Es wäre nicht verwunderlich, wenn dieser Stoff irgendwann verfilmt wird: In Berlin läuft einer der spektakulärsten Spionageprozesse der letzten Jahrzehnte. Ein leitender Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND) soll nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs Staatsgeheimnisse an Russland verraten haben.

Seit Dezember stehen Carsten L. und der Geschäftsmann Arthur E. vor dem Berliner Kammergericht. Beide sitzen seit über einem Jahr in Untersuchungshaft. Die Generalbundesanwaltschaft hat sie angeklagt wegen Landesverrats im besonders schweren Fall.

Sie sollen dem russischen Inlandsgeheimdienst FSB Informationen zugespielt haben über Waffensysteme, die der Westen der Ukraine lieferte. Zudem sollen sie dafür gesorgt haben, dass der Zugang westlicher Nachrichtendienste in Chats der Söldnergruppe Wagner aufflog.

So mancher der 51 angesetzten Verhandlungstage ist vorüber. Im März sagte der BND-Präsident als Zeuge aus. Bruno Kahl konnte nicht wirklich den Widerspruch erklären zwischen seiner Aussage gegenüber dem Tagesspiegel, wonach der Schaden, den sein Mitarbeiter angerichtet habe „Gott sei Dank sehr überschaubar“ sei. Vor Gericht sprach er dagegen von einer Katastrophe. Ein „Innentäter“ sei das Schlimmste, was einem Nachrichtendienst passieren könne. In dem von ihm autorisierten und vom Kanzleramt abgenickten Interview musste er den Schaden herunterreden, um das Vertrauen der Öffentlichkeit und befreundeter ausländischer Dienste nicht weiter zu schädigen. Andererseits muss er den Schaden hochhalten, damit die Beschuldigten hohe Haftstrafen bekommen.

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Am Mittwoch dieser Woche nun sitzen sich die Verteidiger von Carsten L. und Arthur E. sowie die beiden Bundesanwälte, die den ganzen Tag schweigend das Geschehen verfolgen, erneut gegenüber. Johannes Eisenberg, der Verteidiger von Carsten L., verliest eine Erklärung seines Mandanten und sagt: „Er wollte und hat den BND nicht verraten. Er hat keinerlei Pflichtverletzungen begangen.“ Der Anwalt weist alle Vorwürfe zurück und verlangt, dass die teils strenge Untersuchungshaft, „die teilweise paranoide Züge“ trage, aufgehoben wird.

16.04.2024

•gestern

15.04.2024

Carsten L. soll die geheimen Informationen, die er angeblich besorgt hat, im Oktober 2022 an den Geschäftsmann Arthur E. weitergegeben haben, der sie dem FSB zukommen ließ.

Der Geschäftsmann, ein 33-jähriger, in Russland geborener Deutscher, sitzt ebenfalls in der Angeklagten-Box, die Panzerglasscheiben sind hochgeschoben. Arthur E. ist ein bulliger Mann mit Glatze, der ständig feixt bei den Aussagen, die sein einstiger Kumpel von sich gibt. Beide verstehen sich inzwischen nicht mehr so gut. Immer wieder grinst Arthur E. und schüttelt den Kopf, um – abwechselnd mit Blick auf die Presseleute und den Richter – deutlich zu machen, was das für Unsinn sei, den Carsten L. erzählt.

Der BND-Mann äußert sich vier Monate nach Prozessbeginn zum ersten Mal und beantwortet stundenlang die Fragen des Vorsitzenden Richters Detlev Schmidt. Wie er zum Beispiel Arthur E. kennenlernte: Ein Freund aus Kindertagen habe ihn Anfang August 2022 zu einem Treffen in einem Biergarten im oberbayerischen Weilheim mitgebracht.

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15.03.2024

Carsten L. ist Oberst der Bundeswehr und seit 2007 beim BND, so wie andere Berufssoldaten zum BND abgeordnet sind. Er war in Pullach Referatsleiter in der damaligen Abteilung Technische Aufklärung. Ab September 2022 leitete er in Berlin das Referat für Sicherheitsüberprüfungen von BND-Mitarbeitern – bis zu seiner Festnahme im Januar 2023. Jetzt sitzt er vor dem Richter.

Steif, mit militärischem Kurzhaarschnitt, antwortet er schneidig und knapp und erzählt über den Mann, den sein Freund damals in den Biergarten mitgebracht hatte. „Es war ein angenehmer Abend.“ Arthur E. habe von seinen Reisetätigkeiten und seinem Geschäftsfeld in Zentralafrika erzählt und über seine Kontakte dort. Er habe Bilder präsentiert, die ihn mit Militärs, Staatssekretären und Staatspräsidenten zeigten. „Interessant, wenn jemand in Länder reist, die nicht unbedingt Urlaubsländer sind und der hochrangige Persönlichkeiten kennt“, sagt Carsten L.

Arthur E. erzählte von den Gold- und Diamantenminen in Afrika und stellte eine Beteiligung an einem Abbauprojekt für Coltan und Bauxit in Aussicht. Es gebe einen Großinvestor und man könne sich mit 1 bis 5 Prozent beteiligen. Exorbitante Gewinne seien möglich (Arthur E. in der Angeklagten-Box schüttelt lachend den Kopf). Carsten L., der nichts gegen einen Nebenerwerb hatte, erzählt, dass er sich das anhörte, aber skeptisch war. Vor allem sei er beeindruckt gewesen von den Kontakten des Mannes.

Der neue Bekannte war ebenfalls früher bei der Bundeswehr. Sie hatten ein gemeinsames Thema gefunden – welche Einheit, wo stationiert und so weiter. Arthur E. wollte wissen, was Carsten L. heute so macht. Der BND-Mann kam mit der üblichen Erzählung der BND-Leute: Er arbeite beim AMK, dem „Amt für Militärkunde“. Das ist eine Legende des BND für dort tätige Soldaten. Arthur E. goutierte das mit einem Lächeln. „Ich gehe davon aus, dass er wusste, was AMK bedeutet.“

„Machte er Anspielungen?“, will der Richter wissen. Ob der BND in diesen Ländern aktiv sei, sagt Carsten L. (Arthur E. schüttelt grinsend den Kopf).

Carsten L. antwortet, dass er ihm gesagt habe, er finde es ungewöhnlich, dass jemand sich in diesen Ländern frei bewegen könne. „Da wärst du der richtige Mann für uns. Das ist genau die Klientel, nach der wir Ausschau halten. Leute, die rumkommen, Leute, die Kontakte haben, Leute, die Arsch in der Hose haben.“ (Arthur E. hält sich die Hand an die Stirn.)

Die Befragung ist zäh. Immer wieder muss der Richter nachfragen. Er will den Angeklagten kennenlernen, einen Eindruck von ihm bekommen, sein Gesicht sehen, weshalb er darauf bestand, dass Carsten L. nicht in der Anklage-Box, sondern vor ihm sitzt.

Es gab noch weitere Treffen. Grillen bei dem Sandkastenfreund auf dem Balkon, wo Arthur E. irgendwann hinzustieß und Carsten L. für eine Kryptowährung begeisterte. Er biss tatsächlich an und kaufte für 10.000 Euro Kryptogeld. Arthur E. versprach, der Tochter des BND-Mannes, die ein Praktikum in den USA absolvierte, eine Stelle und eine Wohnung zu besorgen. Doch es blieb wohl beim Versprechen.

Im September holte Carsten L. in Berlin seinen Vorgesetzten hinzu, der die potenzielle „NDV“ kennenlernen sollte. NDV steht für „Nachrichtendienstliche Verbindung“. Sie trafen sich zu dritt in einem Lokal, bei lockerer Atmosphäre. „Seine Antworten waren authentisch und sattelfest“, sagt Carsten L. (Arthur E. nickt.)

Dann gingen sie noch in die Spielbank und anschließend ins Artemis, ein Großbordell. „Das nennt man Anbahnung“, sagt L. „Man versucht, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Dann lässt man so einer Entwicklung eben ihren Lauf.“

Der Vorgesetzte sollte sich ein Bild von dem Kandidaten machen. Als der Chef an der Bar und Carsten L. und Arthur E. beide in der Sauna saßen, sagte Arthur E., dass er auch Kontakte in russische Kreise habe. Er habe einen, der ihm noch was schulde, jemand aus dem russischen Sicherheitsdienst, dem er eine medizinische Reha finanziert habe. Der habe Listen über Mitarbeiter der westlichen Botschaften und auch der deutschen, die vom russischen Geheimdienst bezahlt würden. (Arthur E. schüttelt den Kopf, nimmt einen Kugelschreiber und schlägt ein Rätselheft auf.)

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Die BND-Vorgesetzten erteilten im Oktober für den Geschäftsmann die „Freigabe“ als NDV. Zweimal flog Arthur E. dann nach Moskau, um seinen „Großinvestor“ für Afrika zu treffen, einen Tschetschenen. Diesen Mann namens Visa M. hatten sie auch zu dritt in Deutschland getroffen. Der „Großinvestor“ erklärte damals, dass er in Russland in Firmen investiert habe. (Arthur E. grinst und schüttelt den Kopf.) Visa M. klagte Carsten L. sein Leid: dass er in den beiden Tschetschenien-Kriegen seine Familie verloren habe und in Deutschland keine Niederlassungserlaubnis habe, ob Carsten L. ihm helfen könne.

Doch statt die Russen auszuspionieren, soll es umgekehrt gewesen sein. Die Bundesanwaltschaft will herausgefunden haben, dass Carsten L. im September 2022 geheime Dokumente aus der BND-Dienststelle in Pullach gesichtet habe, die später in Russland auftauchten. Im selben Monat soll er sich in Pullach mit Arthur E. getroffen haben, der ausgedruckte BND-Dokumente mit einem Handy abfotografierte. Damit soll er über Istanbul nach Moskau geflogen sein, wo er sie zwei FSB-Agenten übergab. An dem Treffen nahm angeblich auch der „Großinvestor“ Visa M. teil.

Laut Anklage traf sich Arthur E. am 4. Oktober 2022 erneut mit Carsten L., diesmal nahe der BND-Außenstelle in der Gardeschützenkaserne in Berlin-Lichterfelde. Dort soll Arthur E. weitere Dokumente abfotografiert haben. Danach flog er erneut nach Moskau, um die Dokumente zu übergeben.

Carsten L., der angeblich darauf wartete, dass Arthur E. aus Moskau die Liste der westlichen Mitarbeiter, die von Russland bezahlt werden, mitbringt, sagt vor dem Kammergericht, dass er mit Arthur E. während dessen Reisen telefonisch Kontakt gehalten habe. „Kurz, knapp, präzise. Was soll ich denn da rumlabern?“, antwortet er auf die Frage des Richters und wirkt langsam gereizt. Der Rückflug seines NDV verschob sich mehrmals und damit auch die Schleusung des Agenten nach Deutschland, die schließlich am 11. November 2022 erfolgte.

Schleusung? Ja, der BND schleust seine Agenten bei der Einreise ein, vorbei an den Kontrollen und am Zoll. Die Schleusung musste jedes Mal neu beantragt werden. „Bei der Einreise wird er durch Mitarbeiter von uns unterstützt“, sagt Carsten L. „Wie sollen sie ihn ausfindig machen?“, fragt der Richter. „Die finden ihn“, antwortet L.

Nach den stundenlangen, geduldigen und sehr freundlichen Fragen des Richters scheint die Contenance von Carsten L. nachzulassen. Auf eine Frage, ob es schriftliche Vorgänge gebe, sagt er: „Wir sind ein Nachrichtendienst und nicht das Finanzamt!“

Arthur E. kam jedenfalls ohne die Verräter-Liste aus Moskau zurück. Als er beim zweiten Mal mit leeren Händen zurückkam, wurde Carsten L. sauer. Er hielt ihn allmählich für einen Schwätzer und Hochstapler.

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Der Fall ist verzwickt und hat mehrere Ebenen. Es geht auch um 230.000 Euro Bargeld, das im Panzerschrank von Carsten L. gefunden wurde, und um 210.000 Euro, die in einem Koffer seiner Ehefrau gefunden wurden. War das Geld aus dem „Agentenlohn“, von dem die Bundesanwaltschaft spricht?

Auf die Frage, wie diese Beträge zusammenkamen, sagt er, er habe 35 Dienstjahre und man könne nicht sagen, dass er schlecht besoldet wurde. Die steuerfreien Zuschläge der Auslandseinsätze, außerdem habe er mit den Kryptowährungen Gewinne erzielt. Seine Frau sei selbstständig und habe gut verdient. (Arthur E. knallt den Kopf auf die Tischplatte.)

Und dann geht es auch noch um einen BND-Residenten an der Botschaft in Moskau. Der hatte sich von seiner Frau getrennt, eine neue – russische – Freundin und es war davon auszugehen, dass er ausfiel. Die Aufgabe von Carsten L. war, ihn zu überprüfen. Wenn man ihm glaubt, hatte Arthur E. versprochen, hier mittels seiner Kontakte bei der Überprüfung zu helfen.

Vieles bleibt vorerst unklar, und es bestehen Zweifel, ob Carsten L. wirklich ein „Maulwurf“ ist. Zu dem Zeitpunkt, als er sich laut Anklage in Pullach mit Arthur E. getroffen haben soll, hatte er eine Autostunde von dem genannten Ort eine Junioren-Fußballmannschaft trainiert. In einem anderen Fall war er beim Oktoberfest. Und wie nun welche Informationen aus den BND-Quartieren Pullach und Berlin heraus gelangten, das wurde bislang nicht klar. Der Prozess soll noch mindestens bis Juli dauern.

QOSHE - Spionageprozess in Berlin: Staatsgeheimnisse an Russland verraten? Jetzt spricht der angeklagte BND-Mann - Andreas Kopietz
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Spionageprozess in Berlin: Staatsgeheimnisse an Russland verraten? Jetzt spricht der angeklagte BND-Mann

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18.04.2024

Es wäre nicht verwunderlich, wenn dieser Stoff irgendwann verfilmt wird: In Berlin läuft einer der spektakulärsten Spionageprozesse der letzten Jahrzehnte. Ein leitender Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND) soll nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs Staatsgeheimnisse an Russland verraten haben.

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16.04.2024

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15.04.2024

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© Berliner Zeitung


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