Deutschland ist ein starkes Land, aber wie lange noch? Warum der Haushaltsstreit der Ampel an den wirklichen Herausforderungen völlig vorbeigeht.

Deutschland ist ein starkes Land. Doch wer die politische Debatte in Berlin verfolgt, könnte meinen, die Republik stünde kurz vor der Pleite. Das Urteil des Verfassungsgerichts zum Haushalt hat Panik ausgelöst, im politischen Berlin wohlgemerkt, nicht an den sonst so hochnervösen Finanzmärkten. Die Frage, wie 17 Milliarden Euro im kommenden Etat eingespart werden können, führt die Ampel-Regierung an den Abgrund. Gleichzeitig steigt der Dax ungerührt auf ein neues Allzeit-Hoch. Und im Ausland? Da schüttelt man nur noch den Kopf über die irren Deutschen. Auch dank ihres angeblichen Schuldenbremsen-Dogmas, so sehen das viele, tragen sie die rote Laterne der europäischen Konjunktur.

Deutschland ist ein starkes Land. Die Frage ist nur: wie lange noch? Seit Wochen reiht sich schlechte Nachricht an schlechte Nachricht. Kaum schneit es, steht Bayern still, bei der Bahn und im Flugverkehr rührt sich auch Tage nach dem Wintereinbruch nichts. Und kaum taut es, versetzen die Lokführer mit ihrem instinktsicher terminierten Streik das Land erneut in Stillstand.

Dazu kommt die bereits zur Routine gewordene, bittere Erkenntnis, dass Deutschlands Neuntklässler deutlich schwächer in Mathe sind als ihre Altersgenossen in der Schweiz oder Estland. Von der außenpolitischen Situation ganz zu schweigen. In der Ukraine steht Europas Friedensordnung auf dem Spiel und ob die USA den Kampf gegen Putin auch zukünftig weiterhin großzügig alimentieren (und damit auch für Deutschlands Sicherheit sorgen), ist angesichts des aufziehenden Wahlkampfes alles andere als gewiss.


Es gibt also genug zu tun. Doch statt herzhaft anzupacken, ist die Politik seit Wochen damit beschäftigt, in einem immerhin 470 Milliarden Euro großen Etat für 2024 irgendwo 17 Milliarden aufzutreiben. Fast scheint es, als hätte die gesamte politische Klasse völlig den Kompass verloren. Im kleinteiligen Streit um Dieselsteuer und Dienstwagenprivileg drohen die wirklichen Herausforderungen aus dem Blick zu geraten. Das gilt leider auch für manche Bundesländer. Statt über die Bildungsmisere zu reden – immerhin sind die Schulen eine der letzten Landeskompetenzen – meint Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, den Freistaat ernsthaft mit einem Vorschlag zum Verbot des Genderns beglücken zu müssen.

Um nicht falsch verstanden zu werden. Dies ist kein Plädoyer dafür, jetzt einfach neue Schulden aufzutürmen. Deutschland ist ein starkes Land, auch weil die Schuldenbremse den Regierenden Leitplanken setzt. Worum es jetzt geht, ist, die richtigen Prioritäten zu finden. Straßen und Schienen brauchen Investitionen, Schulen und Krankenhäuser auch. Die Bundeswehr sowie Waffen und Finanzspritzen für die Ukraine, all das verschlingt Milliarden Euro. Dazu kommt die Unterstützung für Unternehmen, aber auch sozial Schwache, die den Wandel hin zu einer klimafreundlicheren Art des Wirtschaftens und Lebens aus eigener Kraft nicht stemmen können.

Es spricht viel dafür, dass sich auch ein starkes Land wie Deutschland dies alles gleichzeitig nicht wird leisten können. Die Fragen, die sich an diese Erkenntnis anschließen, liegen auf der Hand: Ist der Kampf gegen Klimawandel derzeit dringender oder müssen wir doch erst mal den Ukrainern helfen, Putins Angriff abzuwehren? Sollen wir in Bildung investieren oder in Straßen? Es geht nicht um ein Entweder-oder, doch nur wer diese Fragen diskutiert, kann die richtigen Schwerpunkte setzen. Es spricht Bände, dass eine völlig ermattete Ampelkoalition dazu nicht mehr in der Lage ist.

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Die Politik hat den Kompass verloren

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10.12.2023

Deutschland ist ein starkes Land, aber wie lange noch? Warum der Haushaltsstreit der Ampel an den wirklichen Herausforderungen völlig vorbeigeht.

Deutschland ist ein starkes Land. Doch wer die politische Debatte in Berlin verfolgt, könnte meinen, die Republik stünde kurz vor der Pleite. Das Urteil des Verfassungsgerichts zum Haushalt hat Panik ausgelöst, im politischen Berlin wohlgemerkt, nicht an den sonst so hochnervösen Finanzmärkten. Die Frage, wie 17 Milliarden Euro im kommenden Etat eingespart werden können, führt die Ampel-Regierung an den Abgrund. Gleichzeitig steigt der Dax ungerührt auf ein neues Allzeit-Hoch. Und im Ausland? Da schüttelt man nur noch den Kopf über die irren Deutschen. Auch dank ihres angeblichen Schuldenbremsen-Dogmas, so sehen das viele, tragen sie die rote Laterne der europäischen Konjunktur.

Deutschland ist ein starkes Land. Die Frage ist nur: wie lange noch? Seit Wochen reiht sich schlechte Nachricht an schlechte Nachricht. Kaum schneit es, steht Bayern still, bei der Bahn und im Flugverkehr rührt sich auch Tage nach dem Wintereinbruch nichts. Und kaum taut es, versetzen die Lokführer mit ihrem instinktsicher terminierten........

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