Das letzte Wort hat die Trainerin. Nach fast anderthalb Stunden an diesem Nachmittag auf dem Rasenplatz im Bruno-Bürgel-Weg, in denen sich Regen und etwas Sonnenschein abgewechselt haben, hat Ailien Poese den Worten ihres Co-Trainers Sven Gruel noch ein paar Ergänzungen und eine kleine Vorschau auf die kommenden Tage hinzuzufügen. Auf das Trainerteam und die Spielerinnen wartet am Sonntag (13 Uhr) im Stadion An der Alten Försterei im Duell mit Hertha BSC eine ganz besondere Aufgabe – da muss eben alles genau besprochen werden. Die Ansprache der Cheftrainerin an die Fußballerinnen des 1. FC Union Berlin aber ist kurz, präzise und endet kurz vor 16 Uhr mit den Worten „schönen Feierabend“.

Eine alltägliche Verabschiedung, die jeder aus dem Berufsleben kennt, aber nur selten bis nie auf einem Fußballplatz gehört hat. Schon gar nicht, wenn dort wenige Minuten zuvor noch Frauen trainiert haben. Beim 1. FC Union Berlin aber hat Präsident Dirk Zingler Wort gehalten. Auf der Mitgliederversammlung am 14. November 2022 im Tempodrom hatte er öffentlich angekündigt, dass der Verein im Frauen- und Mädchenbereich professionelle Strukturen schaffen möchte. Symbolisch dafür saßen damals schon die Spieler und Spielerinnen der ersten Männer- und Frauenmannschaft gemeinsam vor den Fans auf der Bühne, wurde Ailien Poese neben dem damaligen Cheftrainer der Männer, Urs Fischer, ans Rednerpult gebeten.

Poese, ehemalige Spielerin beim 1. FC Union Berlin und gebürtige Berlinerin, war zu diesem Zeitpunkt seit ein paar Monaten als hauptamtliche Trainerin für das Frauenteam verantwortlich, wurde im Sommer 2022 verpflichtet. Drei Monate nach der Mitgliederversammlung präsentierten die Köpenicker in Jennifer Zietz eine ehemalige Nationalspielerin als sportliche Leiterin und setzten die angestrebte Professionalisierung fort. „Die Entscheidung, auch den Fußball der Frauen bis hin zur ersten Mannschaft bei Union leistungssportlich auszurichten, verfolgen wir konsequent und mit voller Überzeugung“, wurde Zingler damals in einer Vereinsmitteilung zitiert.

Nur ein paar Monate später ging der Verein noch weiter und setzte damit genau ein Jahr nach dem Amtsantritt von Ailien Poese den wohl bedeutendsten und größten Schritt für den Frauenfußball im Standort Köpenick: Spielerinnen, Trainerinnen und Betreuerinnen wurden mit Profiverträgen ausgestattet, jede solle von der Arbeit leben können, sagte Zingler. Es sei wichtig, dass sich alle auf den Fußball konzentrieren könnten und beispielsweise entsprechend versichert seien. Wie bei den Männern üblich sollte von nun an auch bei den Frauen nicht mehr abends, sondern tagsüber trainiert werden. Professionalisierung im Sprinttempo.

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Im April 2024 ist jedenfalls nach außen festzustellen, dass der Verein seine Ankündigungen erfüllt hat. Und die Mannschaft von Ailien Poese zahlt das in der Regionalliga Nordost auf sportlichem Weg mit Erfolgen zurück: Alle 17 Spiele wurden gewonnen, zudem im Landespokal das Finale erreicht. „Unser Verein tut alles dafür, dass wir professionell Fußball spielen können“, erzählt die Cheftrainerin am Mittwoch kurz nach ihrer Ansprache an die Mannschaft.

Die hat nun noch Zeit für Eisbad, die Selbsthygiene, Regeneration oder einen Besuch beim Physiotherapeuten. Im erst vor wenigen Wochen eröffneten Trainingszentrum Oberspree, direkt am S-Bahnhof Oberspree gelegen, haben die Fußballerinnen und der Nachwuchs eine Heimat und Arbeitsstätte gefunden. Ein paar Spielerinnen bleiben an diesem Nachmittag noch eine Stunde hier und nutzen die Angebote vom Verein, „aber die eine oder andere trifft sich jetzt vielleicht schon mit Freunden, die auch von der Arbeit kommen und macht sich einen schönen Abend“, so Poese.

Erst am nächsten Vormittag zwischen 8.30 und 9 Uhr begrüßt die 39-Jährige ihre Spielerinnen wieder, um 16.30 Uhr ist Feierabend. In diesem Alltag spiele es aus Sicht der Trainerin „natürlich eine große Rolle, dass uns der Verein ein tolles Drumherum bietet, wir tolle Bedingungen und gute Plätze haben. Und dass die Mädels sich durch ihre Anstellung im Verein keine großen Sorgen um andere Dinge machen müssen.“

Das sei zu ihrer Zeit als aktive Fußballerin noch ganz anders gewesen. „Ich hätte es als Spielerin auch gerne kennengelernt“, sagt sie. Aber die eigene Karriere liegt nun auch schon ein paar Jahre zurück und „ich genieße es auch als Trainerin und freue mich, dass wir es gemeinsam jetzt so umsetzen können“. Gemeinsam mit den Spielerinnen und gemeinsam mit ihrem kompletten Betreuerstab. Zwölf Personen umfasst das Funktionsteam. Darunter befindet sich neben mehreren Co-Trainern, wie dem eingangs erwähnten Sven Gruel, und Physiotherapeuten auch eine Sportpsychologin, die gerade in dieser Woche vor dem Spiel gegen Hertha BSC etwas mehr zu tun hat.

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Denn: Das Stadtderby ist die eine Sache, die erwartete Kulisse von mehr als 10.000 Zuschauern im Stadion An der Alten Försterei aber eine mentale Situation, die die Spielerinnen nicht kennen und die selbst für Trainerin Ailien Poese neu ist. „Alle realisieren langsam, dass die Alte Försterei ziemlich voll werden könnte“, erzählte Dina Orschmann am Mittwochmittag in einer Presserunde. Die Stürmerin ist eine der erfahreneren Spielerinnen im Team, lief schon für Potsdam in der 1. Bundesliga auf. Hier, in diesem Stadion, hat sie mit ihrer Zwillingsschwester Katja ihren Abiball gefeiert, wie sie im Februar im Interview mit der Berliner Zeitung erzählte.

Jetzt sitzt sie dort, wo gleich Christopher Trimmel etwas über die schwierige Situation der ersten Männermannschaft des 1. FC Union Berlin erzählen wird und muss die Fragen der Journalisten beantworten. Am vergangenen Wochenende hat die Stürmerin noch fünf Tore beim 15:0-Sieg gegen den 1. FFV Erfurt erzielt. 24 Treffer hat sie bislang in der Regionalliga geschossen, darunter auch die zwei in der Nachspielzeit am 7. April beim knappen 2:1-Sieg gegen den FC Carl-Zeiss Jena II.

Als einen Wachrüttler, ein sehr wertvolles Spiel bezeichnet sie diesen knappen Erfolg auf dem Weg in die angestrebte Zweite Bundesliga, der fast das Ende der perfekten Serie bedeutet hätte. So aber können sie und ihre Teamkolleginnen sich freuen, „dass wir unseren Lauf auch so einem großen Publikum zeigen können. Wir sind den Weg der Professionalisierung gegangen, um solche Spiele erleben zu dürfen“, so Orschmann.

Ein paar Stunden nach dieser Gesprächsrunde endet im Bruno-Bürgel-Weg nach dem gemeinsamen Training mit der Mannschaft auch ihr Arbeitstag. Nach der Ansprache von Ailien Poese sucht die Stürmerin aber noch mal den Austausch mit ihrer Trainerin. Überstunden nennt man das in der Arbeitswelt. Auf dem kurzfristigen Weg in Richtung Zweite Bundesliga aber gehören die dazu. Spiele wie zuletzt gegen Erfurt sehen beim Blick auf das Ergebnis leicht aus, aber „es ist jede Woche harte Arbeit“, sagt Dina Orschmann.

Mit dem Derby gegen Hertha BSC bekommt die Arbeit in dieser Woche zudem noch eine andere Note. „Dass die beiden großen Berliner Vereine, die in der Gesamtfußballwelt in Berlin ganz oben stehen, auch im Frauenfußball etwas machen, finde ich super“, sagt Ailien Poese. Beim Stadtrivalen lässt man das Projekt Frauenfußball nach der Übernahme der Frauenabteilung von Hertha Zehlendorf zwar ein wenig langsamer angehen und baut es Schritt für Schritt auf, „es ist aber allein in dieser Saison schon total erfolgreich. Sie haben in unheimlich schneller Zeit eine gewisse Fanbase akquiriert – das finde ich toll“, so die Union-Cheftrainerin.

Sollte nach dem 5:1 im Hinspiel auch der zweite Vergleich am Sonntag gewonnen werden, wird es immer wahrscheinlicher, dass beide Vereine auch bei den Frauen in der kommenden Saison in unterschiedlichen Ligen spielen werden. Nachdem der 1. FC Union Berlin als Verein so große Schritte bei der Professionalisierung des Frauenfußballs gemacht hat, läuft es sportlich in Richtung Zweite Bundesliga. Selbst wenn nach dem Gewinn der Meisterschaft darüber eine Relegation entscheidet. „Als Verein muss man natürlich zweigleisig planen“, so Poese, „Szenario A ist die Zweite Bundesliga, aber wir haben auch ein Szenario B. Nichtsdestotrotz ist unser Ziel ganz klar“, sagt die Cheftrainerin und geht lächelnd in ihren Feierabend.

QOSHE - 1. FC Union Berlin: Eiserne Professionalisierung im Sprinttempo - Christian Kattner
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1. FC Union Berlin: Eiserne Professionalisierung im Sprinttempo

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26.04.2024

Das letzte Wort hat die Trainerin. Nach fast anderthalb Stunden an diesem Nachmittag auf dem Rasenplatz im Bruno-Bürgel-Weg, in denen sich Regen und etwas Sonnenschein abgewechselt haben, hat Ailien Poese den Worten ihres Co-Trainers Sven Gruel noch ein paar Ergänzungen und eine kleine Vorschau auf die kommenden Tage hinzuzufügen. Auf das Trainerteam und die Spielerinnen wartet am Sonntag (13 Uhr) im Stadion An der Alten Försterei im Duell mit Hertha BSC eine ganz besondere Aufgabe – da muss eben alles genau besprochen werden. Die Ansprache der Cheftrainerin an die Fußballerinnen des 1. FC Union Berlin aber ist kurz, präzise und endet kurz vor 16 Uhr mit den Worten „schönen Feierabend“.

Eine alltägliche Verabschiedung, die jeder aus dem Berufsleben kennt, aber nur selten bis nie auf einem Fußballplatz gehört hat. Schon gar nicht, wenn dort wenige Minuten zuvor noch Frauen trainiert haben. Beim 1. FC Union Berlin aber hat Präsident Dirk Zingler Wort gehalten. Auf der Mitgliederversammlung am 14. November 2022 im Tempodrom hatte er öffentlich angekündigt, dass der Verein im Frauen- und Mädchenbereich professionelle Strukturen schaffen möchte. Symbolisch dafür saßen damals schon die Spieler und Spielerinnen der ersten Männer- und Frauenmannschaft gemeinsam vor den Fans auf der Bühne, wurde Ailien Poese neben dem damaligen Cheftrainer der Männer, Urs Fischer, ans Rednerpult gebeten.

Poese, ehemalige Spielerin beim 1. FC Union Berlin und gebürtige Berlinerin, war zu diesem Zeitpunkt seit ein paar Monaten als hauptamtliche Trainerin für das Frauenteam verantwortlich, wurde im Sommer 2022 verpflichtet. Drei Monate nach der Mitgliederversammlung präsentierten die Köpenicker in Jennifer Zietz eine ehemalige Nationalspielerin als sportliche Leiterin und setzten die angestrebte Professionalisierung fort. „Die Entscheidung, auch den Fußball der Frauen bis hin zur ersten Mannschaft bei Union leistungssportlich auszurichten, verfolgen wir konsequent und mit voller Überzeugung“, wurde Zingler damals in einer Vereinsmitteilung zitiert.

Nur ein paar Monate später ging der........

© Berliner Zeitung


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