Konfessioneller Religionsunterricht hat ein Rechtfertigungsproblem - gerade wegen der Debatte um die Grundschulreform. Dabei muss er eine Zukunft haben.

Es ist leicht, gegen Religionsunterricht zu sein. Ist das nicht das Fach, in dem nur gemalt wird? Oder schlimmer: das, in dem "die Kirche" Kindern etwas von Moral erzählt – wo sie selbst doch jegliche Moral mit Füßen trat, indem Kleriker zigtausende Kinder sexuell missbrauchten? Das Fach "Reli" hat nicht erst seit Kurzem ein Rechtfertigungsproblem. Dabei ist es wichtiger denn je.

Das Rechtfertigungsproblem wurde jüngst bei der Reform der Stundentafel für Grundschulen in Bayern wieder offenbar. Die politische Debatte drehte sich zwar nicht um die Abschaffung des Fachs, in der breiten Öffentlichkeit aber wurde seine Berechtigung grundsätzlich und teils gehässig infrage gestellt. In vielleicht zehn oder zwanzig Jahren wird ein Machtwort – Bayerns Ministerpräsident Söder gab eine Bestandsgarantie gegen Kürzungen ab – jedenfalls nicht mehr genügen, um den Religionsunterricht an staatlichen Schulen in seiner gegenwärtigen Form zu bewahren, allen gesetzlichen Regelungen zum Trotz.

Denn der Einfluss der noch großen christlichen Kirchen schwindet, und man kann einem historischen Prozess live zusehen – dem der Erosion der einst prägenden Institutionen. Die Kirchen verlieren massiv an Glaubwürdigkeit und massiv an gesellschaftspolitischem Einfluss. Das zeigt sich auch beim Schutz des ungeborenen Lebens, beim Umgang mit Geflüchteten oder der Suizidbeihilfe. Allesamt Themen, bei denen sie kaum durchzudringen vermögen. Was viele zu freuen und vielen egal zu sein scheint. Wenn aber Institutionen ausfallen, die "Nächstenliebe" anmahnen und vor Grenzüberschreitungen warnen, dann fehlt einer Gesellschaft wie der unseren etwas Gravierendes. Einer Gesellschaft – das bloß nebenbei –, die die "Dienstleistungen" der Kirchen durchaus zu schätzen weiß. Dazu genügt ein Blick auf die kirchlichen Schulen, die enorm beliebt sind.

Damit zurück zum konfessionellen Religionsunterricht, der wesentlich zur Werteerziehung beiträgt. Er vermittelt überdies schon Grundschulkindern Inhalte, die weit über die anderer Fächer hinausreichen – weil es um Existenzielles geht, um Fragen nach dem Lebenssinn genauso wie um Fragen des (Miteinander-)Lebens.

Kinder haben ein Anrecht auf fundierte Antworten – von Menschen, die im Glauben stehen, von ihrem Glauben erzählen können und aus ihrem Glauben heraus eine Perspektive auf die Welt entfalten. Auf dieser Grundlage können Kinder ihre Einstellung zu Religion(en) und Religionsgemeinschaften entwickeln. Und das hat nichts Ausgrenzendes, es hat etwas (Völker-)Verbindendes. Eine Schwerpunktfrage des Fachs an Grundschulen in Bayern lautet: "Wie können Menschen gerecht und friedvoll zusammenleben?"

In einer Zeit der Krisen und Kriege, der Hetze und der zunehmenden Unsicherheit liegt die große Chance des Religionsunterrichts darin, Orientierung zu bieten. Dass sich das Fach angesichts der fortschreitenden Entkirchlichung und der sinkenden Zahl der Schüler, die für "Reli" angemeldet werden, weiterentwickeln muss? Staat und Kirchen, die hier kooperieren, diskutieren längst darüber.

Wahrscheinlich wird, wie in anderen Bundesländern, auch in Bayern künftig flächendeckend Religionsunterricht nach dem "konfessionell-kooperativen" oder ähnlichen Modellen erteilt werden. Evangelische und katholische Kinder werden also zum Beispiel gemeinsam unterrichtet. Mehr miteinander, mehr voneinander lernen – das hat Zukunft.

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QOSHE - Religionsunterricht ist heutzutage wichtiger denn je - Daniel Wirsching
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Religionsunterricht ist heutzutage wichtiger denn je

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13.03.2024

Konfessioneller Religionsunterricht hat ein Rechtfertigungsproblem - gerade wegen der Debatte um die Grundschulreform. Dabei muss er eine Zukunft haben.

Es ist leicht, gegen Religionsunterricht zu sein. Ist das nicht das Fach, in dem nur gemalt wird? Oder schlimmer: das, in dem "die Kirche" Kindern etwas von Moral erzählt – wo sie selbst doch jegliche Moral mit Füßen trat, indem Kleriker zigtausende Kinder sexuell missbrauchten? Das Fach "Reli" hat nicht erst seit Kurzem ein Rechtfertigungsproblem. Dabei ist es wichtiger denn je.

Das Rechtfertigungsproblem wurde jüngst bei der Reform der Stundentafel für Grundschulen in Bayern wieder offenbar. Die politische Debatte drehte sich zwar nicht um die Abschaffung des Fachs, in der breiten Öffentlichkeit aber wurde seine Berechtigung grundsätzlich und teils gehässig infrage gestellt. In vielleicht zehn oder zwanzig Jahren wird ein Machtwort – Bayerns Ministerpräsident Söder gab eine Bestandsgarantie gegen........

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