Inzwischen wird in Berlin über Dinge diskutiert, die man vor einiger Zeit nicht für möglich gehalten hätte: Ein General spricht von Krieg, ein Staatssekretär von Sirenen und eine Wissenschaftlerin über Plünderungen. Wie macht man rund vier Millionen Berliner widerstandsfähig für den Fall, dass es einen Terrorangriff auf die kritische Infrastruktur gibt? Oder einen lang anhaltenden großflächigen Stromausfall oder – und das wagte man seit der Wende nicht einmal zu denken – für einen Krieg?

Um das Thema Bevölkerungsschutz ging es an diesem Montag im Innenausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses. Es ist nicht so, dass das Thema in den vergangenen Jahren in den Berliner Behörden keine Rolle spielte. Aber es gibt noch viel zu tun, wie sehr deutlich wurde.

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Zum Beispiel kommt der stadtweite Aufbau von 411 geplanten Warnsirenen, die der Bund finanziert, nur langsam voran. Am 7. März waren laut Innenstaatssekretär Christian Hochgrebe (SPD) nur 218 Sirenen auf Gebäuden montiert und funktionsfähig. Von diesen sind inzwischen 140 von der Feuerwehr abgenommen. Die Sirenen gehören zu einem Mix aus Warnmitteln wie Apps, „Cell Broadcast“, Funk und Fernsehen. Sie sollen etwa nachts die Menschen aufwecken, damit sie sich dann über die anderen Quellen informieren. Lieferengpässe und die angespannte Arbeitskräftelage bei den Montagefirmen habe die Umsetzung verzögert, so Hochgrebe.

Wegen der Topologie der Großstadt würde eine flächendeckende Beschallung allerdings weit mehr als 411 Sirenen erfordern. Eine grobe Kalkulation ergab laut Hochgrebe einen Bedarf von 580 Sirenen. „Mit den Sirenen verbessert Berlin spürbar die Gefahrenabwehr“, so Hochgrebe, der allen „wärmstens empfiehlt“, die Warn-Apps Nina und Katwarn auf ihren Handys zu installieren.

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Katastrophen- und Bevölkerungsschutz hängt aber nicht nur an Sirenen. Der 31-stündige Stromausfall 2019 in Köpenick und Anschläge auf die Infrastruktur, wie jüngst auf den Strommast am Tesla-Werk, zeigen, wie verwundbar die Daseinsvorsorge ist. Bei Stromausfall funktionieren Tankstellen nicht mehr und unter Umständen auch nicht die Wasserver- und -entsorgung. Der Senat baut derzeit die Notversorgung mit Trinkwasser aus. Berlin lässt an vielen Brunnen Schwengelpumpen installieren, die per Hand bedient werden.

Wegen Erfahrungen wie in Köpenick, aber auch der Gefahr von Cyber- und Terrorangriffen, will der Senat 37 Behörden in einem Amt für Katastrophenschutz unter ein Dach bringen. Dessen Chef, Karsten Göwecke, der die Projektgruppe leitet, sagt unter anderem, dass man einheitliche Vorgaben für die Bezirke schaffen müsse. Aufgabe des Krisenzentrums werde es sein, Risikoanalysen und Rahmenpläne zur Katastrophenabwehr fortzuentwickeln, sodass die Verwaltung krisenfähig werde.

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Wichtig ist laut Göwecke die Stärkung einer Krisenkommunikation und die Verbesserung der Selbsthilfefähigkeit der Bevölkerung. Es müsse ein gewisses Verständnis da sein, sich auf zivile Katastrophen „oder auch Dinge im militärischen Bereich“ grundsätzlich vorzubereiten, wie er im Innenausschuss formuliert.

Der Überfall Russlands auf die Ukraine hat das Denken in Deutschland verändert. Krieg liegt plötzlich und unerwartet wieder im Rahmen des Möglichen. Bundesweit wird an einem „Operationsplan Deutschland“ gearbeitet – einem Verteidigungsplan der Bundeswehr, der Streitkräfte, Sicherheitsbehörden, Katastrophenschutz und Industrie enger vernetzen soll. Der „Oplan“ enthält die Planung für den Schutz der Bevölkerung und der Infrastruktur sowie den Schutz eines Truppenaufmarschs der Nato.

Brigadegeneral Jürgen Karl Uchtmann, Kommandeur des Landeskommandos Berlin, sagt bei der Anhörung im Innenausschuss: „Ich gucke mit anderer Perspektive auf den Bevölkerungsschutz. Ich schaue nicht auf Einzelereignisse wie Stromausfall, auch nicht auf die Corona-Krise. Ich schaue auf den Gesamtzusammenhang, den Worst Case, wie in Kiew, wo ein erhebliches Bedrohungspotential umgesetzt wurde und es darum geht, die Handlungsfähigkeit der Verwaltung sicherzustellen und auch den Bevölkerungsschutz.“ Uchtmann spricht von „der zivilen Verteidigung als Teil der Gesamtverteidigung“.

Es gehe darum, die Bevölkerung der Hauptstadt Berlin widerstandsfähig gegen kriegerische Handlungen zu machen. „Das ist mehr als die Reduzierung auf Katastrophenschutz und Einzelereignisse.“ Das Dilemma, das er sehe, sei eine Vielzahl von Verantwortlichkeiten.

Für den General ist es eine Umkehr der zivilen-militärischen Zusammenarbeit: „War es bislang so, dass bisher die Bundeswehr gefragt worden ist, um hier und da zu helfen, dann ist es jetzt die Bundeswehr, die zivile Verwaltung und die Wirtschaft fragt, um das, was wir leisten müssen, überhaupt sicherstellen zu können. Sie entnehmen dieser Kommentierung, dass die Wahrscheinlichkeit, dass die Bundeswehr sich genauso intensiv wie in der Vergangenheit bereit zur Amtshilfe erklärt, nicht sehr ausgeprägt sein wird.“

Uchtmann weiter: Es reiche nicht, die Signale der Sirenen zu kennen, wenn man nicht wisse, was zu tun ist, wie man sich schützt. Der General bittet zudem dringend darum, dass man sich nicht nur über Notversorgung von Trinkwasser unterhält, sondern auch über die Abwasserentsorgung, die möglicherweise ein viel größeres Problem darstelle, mit einer einhergehenden Seuchengefahr, wenn man es nicht wegpumpen könne. „Das Problem Cholera ist dann ein Problem, das das, was wir bei Corona erlebt haben, um ein Vielfaches übersteigt.“

Die friedlichen Zeiten sind wohl vorbei. Das muss bei der Bevölkerung ankommen, wenn man allen Beteiligten zuhört. Professorin Birgitta Sticher von der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht hat mit ihren Mitarbeitern international alle Katastrophen der letzten 20 Jahre untersucht. „Es zeigte sich, dass die Behörden ganz schnell an ihre Grenzen kommen“, sagt sie. An eine Bewältigung sei ohne die Mitwirkung der Bevölkerung überhaupt nicht zu denken.

„Wir haben gesehen, dass gerade in aktuellen Katastrophen die Hilfsbereitschaft viel höher ist, als man sich das je denken kann. Was nicht heißt, dass die nicht von bestimmten Faktoren getriggert werden kann, dass es natürlich zu Plünderungen kommen kann, dass aber die Variablen, von denen das abhängt, entscheidend auch von Krisenkommunikation in der Katastrophe abhängen – von Gerechtigkeitsempfinden und dessen Verletzung“, so Sticher. Es gehe darum, die Hilfsbereitschaft durch behördliche Strukturen zu unterstützen.

Die Anlaufstellen dafür sind die sogenannten Katastrophenschutz-Leuchttürme, die derzeit in den Bezirken eingerichtet werden. Zwei bis drei dieser Anlaufstellen für die Bevölkerung sind in Bezirks-eigenen Gebäuden vorgesehen – mit eigener Stromversorgung und Behörden-eigenem Kommunikationsnetz. Hier sollen die Menschen Informationen erhalten und ihre Hilfe anbieten können. Der Ausbau der „Kat-Leuchttürme“ geht unterschiedlich schnell voran. Eigentlich sollten die Kat-Leuchttürme schon 2022 fertig sein.

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Am weitesten beim Katastrophenschutz gilt seit Jahren Lichtenberg, wo drei stationäre und ein mobiler Notfall-Treffpunkt einsatzbereit sind. Zudem werden neun Notfall-Informationspunkte unterhalten. An diesen Stellen soll ein Ad-hoc-Wlan als Bürgerinformationssystem eingesetzt werden – ein System, das der Senat Anfang dieses Jahres auch an die anderen Bezirke ausgab.

Der Bezirk leistet sich eine Vollzeitstelle für einen hauptamtlichen Katastrophenschutzbeauftragten, was in anderen Bezirken Berlins nicht der Fall ist. Lichtenberg ist damit in einer vergleichsweise komfortablen Situation, auch wenn dessen Katastrophenschutz-Beauftragter Philipp Cachée zwei Vollzeitstellen in jedem Bezirk für nötig hält. In Lichtenberg wurden 152 Risiken natürlichen, technischen und gesellschaftlichen Ursprungs bewertet. Danach wurde ein Krisen- und Zivilschutzplan erstellt, der zum Beispiel Kontaktdaten von medizinischem Personal, Apotheken oder Lebensmittelversorgern enthält, aber auch von Beatmungspatienten, die auf Strom angewiesen sind.

„Wir haben seit Jahren eine Rufbereitschaft für alle benannten Fachämter und haben das als Dauerdienst organisiert“, sagt Cachée bei der Anhörung. Er fordert eine berlinweite Regelung für solche Rufbereitschaften. Leider gebe es auch keine eindeutigen Regelungen für die Vergütungsansprüche zur Rufbereitschaft.

Lichtenberg hat laut Cachée sogar einen Notfall-Radiosender, der von der Innenverwaltung eingesetzt werden kann – für den Fall, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk ausfällt. Um Bürger mit einzubinden, hat der Bezirk ein Programm ins Leben gerufen, das ehrenamtliche Helfer qualifiziert, um die Hilfsorganisationen zu entlasten.

„Seit 1990 haben wir in einer Zeit gelebt, in der wir alle der Auffassung waren, wir müssten uns mit diesem Thema nicht mehr in der Ausführlichkeit beschäftigen, wie in der Zeit des Kalten Krieges“, sagt Innenstaatssekretär Hochgrebe. „Aus der Ex-Post-Betrachtung ist das immer einfacher, aber wir haben die Lehren schon gezogen.“ Dass das Thema Katastrophen- und Bevölkerungsschutz in Berlin ein Nischendasein friste, sei eine völlig falsche Behauptung.

Derweil hat die Bundesregierung angekündigt, in diesem Jahr beim Katastrophenschutz rund 49 Millionen Euro einzusparen.

QOSHE - Katastrophenschutz in Berlin: Plötzlich reden sie wieder von Krieg - Andreas Kopietz
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Katastrophenschutz in Berlin: Plötzlich reden sie wieder von Krieg

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18.03.2024

Inzwischen wird in Berlin über Dinge diskutiert, die man vor einiger Zeit nicht für möglich gehalten hätte: Ein General spricht von Krieg, ein Staatssekretär von Sirenen und eine Wissenschaftlerin über Plünderungen. Wie macht man rund vier Millionen Berliner widerstandsfähig für den Fall, dass es einen Terrorangriff auf die kritische Infrastruktur gibt? Oder einen lang anhaltenden großflächigen Stromausfall oder – und das wagte man seit der Wende nicht einmal zu denken – für einen Krieg?

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Wegen der Topologie der Großstadt würde eine flächendeckende Beschallung allerdings weit mehr als 411 Sirenen erfordern. Eine grobe Kalkulation ergab laut Hochgrebe einen Bedarf von 580 Sirenen. „Mit den Sirenen verbessert Berlin spürbar die Gefahrenabwehr“, so Hochgrebe, der allen „wärmstens empfiehlt“, die Warn-Apps Nina und Katwarn auf ihren Handys zu installieren.

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Katastrophen- und Bevölkerungsschutz hängt aber nicht nur an Sirenen. Der 31-stündige Stromausfall 2019 in Köpenick und Anschläge auf die Infrastruktur, wie jüngst auf den Strommast am Tesla-Werk, zeigen, wie verwundbar die Daseinsvorsorge ist. Bei Stromausfall funktionieren Tankstellen nicht mehr und unter Umständen auch nicht die Wasserver- und -entsorgung. Der Senat baut derzeit die........

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