Terror in Nahost, Krieg in der Ukraine, eine schwächelnde Wirtschaft – um Bayern erfolgreich durch die Krisen zu steuern, muss sich Markus Söder neu erfinden.

Immerhin, eine Viertelstunde sollen Jungen und Mädchen an Bayerns Schulen sich künftig pro Woche mit den Grundlagen dessen beschäftigen, was unsere Gesellschaft zusammenhält – Werte und Traditionen, bayerische Verfassung und Grundgesetz. Und egal, wie man zu dieser „Verfassungsviertelstunde in der Raucherpause“ (FAZ) steht, so gehört sie doch zu den wenigen wirklichen Neuerungen, die CSU und Freie Wähler mit ihrem Koalitionsvertrag auf den Weg bringen wollen.

Mindestens genauso wichtig wäre allerdings, dass sich Bayerns nächste Regierung und ihr Ministerpräsident selbst dieser Aufgabe stellen – die Gesellschaft zusammenhalten. Bayern und die Welt stehen vor tiefgreifenden Umwälzungen. Die Wirtschaft schwächelt, Einkaufen wird gefühlt immer teurer. Und im Gazastreifen beginnt eine Auseinandersetzung, von der keiner weiß, ob sie den ganzen Nahen Osten in Brand stecken wird. Gleichzeitig mahnt der Bundesverteidigungsminister die noch von den Coronajahren erschöpften Deutschen, sie müssten „kriegstüchtig werden“.

Dazu kommen verstörende Bilder von Pro-Hamas-Demonstranten am Münchner Marienplatz, während vor dem Augsburger Rathaus die Fahne Israels gleich zweimal heruntergerissen wird, Vorgänge, die die Frage aufwerfen, ob es überhaupt noch einen Minimalkonsens gibt für das Zusammenleben in diesem Land.

Das matte Weiter-so, das sich im Koalitionsvertrag zwischen CSU und Freien Wählern abbildet, wird diesen Herausforderungen nicht mal im Ansatz gerecht. Sicher, die Menschen sind müde angesichts von Dauerkrisen und Veränderungsdruck. Das kann aber doch nicht bedeuten, dass die Regierung ebenfalls ermattet die Arbeit einstellt und jede Ambition fahren lässt, die Zukunft zu gestalten.

Die Gesellschaft ringt in diesen Tagen mit sich selbst. Da braucht es einen Ministerpräsidenten, der Reformen anpackt und das Land zusammenhält. Der, anders als Hubert Aiwanger, Stadt und Land zusammenführt, anstatt zu spalten. Kurzum: Um der Ministerpräsident zu sein, den Bayern jetzt nötig hat, müsste Söder ab sofort so ziemlich das Gegenteil dessen tun, was er im Wahlkampf vorgeführt hat.

Die gute Nachricht ist, dass dies nicht völlig ausgeschlossen ist. Söder war noch nie darin verlegen, sich selbst neu zu erfinden, warum sollte es dieses Mal nicht wieder gelingen? Sicher, nicht jeder Auftritt des Ministerpräsidenten in diesen Tagen lässt erkennen, dass Söder sich des Ernsts der Lage bewusst ist. Beim Treff mit dem Parteinachwuchs der Jungen Union beispielsweise brachte er zuletzt den üblichen Wahlkampf-Klimbim zur Aufführung, von der Kritik am Gendern bis zum Grünen-Bashing.

Doch es gibt auch andere, mutmachende Anzeichen. Da ist der Söder, der keinen Zweifel lässt, dass Bayern fest an der Seite Israels steht und der glaubhaft dafür einsteht, dass der Freistaat alles unternimmt, damit Menschen jüdischen Glaubens hier sicher leben können. Da ist der Söder, der zuletzt bei einer Gedenkveranstaltung für die vor einem Jahr verstorbene CSU-Sozialpolitikerin Barbara Stamm auch nachdenkliche Worte findet, was den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft angeht, da ist der Politiker, der tatsächlich zu verstehen scheint, dass man auf polarisierende Sprache auch mal verzichten kann.

Söder sollte sich daran erinnern, dass er Politik für den Ernstfall kann. Das hat er während Corona – zumindest zeitweise – bewiesen. Jetzt wäre erneut Zeit dafür.

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Markus Söder: Der richtige Mann für schwere Zeiten?

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31.10.2023

Terror in Nahost, Krieg in der Ukraine, eine schwächelnde Wirtschaft – um Bayern erfolgreich durch die Krisen zu steuern, muss sich Markus Söder neu erfinden.

Immerhin, eine Viertelstunde sollen Jungen und Mädchen an Bayerns Schulen sich künftig pro Woche mit den Grundlagen dessen beschäftigen, was unsere Gesellschaft zusammenhält – Werte und Traditionen, bayerische Verfassung und Grundgesetz. Und egal, wie man zu dieser „Verfassungsviertelstunde in der Raucherpause“ (FAZ) steht, so gehört sie doch zu den wenigen wirklichen Neuerungen, die CSU und Freie Wähler mit ihrem Koalitionsvertrag auf den Weg bringen wollen.

Mindestens genauso wichtig wäre allerdings, dass sich Bayerns nächste Regierung und ihr Ministerpräsident selbst dieser Aufgabe stellen – die Gesellschaft zusammenhalten. Bayern und die Welt stehen vor tiefgreifenden Umwälzungen. Die Wirtschaft schwächelt, Einkaufen wird gefühlt immer teurer. Und im Gazastreifen beginnt eine........

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