, weist schon sehr amüsant über jede bloß persönliche Erfahrung hinaus. Und doch geht es hier um mindestens drei Ebenen zugleich: um Nazi-Oma Ruth und ihre Fotosammlung auf der Anrichte, um ihren Mann Günther, den NS-Marinesoldaten und um Enkel Dennis, der mit all den Soldatenfotos aufwuchs und sich nur langsam aus deren Menschen- und Männerbild herauswinden konnte.

Davon erzählt er nun, indem er sich zunächst selbst als Figur neben die Fotos reiht, sie kindlich bewundert, und sich sogar überblenden lässt von den lässig rauchenden Militärgestalten und ihren immer „richtig“ aussehenden Körpern. Langsam aber beginnt er, die tatsächliche Diskrepanz zwischen den scheinbar souveränen Posen und dem eigenen, speckigen Bäuchlein zu begreifen, und mit immer bohrenderen Fragen legt er die propagandistischen Bildhintergründe offen, auch die der propagierten Männlichkeit.

Ja, es wird hier richtig Arbeit geleistet an den scheinbar privaten Bildern, die plötzlich repräsentative werden, ohne aber – und das ist das Interessante – je original gezeigt zu werden. Ihre comicartigen Projektionen transportieren diesen zeichenhaften Entstehungscharakter wunderbar mit. Die einzige Schwäche dabei ist, dass der freundliche Bilderbesprecher Dennis selbst zu viel erklärt.

Der Kraft der eigenen performativen Verfremdungsästhetik wird dabei so wenig vertraut wie dem Selbstentdeckergeist der Zuschauer. Und trotzdem kriegt dieses leicht überbetreute Bilderseminar dank seines Darstellers immer wieder die Kurve: ins Charmante.

Weitere Informationen: Ballhaus Ost, bis 21.1., Tel: 44039168, Info: www.ballhausost.de

QOSHE - Theaterkritik: Bildanalyse mit Glitch-Effekt - Doris Meierhenrich
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Theaterkritik: Bildanalyse mit Glitch-Effekt

8 0
20.01.2024

Ein kleiner Stups am Rahmen und das Bild hängt wieder gerade an der Wand. Das Besondere daran: Der Stups passiert real, vollführt von dem Performer Dennis Dieter Kopp auf der kleinen Bühne im Ballhaus Ost, das Bild aber ist nur eine Lichtprojektion. Sie zeigt einen jungen Marinesoldaten, der dem Performer zufolge sein Großvater Günther ist, tatsächlich aber im Graphic-Novel-Stil gezeichnet die Gestalt eines jeden Soldaten sein könnte.

Und Dennis selbst steht nicht etwa wie ein realer Mensch neben der mannshohen Comic-Foto-Projektion, sondern wie sein kunstgewerbliches Nachbarstück auf dem Spitzendeckchen bei Oma, als barocke Porzellanfigur.

Reiz und Reaktion, Porträt und Mensch entsprechen in dieser Konstellation einander also eigentlich in keiner Weise. Und doch bildet die kleine physikalische Grenzüberschreitung den........

© Berliner Zeitung


Get it on Google Play