Gastkommentar

Antisemitismus und Terror: Was tun?

Thomas Kessler 08.03.2024, 07.41 Uhr

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Erhöhte Sicherheitsvorkehrungen nach lebensgefährlichem Angriff auf Juden: Polizisten bewachen am 4. März eine Synagoge in Zürich.

Bild: Ennio Leanza/Keystone

Der 15-jährige Anis T. hat die Terrorattacke in Zürich in einem Video angekündigt und zum Massenmord an Juden und Christen aufgerufen. Couragierte Passanten konnten sein geplantes Massaker bei einer Synagoge zeitig stoppen. Im globalen Propagandakrieg haben er und der Islamische Staat (IS) jedoch ihr Ziel erreicht und maximale Aufmerksamkeit generiert. Streng nach Anleitung hat er seine Tat gefilmt und wird dafür auf den einschlägigen Foren gefeiert.

Das Kalifat, das der junge Mann herbeimorden will, gibt es in den vom IS besetzten Zonen bereits. Die Scharia wird dort rigoros durchgesetzt, die Juden sind restlos vertrieben, Jesiden werden brutal verfolgt und die geraubten Frauen als Sexsklavinnen verkauft. Die Christen werden erpresst, Aleviten unterdrückt, Homosexuelle von den Hausdächern geworfen.

Boko Haram wütet gleichermassen in Nigeria. Regelmässig werden christliche Dörfer überfallen, die Männer ermordet und die Frauen geraubt. Videoaufzeichnungen der Überfälle gehören fest dazu, genauso wie auch die Hamas ihre Gräueltaten am 7. Oktober x-fach zu Propaganda- und Mobilisierungszwecken gefilmt hat.

Die Schweiz muss nun ganz rasch, quasi im abgekürzten Verfahren, die Naivität abstreifen. Es gibt auch hierzulande notorischen Antisemitismus und Hunderte Labile, Radikalisierte, Gefährder, Gewaltbereite und neuerdings sogar Reichsbürger, die den demokratischen Rechtsstaat strikte ablehnen. Es geht nicht nur um die Kriminalprävention, sondern um konkrete Vorsorge- und Interventionsarbeit gegen alle Formen des militanten Hasses. Bereits werden jüdische Schüler aus den öffentlichen Schulen gemobbt, vor der Basler Synagoge die Fahne zerrissen und angezündet.

Die bisherigen Reaktionen wirken eher hilflos. In der Bundespolitik werden die Ideen aus den 2000er-Jahren hervorgeholt. Mehr Kommissionen, Berichte, Fachstellen, Beauftragte und Kampagnen sollen es richten. Was damals in den Aufbaujahren der Integrations- und Antidiskriminierungspolitik sinnvoll war, ist gegenüber den heutigen Herausforderungen keine Antwort. Oder gar kontraproduktiv, wenn die Stabsstellen zusätzliche Administration verursachen.

Symbolpolitik wird schnell als solche erkannt, Aktivismus schmeckt nach Alibi. Aus Deutschland und Frankreich wissen wir, dass die offizielle Anti-Diskriminierungspolitik nur dort ernst genommen wird, wo sie durch konkrete Massnahmen «sur le terrain» – an den Schulen, in den Jugendzentren, der Familienberatung und der Polizei – spürbar gestützt wird. Sonst leidet das Vertrauen.

Die Strukturen für eine erfolgreiche Integrations- und Anti-Radikalisierungspolitik sind seit 20 Jahren beim Bund, den Kantonen und in allen grossen Städten vorhanden. Diese müssen nicht aufgebläht, sondern fit gehalten, beziehungsweise fit gemacht werden. Ihr Mehrwert liegt in der Dialogförderung und im raschen Informationsaustausch zwischen den Behörden und unter den Gemein­wesen.

Die effiziente Fallbearbeitung scheitert aber zu oft am generös ausgelegten Datenschutz und an Vorbehalten der Integration gegenüber der gezielten Gewaltprävention und Intervention. Das rechtzeitige Erkennen und Ansprechen von Gefährdern setzt eine ganz enge Kooperation der Behörden auf Vertrauensbasis voraus.

Es braucht eine neue Kultur der Zusammenarbeit, und der Datenschutz darf die Terrorprävention nicht behindern. Die nachrichtendienstliche Überprüfung des Internets und der Social Media auf kriminelle Aufrufe und Anleitungen muss rasch auf internationale Topstandards angehoben werden. Föderalismus-Folk­lore hat hier nichts zu suchen.

Hinweis

Thomas Kessler war Leiter der Integration und Anti-Diskriminierung in Basel-Stadt sowie bis 2017 Leiter der Task Force «Radikalisierung» von Basel-Stadt und Baselland. Heute berät er Städte in Radikalisierungsfragen.

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Das Kalifat, das der junge Mann herbeimorden will, gibt es in den vom IS besetzten Zonen bereits. Die Scharia wird dort rigoros durchgesetzt, die Juden sind restlos vertrieben, Jesiden werden brutal verfolgt und die geraubten Frauen als Sexsklavinnen verkauft. Die Christen werden erpresst, Aleviten unterdrückt, Homosexuelle von den Hausdächern geworfen.

Boko Haram wütet gleichermassen in Nigeria. Regelmässig werden christliche Dörfer überfallen, die Männer ermordet und die Frauen geraubt. Videoaufzeichnungen der Überfälle gehören fest dazu, genauso wie auch die Hamas ihre Gräueltaten am 7. Oktober x-fach zu Propaganda- und Mobilisierungszwecken gefilmt hat.

Die Schweiz muss nun ganz rasch, quasi im abgekürzten Verfahren, die Naivität abstreifen. Es gibt auch hierzulande notorischen Antisemitismus und Hunderte Labile, Radikalisierte, Gefährder, Gewaltbereite und neuerdings sogar Reichsbürger, die den demokratischen Rechtsstaat strikte ablehnen. Es geht nicht nur um die Kriminalprävention, sondern um konkrete Vorsorge- und Interventionsarbeit gegen alle Formen des militanten Hasses. Bereits werden jüdische Schüler aus den öffentlichen Schulen gemobbt, vor der Basler Synagoge die Fahne zerrissen und angezündet.

Die bisherigen Reaktionen wirken eher hilflos. In der Bundespolitik werden die Ideen aus den 2000er-Jahren hervorgeholt. Mehr Kommissionen, Berichte, Fachstellen, Beauftragte und Kampagnen sollen es richten. Was damals in den Aufbaujahren der Integrations- und Antidiskriminierungspolitik sinnvoll war, ist gegenüber den heutigen Herausforderungen keine Antwort. Oder gar kontraproduktiv, wenn die Stabsstellen zusätzliche Administration verursachen.

Symbolpolitik wird schnell als solche erkannt, Aktivismus schmeckt nach Alibi. Aus Deutschland und Frankreich wissen wir, dass die offizielle Anti-Diskriminierungspolitik nur dort ernst genommen wird, wo sie durch konkrete Massnahmen «sur le terrain» – an den Schulen, in den Jugendzentren, der Familienberatung und der Polizei – spürbar gestützt wird. Sonst leidet das Vertrauen.

Die Strukturen für eine erfolgreiche Integrations- und Anti-Radikalisierungspolitik sind seit 20 Jahren beim Bund, den Kantonen und in allen grossen Städten vorhanden. Diese müssen nicht aufgebläht, sondern fit gehalten, beziehungsweise fit gemacht werden. Ihr Mehrwert liegt in der Dialogförderung und im raschen Informationsaustausch zwischen den Behörden und unter den Gemein­wesen.

Die effiziente Fallbearbeitung scheitert aber zu oft am generös ausgelegten Datenschutz und an Vorbehalten der Integration gegenüber der gezielten Gewaltprävention und Intervention. Das rechtzeitige Erkennen und Ansprechen von Gefährdern setzt eine ganz enge Kooperation der Behörden auf Vertrauensbasis voraus.

Es braucht eine neue Kultur der Zusammenarbeit, und der Datenschutz darf die Terrorprävention nicht behindern. Die nachrichtendienstliche Überprüfung des Internets und der Social Media auf kriminelle Aufrufe und Anleitungen muss rasch auf internationale Topstandards angehoben werden. Föderalismus-Folk­lore hat hier nichts zu suchen.

Thomas Kessler war Leiter der Integration und Anti-Diskriminierung in Basel-Stadt sowie bis 2017 Leiter der Task Force «Radikalisierung» von Basel-Stadt und Baselland. Heute berät er Städte in Radikalisierungsfragen.

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Thomas Kessler 08.03.2024, 07.41 Uhr

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Bild: Ennio Leanza/Keystone

Der 15-jährige Anis T. hat die Terrorattacke in Zürich in einem Video angekündigt und zum Massenmord an Juden und Christen aufgerufen. Couragierte Passanten konnten sein geplantes Massaker bei einer Synagoge zeitig stoppen. Im globalen Propagandakrieg haben er und der Islamische Staat (IS) jedoch ihr Ziel erreicht und maximale Aufmerksamkeit generiert. Streng nach Anleitung hat er seine Tat gefilmt und wird dafür auf den einschlägigen Foren gefeiert.

Das Kalifat, das der junge Mann herbeimorden will, gibt es in den vom IS besetzten Zonen bereits. Die Scharia wird dort rigoros durchgesetzt, die Juden sind restlos vertrieben, Jesiden werden brutal verfolgt und die geraubten Frauen als Sexsklavinnen verkauft. Die Christen werden erpresst, Aleviten unterdrückt, Homosexuelle von den Hausdächern geworfen.

Boko Haram wütet gleichermassen in Nigeria. Regelmässig werden christliche Dörfer überfallen, die Männer ermordet und die Frauen geraubt. Videoaufzeichnungen der Überfälle gehören fest dazu, genauso wie auch die Hamas ihre Gräueltaten am 7. Oktober x-fach zu Propaganda- und Mobilisierungszwecken gefilmt hat.

Die Schweiz muss nun ganz rasch, quasi im abgekürzten Verfahren, die Naivität abstreifen. Es gibt auch hierzulande notorischen Antisemitismus und Hunderte Labile, Radikalisierte, Gefährder, Gewaltbereite und neuerdings sogar Reichsbürger, die den demokratischen Rechtsstaat strikte ablehnen. Es geht nicht nur um die Kriminalprävention, sondern um konkrete Vorsorge- und Interventionsarbeit gegen alle Formen des militanten Hasses. Bereits werden jüdische Schüler aus den öffentlichen Schulen gemobbt, vor der Basler Synagoge die Fahne zerrissen und angezündet.

Die bisherigen Reaktionen wirken eher hilflos. In der Bundespolitik werden die Ideen aus den 2000er-Jahren hervorgeholt. Mehr Kommissionen, Berichte, Fachstellen, Beauftragte und Kampagnen sollen es........

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