Es war eine dieser alltäglichen Mitteilungen der Berliner Polizei, die im Grundrauschen der Nachrichten oft untergehen: In einer U-Bahn wurden ein Mann und eine Frau von mehreren Männern beleidigt. Dann sollen sie den Mann durch Schläge verletzt haben. Drei Verdächtige suchte die Polizei laut ihrer Mitteilung vom 27. Februar öffentlich mit Bildern. So etwas ist immer wieder aus Berlin zu lesen. Doch für Dominik H. und seine Frau Gabriela M. war das ein Moment, den die beiden nicht vergessen werden – auch wenn sich der Angriff schon vor über einem Jahr ereignete und wohl mehr war als nur eine „gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung“, wegen der die Polizei ermittelt.

Am Morgen des 26. März 2023, in einer Nacht von Samstag zu Sonntag, waren beide mit der U2 von einem Konzert aus Pankow auf dem Heimweg. Sechs bis acht junge Männer stiegen ein. Schwarz gekleidet, einer mit Kapuze, die anderen blond, kurze Haare, einer mit tiefen Schatten um die Augen. „Als sie Gabi sahen, unterhielten sie sich laut über ihr Aussehen und ihre Haare“, berichtet Dominik H. Seine Frau Gabriela spricht Portugiesisch und Englisch, sie hat eine schwarze Hautfarbe und stammt aus Brasilien. Seit fast fünf Jahren lebt die Webentwicklerin in Berlin-Neukölln zusammen mit ihrem Mann, einem Ingenieur für Gebäudetechnik.

Wir haben uns mit dem Paar verabredet. Die beiden 35-Jährigen sitzen am Küchentisch ihrer Neuköllner Wohnung und schildern das damalige Geschehen, das sie auch in nächster Zukunft noch nicht loslassen wird.

Demnach merkte damals Gabriela während der U-Bahn-Fahrt, dass sie Mittelpunkt der Unterhaltung der Männer war. Die Gruppe lästerte über sie. Irgendwann stand einer auf und versuchte sie immer wieder zu fotografieren. Gabriela wies ihn zurück. Ihr war klar, dass er aus rassistischen Motiven handelte, und sie sagte zu ihm: „Ich bin ein Mensch wie du, respektiere mich!“

Ehepaar in der U2 attackiert: Verdächtige Gewalttäter stellen sich nach Fahndung

27.02.2024

Rassismusvorfall in der U9: Jetzt spricht der BVG-Chef

•gestern

Dominik sagt: „Ich habe gestaunt, wie ultraaggressiv sie waren, wie schnell sie von null auf hundert hochfuhren.“ Als der Zug am Alexanderplatz einfuhr, stieg das Paar aus und Dominik wurde von hinten auf den Kopf geschlagen. „Ich war nur dabei, mich zu schützen, die Hände vors Gesicht zu halten.“ Erst als ein außenstehender Zeuge einschritt, ließen die Angreifer von ihm ab.

•gestern

•gestern

•gestern

Gabriela filmte alles mit ihrem Telefon. Ihr gelangen deutliche Gesichtsaufnahmen. Auf ihren Videos ist zu sehen, wie aufgedreht die Männer sind. Einer redet hastig und brüllt, es scheint, also ob Drogen ihn aufgeputscht haben.

Während die Täter auf Dominik einprügelten, hielten zwei Frauen, die zu der Gruppe gehörten, die Zugtür auf, weil der Fahrer schon das Abfahrtsignal gegeben hatte. Drei der Männer schafften es zurück in den Zug, einer blieb auf dem Bahnsteig zurück. Nun stand er mit dem Paar alleine da.

Das Ehepaar nahm die Treppe zum Alexanderplatz. Der Mann kam hinterher, redete etwas von Entschuldigung – und beschimpfte dann plötzlich Dominik homophob. Als er merkte, dass sie die Polizeiwache ansteuerten, rannte er weg. Stark aus der Nase blutend, mit angeschwollener Lippe, klingelte Dominik an der Wache.

Die beiden Polizisten ließen das Paar erst warten, weil sie noch mit anderen Leuten befasst waren. Dominik erinnert sich: „Nach einer halben oder Dreiviertelstunde kam ein Beamter und sagte: ‚Es tut mir leid, wir sind wirklich sehr beschäftigt.‘ Und bat mich, die Anzeige online zu erstatten.“ Also erstatteten sie am nächsten Morgen über die Online-Wache Strafanzeige.

Alles, was sie nun hatten, war eine Vorgangsnummer. „Wir wussten nicht, ob die Polizei an unserem Fall dran ist“, sagt Dominik. „Zumal die BVG Videoaufnahmen nach 48 Stunden löscht. Man fühlt sich allein.“

Die Kripo der örtlichen Polizeidirektion 5 nahm Ermittlungen auf wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung. Das mag juristisch korrekt sein. „Aber es war auch eine rassistische und sexistische Attacke“, sagt Gabriela, die zunächst Zentrum des Angriffs war. „Sie haben mich als Objekt gesehen, meinen Körper lächerlich gemacht.“

Das Paar suchte Hilfe bei Reachout, einer Beratungsstelle für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. Reachout gab ihnen Orientierung und Auskunft, wie lange es in der Regel dauert, bis sich die Polizei zurückmeldet. Gabriela bekam sechs Monate lang psychologische Betreuung beim Verein Opra. Die Brasilianerin sagt, dass in ihrem Heimatland kein Vertrauen in die Polizeiarbeit herrsche. Dort würden Unterschiede zwischen Schwarzen und Weißen gemacht, wovon auch sie betroffen gewesen sei. So etwas befürchtet sie auch hier.

Nach etwa zwei Monaten meldete sich eine Kommissarin, die sie zur Zeugenaussage lud. Eine junge Frau, die auf kulturelle Sensibilität hoffen ließ. Denn das geschädigte Ehepaar hatte Bedenken, dass die Tat in der Polizeiarbeit nicht als das anerkannt würde, was sie war: ein Hassverbrechen.

Die Erleichterung war groß, als sie von der Polizistin erfuhren, dass die Polizei die Videoaufnahmen aus dem Zug sichergestellt hatte. Die beiden Angegriffenen sollten die Täter beschreiben, ihnen anhand der Bilder jeweils die Taten zuordnen. „Ich befürchtete, dass die Geschichte gegen mich gedreht werden könnte. Aber wir waren sehr erleichtert, dass es Videoaufnahmen aus der U-Bahn gibt und wir nichts beweisen mussten“, sagt Gabriela.

Deutlich mehr Fälle von Hasskriminalität in Berlin – besonders online

23.03.2024

Es ist einer dieser Fälle, in denen nicht der Staatsschutz ermittelt, der für die Verfolgung von Hasskriminalität und politisch motivierten Taten zuständig ist. Denn es gab keine explizite rassistische Beleidigung. Die rassistische Botschaft dieser Gruppe schwang aber mit. Dass Gabriela Mittelpunkt der Aggression war, ihr Aussehen, ihre Haare, wird nicht Teil der Ermittlungen sein und deshalb nicht als Hassverbrechen benannt. „Viele denken, Rassismus ist etwas aus der Nazizeit, aber er ist noch in vielen Köpfen drin und die ganze Zeit ereignen sich solche Vorfälle. Darüber muss gesprochen werden“, sagt Gabriela.

„Es sollte nicht überraschen, dass die Polizei oft eine andere Wahrnehmung hat als die Opfer, wenn es darum geht, die rassistische Motivation eines Angriffs zu erkennen“, meint ein Sprecher von Reachout. Die Polizei erkenne Rassismus nicht in seiner Gesamtheit. Sie verfüge nicht über das Wissen und die Strukturen, um Vorfälle rassistischer Gewalt angemessen zu ermitteln. Der Sprecher weiter: Eine der Konsequenzen sei, dass eine große Zahl von Betroffenen nicht an das Strafverfahren glaube und viele Vorfälle nicht gemeldet würden. „Diese Fälle sowie diejenigen Fälle, in denen die Polizei oder die Staatsanwaltschaft rassistische Tatmotivationen nicht erkennt und verfolgt, machen es schwierig, ein Dunkelfeld zu benennen.“

Reachout bot Rechtsbeistand an. Die Kosten dafür werden über den Victims Fund gedeckt. Das sind für die beiden Angegriffenen gute Nachrichten. Sie ändern nichts daran, dass Gabriela nach eigenen Angaben noch immer unter dem Angriff leidet. Sie hat Angst, auf der Straße zu laufen, mit der U-Bahn zu fahren. Sie erstarrt, wenn sie Leute sieht, die den U-Bahn-Schlägern ähneln, wenn jemand sein Telefon in ihre Richtung hält. Sie sagt, dass sie nicht gut an ihren Projekten arbeiten könne, fühlt sich zurückgewiesen von der Gesellschaft. Und Dominik ist noch aufmerksamer geworden, um seine Frau zu schützen.

Zur Polizei hatten die beiden seit der Vernehmung keinen Kontakt mehr. Elf Monate nach der Tat, am 27. Februar 2024, veröffentlichte die Polizei einen Fahndungsaufruf mit den Bildern der Tatverdächtigen. Sie stammen von dem Handy, mit dem Gabriela die Schläger gefilmt hatte. Innerhalb weniger Stunden meldete die Polizei, dass das „Trio identifiziert“ sei: „Zwei 20-Jährige und ein 23-Jähriger stellten sich heute Abend auf Polizeidienststellen in Berlin und Brandenburg.“

Die polizeilichen Ermittlungen sind abgeschlossen. Nach Angaben einer Polizeisprecherin liegt der Fall jetzt bei der Staatsanwaltschaft.

Für die beiden Betroffenen ist es hingegen schwer, damit abzuschließen, sagen sie. Vor allem, solange die Täter nicht angeklagt sind. Das Paar wird nun noch das ganze Jahr damit zu tun haben. Wenn es irgendwann zum Gerichtsprozess kommt, wollen die beiden den Tätern in die Augen sehen. Die Höhe der Strafe sei ihnen nicht so wichtig. Sie wollen, dass klar wird, welche Ebenen dieser Fall hat – von Ausgrenzung, von Gewalt. Und was dieser Fall über die Gesellschaft zeigt.

QOSHE - Rassismus in der Berliner U-Bahn: Polizei ermittelt nach Attacke wegen „gefährlicher Körperverletzung“ - Andreas Kopietz
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Rassismus in der Berliner U-Bahn: Polizei ermittelt nach Attacke wegen „gefährlicher Körperverletzung“

19 1
12.04.2024

Es war eine dieser alltäglichen Mitteilungen der Berliner Polizei, die im Grundrauschen der Nachrichten oft untergehen: In einer U-Bahn wurden ein Mann und eine Frau von mehreren Männern beleidigt. Dann sollen sie den Mann durch Schläge verletzt haben. Drei Verdächtige suchte die Polizei laut ihrer Mitteilung vom 27. Februar öffentlich mit Bildern. So etwas ist immer wieder aus Berlin zu lesen. Doch für Dominik H. und seine Frau Gabriela M. war das ein Moment, den die beiden nicht vergessen werden – auch wenn sich der Angriff schon vor über einem Jahr ereignete und wohl mehr war als nur eine „gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung“, wegen der die Polizei ermittelt.

Am Morgen des 26. März 2023, in einer Nacht von Samstag zu Sonntag, waren beide mit der U2 von einem Konzert aus Pankow auf dem Heimweg. Sechs bis acht junge Männer stiegen ein. Schwarz gekleidet, einer mit Kapuze, die anderen blond, kurze Haare, einer mit tiefen Schatten um die Augen. „Als sie Gabi sahen, unterhielten sie sich laut über ihr Aussehen und ihre Haare“, berichtet Dominik H. Seine Frau Gabriela spricht Portugiesisch und Englisch, sie hat eine schwarze Hautfarbe und stammt aus Brasilien. Seit fast fünf Jahren lebt die Webentwicklerin in Berlin-Neukölln zusammen mit ihrem Mann, einem Ingenieur für Gebäudetechnik.

Wir haben uns mit dem Paar verabredet. Die beiden 35-Jährigen sitzen am Küchentisch ihrer Neuköllner Wohnung und schildern das damalige Geschehen, das sie auch in nächster Zukunft noch nicht loslassen wird.

Demnach merkte damals Gabriela während der U-Bahn-Fahrt, dass sie Mittelpunkt der Unterhaltung der Männer war. Die Gruppe lästerte über sie. Irgendwann stand einer auf und versuchte sie immer wieder zu fotografieren. Gabriela wies ihn zurück. Ihr war klar, dass er aus rassistischen Motiven handelte, und sie sagte zu ihm: „Ich bin ein Mensch wie du, respektiere mich!“

Ehepaar in der U2 attackiert: Verdächtige Gewalttäter stellen sich nach Fahndung

27.02.2024

Rassismusvorfall in der U9: Jetzt spricht der BVG-Chef

•gestern

Dominik sagt: „Ich habe gestaunt, wie ultraaggressiv sie waren, wie schnell sie von null auf........

© Berliner Zeitung


Get it on Google Play