Dieser Fall fällt in eine Zeit, in der ein internes Bundeswehr-Gespräch über den Taurus-Marschflugkörper von Russland geleakt wurde. In der die Briten Olaf Scholz Geheimnisverrat vorwerfen. In der russische Spionageaktivitäten so stark sind wie nie zuvor. Nun soll auch noch der Bundesnachrichtendienst (BND) eine undichte Stelle gehabt haben: Carsten L. soll als Führungskraft im BND nach dem Ausbruch des Ukraine-Krieges Informationen an die Russen verraten haben. Seit Dezember stehen er und sein mutmaßlicher Komplize Arthur E. vor dem Berliner Kammergericht – angeklagt vom Generalbundesanwalt wegen Landesverrats im besonders schweren Fall.

Unter anderem sollen sie im Jahr 2022 angeblich Opferzahlen der Ukraine an Russland weitergegeben haben sowie Informationen, die Rückschlüsse darauf erlauben, wie der BND Telefone und Internet überwacht. Dafür soll Carsten L. mit einem Handy, das er von Arthur E. erhielt, unter anderem im BND-Gebäude am Gardeschützenweg in Lichterfelde Unterlagen abfotografiert haben. Für ihre Informationen sollen sie laut Anklage einen „Agentenlohn“ von 450.000 Euro beziehungsweise 400.000 Euro erhalten haben.

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Von der Höhe des Schadens, den sie angerichtet haben sollen, dürfte auch das Strafmaß abhängen. Doch wie brisant waren die Informationen, die Carsten L. angeblich an den Geschäftsmann Arthur E. weiterreichte, welche dieser über einen tschetschenischen Mittelsmann dem russischen Geheimdienst FSB weitergeleitet haben soll? Bruno Kahl, der Präsident des Bundesnachrichtendienstes, hatte im vergangenen Jahr in einem Interview des Tagesspiegel gesagt: „Gott sei Dank sind die Menge dessen, was abgeflossen ist, und die Verwertbarkeit sehr überschaubar.“ Es sei kein Material gewesen, das man von anderen Diensten bekommen habe. Kahl sprach von Glück im Unglück.

Am Mittwochvormittag hörte sich der BND-Präsident ganz anders an. Er war als Zeuge im Berliner Kammergericht geladen. „Der Schaden ist immens“, sagt Kahl. Er spricht von einer Katastrophe. „Und den Reputationsschaden, der dem BND entstanden ist, musste ich in zwei Richtungen einhegen – in Richtung der internationalen Partner und auch der Öffentlichkeit gegenüber.“

09.03.2024

11.03.2024

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Kahl fühlt sich zu einem bizarren Vergleich animiert: „Wenn beim Flugzeugabsturz von 100 Passagieren 20 überleben, ist das immer noch eine Katastrophe. Der Schaden hätte natürlich noch größer sein können.“ Für Kahl wäre es viel schlimmer gewesen, wenn ein gegnerischer Geheimdienst über Jahre oder Jahrzehnte einen Agenten in seiner Behörde gehabt hätte.

Der BND-Chef befindet sich offensichtlich in der Zwickmühle, dass er einerseits den Schaden herunterreden muss, um das Vertrauen der Öffentlichkeit und befreundeter ausländischer Dienste nicht weiter zu beschädigen. Andererseits muss er den entstandenen Schaden hochhalten und die Brisanz der verratenen Informationen betonen, damit die mutmaßlichen Verräter hohe Haftstrafen erhalten.

Hier bei Gericht scheint es auch nicht so, dass es gelungen ist, die Angst der anderen Geheimdienste gegenüber dem BND zu entkräften, wie Kahl in dem Interview behauptete. Denn vor Gericht sagte er nun: Der BND habe auf allen möglichen Ebenen versucht, verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen. Dass die Sorgen entkräftet seien, würde er nicht sagen.

Verkündete der Behördenchef damals noch, die Wiederherstellung des Vertrauens sei „gelungen, weil wir sehr offen damit umgegangen sind“, so müssen ihm der Richter und die Verteidiger nun in der Verhandlung jedes Wort aus der Nase ziehen. Wie das denn gelang, wollen sie wissen. Man habe „ebenenadäquat“ miteinander gesprochen, sagt der Chef. Leiter mit Leiter, Stellvertreter mit Stellvertreter. Schriftliches gebe es dazu nicht. „Und haben nun alle relevanten Dienste gesagt, dass das Vertrauen jetzt stärker ist als vorher?“, will einer der Verteidiger wissen. Nein, das könne man nicht sagen, antwortet Kahl. Ob es Dienste gibt, die dem BND weiter misstrauen, will er nur in nicht öffentlicher Sitzung sagen.

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Zu diesen Teilen der Verhandlung, bei denen es um Inhalte geht, die als vertraulich und geheim eingestuft sind, ist die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Denn die internationale Zusammenarbeit der Nachrichtendienste sei das Delikateste, was Nachrichtendienste zu berücksichtigen hätten, sagt Kahl. In diesen Sitzungen will er auch Details zu den nach Russland abgeflossenen Informationen und über den Umfang des Verrats bekannt geben, soweit es seine Aussagegenehmigung erlaubt, die ihm das Bundeskanzleramt gab. Auch den offensichtlichen Widerspruch in seinen Aussagen zur Schadenshöhe will er in der Geheimrunde aufklären. Am Mittwochnachmittag entschied das Gericht, dass der BND-Chef ohne Publikum befragt wird.

Möglich wurde dieser mutmaßliche Verrat auch durch Schlamperei und Gesetzeslücken. Welche Regelverstöße das waren – auch das ist Thema der nicht öffentlichen Sitzungen. Allerdings gab es Kahl zufolge rechtliche Unsicherheiten. Mitarbeitern war es zwar untersagt, Handys mit an den Arbeitsplatz zu nehmen. Doch wenn ein Telefon konfisziert wurde, war es nicht erlaubt, es auszulesen.

Der Richter will von Kahl wissen, wie man überhaupt darauf kommen kann, für einen fremden Staat zu spionieren. Carsten L., der im Rahmen der Umstrukturierung des BND nach Berlin umzog, hatte einen guten Ruf bei seinen Kollegen und galt als kompetente Führungskraft. Er übernahm in Berlin das Referat personelle Sicherheit, das unter anderem für die Überprüfung von Personal deutscher Botschaften im Ausland – auch in Moskau – zuständig ist. Gleichwohl soll L. frustriert gewesen sein. „Wir sind natürlich gehalten, Entwicklungen im Verhalten zu beobachten und Veränderungen festzustellen“, sagt Behördenleiter Kahl. „Äußerungen über berufliche Frustration, über Unzufriedenheit sind natürlich relevant.“ Diese hätten die Leitung nicht erreicht.

QOSHE - Geheime Informationen an Russland: BND-Chef spricht von „Katastrophe“ - Andreas Kopietz
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