Wer künftig mit der Deutschen Bahn reisen und die BahnCard für Rabatte nutzen will, braucht ein Smartphone oder Tablet: Ab dem 9. Juni gibt es die BahnCard nur noch digital. Die Bahn schafft die Plastikkarte ab. Aus Gründen des Umweltschutzes, wie es offiziell heißt: „Tschüss Plastikkarte – Hallo Nachhaltigkeit.“ So würden über 30 Tonnen Plastik pro Jahr eingespart. Um die digitale BahnCard zu erhalten, benötigen Kunden die App „DB Navigator“, in der auch Verspätungen und Anschlusszüge angezeigt werden. Knapp zwei Drittel der Bahnfahrer würden die Karte schon jetzt in der App nutzen, so die Bahn.

Der Schritt kommt nicht überraschend. So gibt es das Bahn-Kundenmagazin DB Mobil nur noch digital (die gedruckte Ausgabe wurde Ende 2022 eingestellt), und auch Tickets im Zug können Spontanreisende nur noch mit ihrem Smartphone lösen – die Papier-Fahrkarten wurden abgeschafft. Doch was ist mit Menschen, die kein Smartphone haben?

Als Alternative zur digitalen BahnCard können sich Kunden auf bahn.de ein PDF-Dokument herunterladen, heißt es bei der Bahn. Dieses Ersatzdokument könne dann ausgedruckt und bei Bahnreisen mitgeführt werden. Das setzt aber voraus, dass man ein Kundenkonto bei der Deutschen Bahn besitzt und das Internet nutzt. Doch es gibt Menschen, die gar nicht wissen, wie man das Internet bedient. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts waren 3,4 Millionen Deutsche zwischen 16 und 74 Jahren noch nie im Internet. Und laut einer repräsentativen Studie des Digitalverbands Bitkom nutzt mehr als die Hälfte der Menschen über 65 Jahren kein Smartphone. Schon jetzt fühlen sich viele Menschen abgehängt.

Dass Senioren, die Überweisungen noch in Papierform am Bankschalter durchführen, sich einen – nicht gerade benutzerfreundlichen – Online-Account bei der Deutschen Bahn zulegen, ist eher unwahrscheinlich. Sozial- und Verbraucherschutzverbände sehen daher in der Umstellung auf digital eine Altersdiskriminierung. „Mit der Ankündigung der Deutschen Bahn, die BahnCard nur noch digital anzubieten, werden Menschen ohne digitalen Zugang von der Rabattmöglichkeit ausgeschlossen“, kritisiert Ramona Pop, Vorständin des Verbraucherzentrale-Bundesverbands. Die BahnCard müsse für alle verfügbar sein. „Der ersatzweise gültige Papierausdruck muss auch für Menschen ohne digitales Kundenkonto zugänglich sein, etwa indem es im Reisezentrum ausgehändigt wird“, so Pop.

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Der Verein Digitalcourage hat kürzlich Klage gegen den „DB Navigator“ eingereicht. Der Vorwurf: Die App sei voller Tracker, die Nutzer überwachen. So würden bei der Nutzung der App ohne Einwilligung des Nutzers zahlreiche Informationen an Dritte – unter anderem an die Adobe Marketing Cloud – übermittelt: Anzahl der Reisenden, Mitfahrt eines Kindes, Abfahrtstag, Start- und Zielbahnhof. Eine Möglichkeit zu widersprechen gebe es nicht. So werde der Bahnfahrer gezwungen, Daten von sich preiszugeben, obwohl er dies unter Umständen gar nicht möchte. Beim Thema Datenschutz ist bei der Bahn schnell Endstation.

So wie mit der Bahn geht es einem in ganz vielen Bereichen des täglichen Lebens. Ob Parkplatz, Supermarktrabatt oder Bankkonto – ohne Smartphone-App geht immer weniger. Beispiel DHL: Das Logistikunternehmen stellt seine Packstationen schrittweise auf App-Betrieb um – Scanner, Eingabefeld und Drucker werden ausgebaut. Kunden, die ein Paket abholen oder verschicken wollen, benötigen eine App. Die Versandmarke, die man bislang bequem an der Packstation ausdrucken konnte, wird durch einen Code ersetzt. Der Verein Digitalcourage spricht von einem „Digitalzwang“ – und verlieh der DHL Group im vergangenen Jahr den „Big Brother Award“. Eine Auszeichnung, die alles andere als ein Ruhmesblatt ist.

Auch in der Gastronomie ist man ohne Smartphone verloren. In zahlreichen Cafés und Restaurants gibt es Speisekarten nur noch in digitaler Form: Wer wissen will, was auf der Tageskarte steht, muss erst einen QR-Code scannen. Und das geht nur mit Smartphone.

Im Ausland sieht es nicht anders aus: Rom-Touristen, die das Forum Romanum mit seinen historischen Sehenswürdigkeiten besuchen wollen, müssen ihre Eintrittskarte online kaufen und auf dem Handy speichern – der Ticket-Verkauf vor Ort wurde im Zuge der Corona-Pandemie eingestellt. Wer kein Handy hat, muss draußen bleiben.

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Das Problem an dem digitalbasierten Zugang zum öffentlichen Leben besteht auch darin, dass man sich in regelmäßigen Abständen ein neues Smartphone kaufen muss, um die aus Sicherheitsgründen erforderlichen Software-Updates aufspielen zu können. Das kann und will sich nicht jeder leisten. So leistet das Handy einer sozialen Ausgrenzung Vorschub.

Und es gibt auch eine weltweite Kluft. Nach Angaben der Internationalen Fernmeldeunion (ITU) sind auf der Erde immer noch 2,7 Milliarden Menschen offline. Diese Menschen, die in staubigen Dörfern in der Sahelzone oder in Indien leben, haben keinen Internetanschluss und müssen oft mehrere Kilometer zu Fuß zurücklegen, um ins nächste Internetcafé zu gelangen. Aber auch in wohlhabenden Industrienationen gibt es Menschen, die das Internet nicht nutzen, obwohl sie Zugang dazu hätten. In den USA sind dies immerhin sieben Prozent der Erwachsenen. Die Gründe dafür sind unterschiedlich: mangelndes Interesse, zu hohe Kosten, Datenschutzbedenken. Unter den Nichtnutzern befinden sich interessanterweise auch ehemalige Nutzer: Menschen, die am Ende ihres Berufslebens noch mit E-Mails in Berührung kamen, im Ruhestand aber das Interesse verloren haben und lieber den analogen Weg gehen.

Kritiker fordern daher schon seit einiger Zeit ein „Recht auf analoges Leben“: Bürger müssten das Recht haben, sämtliche Rechtsgeschäfte und Verwaltungsangelegenheiten – von der Kontoeröffnung bis zur Steuererklärung – in analoger Form durchzuführen. Das Bargeld müsse erhalten bleiben, einen Zwang zu einer digitalen Präsenz dürfe es nicht geben.

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Das Recht auf analoges Leben kollidiert allerdings mit dem Recht auf digitale Verwaltung: Das jüngst vom Bundesrat blockierte Onlinezugangsgesetz soll Bürgern Behördengänge in ein paar Mausklicks ermöglichen. Während die einen das Medium Papier als Quell der Bürokratie sehen, ist es für die anderen ein Garant für Datenschutz – und Teilhabe am öffentlichen Leben.

QOSHE - Digitalzwang: Wer kein Handy hat, muss draußen bleiben - Adrian Lobe
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Digitalzwang: Wer kein Handy hat, muss draußen bleiben

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22.04.2024

Wer künftig mit der Deutschen Bahn reisen und die BahnCard für Rabatte nutzen will, braucht ein Smartphone oder Tablet: Ab dem 9. Juni gibt es die BahnCard nur noch digital. Die Bahn schafft die Plastikkarte ab. Aus Gründen des Umweltschutzes, wie es offiziell heißt: „Tschüss Plastikkarte – Hallo Nachhaltigkeit.“ So würden über 30 Tonnen Plastik pro Jahr eingespart. Um die digitale BahnCard zu erhalten, benötigen Kunden die App „DB Navigator“, in der auch Verspätungen und Anschlusszüge angezeigt werden. Knapp zwei Drittel der Bahnfahrer würden die Karte schon jetzt in der App nutzen, so die Bahn.

Der Schritt kommt nicht überraschend. So gibt es das Bahn-Kundenmagazin DB Mobil nur noch digital (die gedruckte Ausgabe wurde Ende 2022 eingestellt), und auch Tickets im Zug können Spontanreisende nur noch mit ihrem Smartphone lösen – die Papier-Fahrkarten wurden abgeschafft. Doch was ist mit Menschen, die kein Smartphone haben?

Als Alternative zur digitalen BahnCard können sich Kunden auf bahn.de ein PDF-Dokument herunterladen, heißt es bei der Bahn. Dieses Ersatzdokument könne dann ausgedruckt und bei Bahnreisen mitgeführt werden. Das setzt aber voraus, dass man ein Kundenkonto bei der Deutschen Bahn besitzt und das Internet nutzt. Doch es gibt Menschen, die gar nicht wissen, wie man das Internet bedient. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts waren 3,4 Millionen Deutsche zwischen 16 und 74 Jahren noch nie im Internet. Und laut einer repräsentativen Studie des Digitalverbands Bitkom nutzt mehr als die Hälfte der Menschen über 65 Jahren kein Smartphone. Schon jetzt fühlen sich viele Menschen........

© Berliner Zeitung


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