Geht der Verfassungsschutz im Umgang mit der AfD zu weit? Es ist gut, dass Richter diese Frage in aller Öffentlichkeit behandeln.

Kann man die Demokratie mit demokratischen Mitteln ins Wanken bringen oder sie sogar abschaffen? Und falls ja: Müssen dann nicht umgekehrt alle Mittel des Rechtsstaates genutzt werden, um sie zu schützen? Darum ging es, als die Deutschen nach dem Grauen des Dritten Reichs vor 75 Jahren ein möglichst sturmfestes Grundgesetz aufgeschrieben haben. Darum geht es auch heute.

Mit der AfD könnte erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik eine Partei Wahlen auf Landesebene gewinnen, deren Mitglieder aus der Verachtung demokratischer, freiheitlicher Prinzipien vielfach keinen Hehl mehr machen. Klare Sache, dass der Verfassungsschutz das große Besteck auspackt, um den drohenden Angriff von Rechtsextremisten auf unsere Demokratie abzuwehren. Oder etwa nicht? Um diese Frage wird es an diesem Dienstag vor dem Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen gehen.

Nein, man kann die AfD selbstverständlich nicht mit dem NS-Regime vergleichen. Aber ein Blick auf die historische Entwicklung von Adolf Hitlers NSDAP als eine von vielen Parteien in der Weimarer Republik kann bei der Einordnung helfen. "Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät", sagte Erich Kästner einmal im Rückblick auf den Zweiten Weltkrieg. Der Schriftsteller, dessen Bücher von den Nazis verbrannt wurden, beschrieb damit ein Dilemma, in dem die wehrhafte Demokratie auch heute steckt.

Noch ist die AfD keine akute Gefahr für unsere freiheitliche Grundordnung. In ihrem offiziellen Grundsatzprogramm bekennt sie sich zum demokratischen Staat. Doch immer öfter lassen sich Blicke hinter die Fassade erhaschen, die beunruhigen müssen. Dort reden Mitglieder und Sympathisanten unverhohlen darüber, was sie aus diesem Land, was sie mit Zuwanderern oder politischen Gegnern machen würden, wenn sie die Macht dazu bekämen. Um mit Kästner zu sprechen: Kann der Staat einfach zuschauen, bis es zu spät ist? Bis AfD-Leute womöglich Positionen übernehmen, auf denen sie ihr demokratisch erworbenes Mandat missbrauchen, um der Demokratie von innen heraus zu schaden?

Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, hat eine klare Antwort auf diese Frage. Seine Behörde hat die AfD auf Bundesebene als "Verdachtsfall" eingestuft. Das bedeutet, der Staat darf auch mit geheimdienstlichen Mitteln arbeiten, um die Partei zu überwachen und mögliche Belege einer verfassungsfeindlichen Gesinnung zu sammeln. Gehen die Verfassungsschützer damit zu weit? Die AfD zog vor Gericht, verlor und ging in Berufung, die an diesem Dienstag in Münster unter dem Titel "Alternative für Deutschland (AfD) gegen die Bundesrepublik Deutschland" verhandelt wird.

Es ist nicht das Schlusskapitel dieser Auseinandersetzung, aber durchaus eines, das die Handlung entscheidend beeinflussen wird. Und es ist gut, dass es in aller Öffentlichkeit geschrieben wird. Nur so lässt sich die Legende der AfD entlarven, der Verfassungsschutz sei in Wahrheit nur ein politisches Instrument der Regierenden, um eine unliebsame Opposition auszubremsen.

Am Ende geht es darum, ob sich der Verdacht bestätigt, dass die Partei aktiv die freiheitlich-demokratische Grundordnung bekämpft. Damit wäre klar, dass der Staat mit allen Mitteln, die das Grundgesetz hergibt, die Demokratie vor der AfD schützen muss. "Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist", sagte Erich Kästner.

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QOSHE - Der Staat muss die Demokratie schützen, bevor es zu spät ist - Michael Stifter
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Der Staat muss die Demokratie schützen, bevor es zu spät ist

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11.03.2024

Geht der Verfassungsschutz im Umgang mit der AfD zu weit? Es ist gut, dass Richter diese Frage in aller Öffentlichkeit behandeln.

Kann man die Demokratie mit demokratischen Mitteln ins Wanken bringen oder sie sogar abschaffen? Und falls ja: Müssen dann nicht umgekehrt alle Mittel des Rechtsstaates genutzt werden, um sie zu schützen? Darum ging es, als die Deutschen nach dem Grauen des Dritten Reichs vor 75 Jahren ein möglichst sturmfestes Grundgesetz aufgeschrieben haben. Darum geht es auch heute.

Mit der AfD könnte erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik eine Partei Wahlen auf Landesebene gewinnen, deren Mitglieder aus der Verachtung demokratischer, freiheitlicher Prinzipien vielfach keinen Hehl mehr machen. Klare Sache, dass der Verfassungsschutz das große Besteck auspackt, um den drohenden Angriff von Rechtsextremisten auf unsere Demokratie abzuwehren. Oder etwa nicht? Um diese Frage wird es an diesem Dienstag vor dem Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen........

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