München - Offiziell lief die große Demonstration gegen rechts noch keine Stunde, da war sie auch schon wieder vorbei. Aufgelöst, weil die Polizei "die Sicherheit der Teilnehmer nicht mehr gewährleisten" könne. Mindestens 100.000 Menschen zählte die Sicherheitsbehörde offiziell, die Veranstalter sprachen von 250.000 Menschen, die sich vor der Bühne am Siegestor bis weit hinter zur Münchner Freiheit versammelt hatten. "Gemeinsam gegen rechts", die Veranstaltung, zu der zum Schluss mehr als 250 Organisationen, vorne dabei Fridays for Future, aufgerufen hatten, wurde quasi Opfer ihres eigenen Erfolgs. Bereits gegen Mittag strömten die Menschen in Richtung Innenstadt. So viele, dass die U-Bahn-Haltestelle Universität gesperrt werden musste.

Es war ein Querschnitt der Münchner Gesellschaft, der nach den Enthüllungen des Netzwerks "Correctiv" zu einem Treffen von Rechtsextremen und AfD-Mitgliedern, ein Zeichen gegen den Rechtsruck setzen wollte: Senioren, Familien mit Kindern, junge Menschen. Die Veranstalter hatten bewusst keine politischen Parteien beim Aufruf mitmachen lassen. In der Menge sah man sie trotzdem zahlreich. Ganz vorne an der Absperrung vor der Bühne stand Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) zusammen mit dem zweiten Bürgermeister Dominik Krause (Grüne) neben der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde Charlotte Knobloch. Nach Abbruch der Veranstaltung sagte Reiter zur AZ, er sei "überwältigt von dem Zeichen, das die Münchnerinnen und Münchner heute für die Demokratie und gegen Rassismus, Antisemitismus und rechte Hetze gesetzt haben! Danke München!"

Während ab 14 Uhr auf der Bühne auf dem Odeonsplatz die ersten Rednerinnen und Redner das Wort ergriffen – es waren anders als bei der Zammreißn-Demo im vergangenen Oktober mehr Vertreter aus der Zivilgesellschaft und keine Prominenten – wurde im Hintergrund bereits verhandelt. Polizei und Veranstalter versuchten auszuloten, wie man die Masse an Teilnehmern sicher durch die geplante Route Ludwigstraße – Ungererstraße – Potsdamer Straße – Siegestor lotsen könnte. Vor der Bühne wurde es da für manche schon beängstigend eng und es kamen immer noch mehr Menschen dazu. Sollte man die Demonstration in eine stationäre Kundgebung umwidmen?

Doch selbst dazu kam es letztendlich nicht. Um kurz vor 15 Uhr wurde per Lautsprecher und Texttafeln an Polizeiautos verkündet, dass die Demonstration aus Sicherheitsgründen komplett abgebrochen werden muss. Die Menschen sollten sich bitte auf den Heimweg machen. "Dass so viel mehr Menschen gekommen sind, als irgendjemand erwarten konnte, zeigt, wie groß die Bereitschaft ist, für die Demokratie und gegen Verfassungsfeinde aufzustehen, wenn es drauf ankommt", sagte Jana Häfner, Sprecherin des Bündnisses im Anschluss an die Auflösung der Demonstration.

Viele kamen der Aufforderung, sich auf den Heimweg zu machen, aber nicht nach. Ein bisschen erinnere die Stimmung an das Streetlife-Festival, war vor Ort zu hören. Eine fröhliche, positive Stimmung herrschte zwischen Universität und Münchner Freiheit. Ein bisschen Konfrontation gab es trotzdem. So war ursprünglich geplant gewesen, dass der Demonstrationszug an dem Haus der vom Verfassungsschutz beobachteten Studentenverbindung Danubia vorbeizieht.

Das wollten sich manche Teilnehmer trotz Abbruch der Demo nicht nehmen lassen und versammelten sich vor dem von der Polizei abgesperrten Haus in der Potsdamer Straße. Etwa 100 schafften es vor das Gebäude, bevor die Polizei die Straße komplett sperrte. Hinter diesen Absperrungen versammelten sich nach AZ-Schätzungen weitere 500 Menschen. Es folgten Sprechchöre wie "Nazis raus". Die rechten Studenten saßen derweil am Fester, tranken Rotwein und beschallten die Menge mit lauter Musik. Zu einer Eskalation kam es nicht.

Doch es gab noch eine weitere Ausnahme, die nicht nur in sozialen Medien für Aufregung sorgte – sondern auch vor Ort: Ein kleiner Teil der Demonstration richtete sich gegen Israel. Denn zur Demonstration hatte auch „Palästina spricht“ aufgerufen. Jene Gruppe, die schon kurz nach dem bestialischen Terrorangriff auf Israel am 7. Oktober die Opfer verhöhnte, in den Wochen danach etliche größere Demonstrationen auch in München veranstaltet hatte. Offiziell gehörte „Palästina spricht“ nun nicht zu den sehr vielen Münchner Gruppen, die gemeinsam auf den Flyern zu der Demo standen.

Doch auf der Ludwigstraße war tatsächlich ein eigener Block von Palästinensern und ihren linksradikalen Unterstützern von etwa 300 Leuten unterwegs. "Israel ist rechtsextrem", lautete einer ihrer Sprechchöre, auf dem größten Transparent war von „israelischem Faschismus“ die Rede, auf anderen auch von „Genozid“ durch die Israelis. Das fanden auf dieser Demonstration gegen den deutschen Rechtsruck nicht alle passend. Wie Augenzeugen der AZ berichteten, gab es am Siegestor ein Handgemenge mit anderen Demonstranten.

Bleibt trotzdem die Frage, ob die Behörden die Demonstration unterschätzt haben. Noch am Freitag war die Polizei, die am Sonntag mit mehr als 400 Beamten im Einsatz war, von lediglich 25.000 Teilnehmern ausgegangen. Diese Einschätzung korrigierte sich auch am Samstag nicht nach oben, obwohl am Vortag eine Demo gegen rechts in Hamburg bereits wegen zu vieler Teilnehmer abgebrochen werden musste.

Die Kritik weist KVR-Chefin Hanna Sammüller-Gradl (Grüne) am Sonntagnachmittag im Gespräch mit der AZ klar zurück. "Angezeigt war eine Demo mit bis zu 20.000 Teilnehmern", betont sie. KVR und Polizei hätten sich aber auf viel mehr vorbereitet. "Auch für 80.000 wären wir gut aufgestellt gewesen", sagte sie. Dass die Demo so viel größer würde, damit hätte aber keiner rechnen können. War der Abbruch alternativlos? Ja, sagt die KVR-Chefin, die sich selbst vor Ort ein Bild gemacht hatte. "Es waren viele ältere Menschen da, Leute mit Kindern, Rollstuhlfahrer. Wir konnten nicht riskieren, dass da etwas passiert."

Die Demonstration am Sonntag war übrigens nicht die größte, die es in München jemals gegen rechts gegeben hat: 1992 versammelten sich 300.000 Münchner zu einer Lichterkette gegen rechte Gewalt. Zuvor hatte ein hasserfüllter Mob unter anderem in Rostock-Lichtenhagen ein Wohnheim für Asylbewerber in Brand gesetzt.

Am Montagvormittag jedoch melden sich die Organisatoren noch einmal zu Wort und korrigieren ihre Schätzung nach oben: Insgesamt rund 320.000 Teilnehmer sollen es nun doch gewesen sein. Sie begründen das damit, dass viele "dicht gedrängt in etlichen Seitenstraßen" oder in U-Bahn-Stationen festgesteckt hätten. Sie seien darum "weit stärker verteilt" als anfangs angenommen gewesen. Deswegen haben man die Zahl erhöht.

Ob damit allerdings wirklich der Rekord der Lichterkette von 1992 gebrochen wurde, bleibt strittig: Einige Quellen sprechen nämlich davon, dass es da bis zu 400.000 Teilnehmer gewesen sein sollen.

QOSHE - Aufregung um Palästina-Block bei Demo in München: Handgemenge! - Ruth Frã¶Mmer
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Aufregung um Palästina-Block bei Demo in München: Handgemenge!

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22.01.2024

München - Offiziell lief die große Demonstration gegen rechts noch keine Stunde, da war sie auch schon wieder vorbei. Aufgelöst, weil die Polizei "die Sicherheit der Teilnehmer nicht mehr gewährleisten" könne. Mindestens 100.000 Menschen zählte die Sicherheitsbehörde offiziell, die Veranstalter sprachen von 250.000 Menschen, die sich vor der Bühne am Siegestor bis weit hinter zur Münchner Freiheit versammelt hatten. "Gemeinsam gegen rechts", die Veranstaltung, zu der zum Schluss mehr als 250 Organisationen, vorne dabei Fridays for Future, aufgerufen hatten, wurde quasi Opfer ihres eigenen Erfolgs. Bereits gegen Mittag strömten die Menschen in Richtung Innenstadt. So viele, dass die U-Bahn-Haltestelle Universität gesperrt werden musste.

Es war ein Querschnitt der Münchner Gesellschaft, der nach den Enthüllungen des Netzwerks "Correctiv" zu einem Treffen von Rechtsextremen und AfD-Mitgliedern, ein Zeichen gegen den Rechtsruck setzen wollte: Senioren, Familien mit Kindern, junge Menschen. Die Veranstalter hatten bewusst keine politischen Parteien beim Aufruf mitmachen lassen. In der Menge sah man sie trotzdem zahlreich. Ganz vorne an der Absperrung vor der Bühne stand Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) zusammen mit dem zweiten Bürgermeister Dominik Krause (Grüne) neben der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde Charlotte Knobloch. Nach Abbruch der Veranstaltung sagte Reiter zur AZ, er sei "überwältigt von dem Zeichen, das die Münchnerinnen und Münchner heute für die Demokratie und gegen Rassismus, Antisemitismus und rechte Hetze gesetzt haben! Danke München!"

Während ab 14 Uhr auf der Bühne auf dem........

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