München - Das Singen von Volks- und Weihnachtsliedern gehört für viele Menschen zum Fest wie der Baum und die Geschenke. Dennoch schwindet diese Tradition, zumeist in den größeren Städten, immer mehr. Was den Zauber von Volksliedern – gerade zur Weihnachtsfest – ausmacht und warum Florian Silbereisen eher weniger mit Volksmusik zu tun hat, erklärt Volksmusikpfleger Leonhard Meixner im AZ-Interview.

AZ: Ich habe ein paar Münchner gebeten, mir spontan ein Weihnachtslied zu nennen. Die meisten sagten "Last Christmas".
LEONHARD MEIXNER: Schade. Man würde erwarten, dass die meisten Stille Nacht sagen. Aber man sieht natürlich, dass die Poplieder im Radio bei den meisten im Ohr hängen. Dazu haben die meisten einen näheren Bezug. Deswegen finde ich es sehr schade, dass wir mit der Volksmusik nicht mehr im Regelprogramm im Radio sind.

Welches ist Ihr liebstes Weihnachtslied?
Im Moment gefällt mir ganz gut ein Hirtenlied "Auf, auf ihr Hirten in dem Feld". Die Hirtenlieder haben meistens einen schönen Melodieverlauf, strahlen voller Vorfreude und vermitteln so eine Aufbruchstimmung.

Was ist daran schöner als Last Christmas?
Es gibt einen Unterschied zwischen Volksliedern und Mainstream-Pop. Im Pop baut man einfach ein paar Schlittenglocken-Sounds ein und fertig. Volkslieder kreieren nicht nur eine Stimmung. Dahinter stehen immer eine Geschichte und eine Aussage. Es sind ja oft biblische Texte, die in die Adventslieder eingebaut werden. Das ist eine Musik, die geht nach innen. Das hat einen Zauber.

Wurde bei Ihnen zuhause an Weihnachten musiziert?
Ja. Manchmal ist es uns Kindern sogar zu viel geworden. Meine Eltern waren beide Kirchenmusiker. Da ging es im Advent los und bis Heilig Drei Könige durch.

Aber es hat Sie ja trotzdem für den Rest Ihres Lebens gepackt.
Der Zauber hat mich immer gepackt und fasziniert. Das schöne Ritual, wenn das Christkind kommt, zum Beispiel. Da schwingt dieses leicht Übersinnliche mit. In dem Moment sind Himmel und Erde ganz nah beieinander. Und irgendwann habe ich gemerkt: das transportiert und unterstreicht man mit der Musik. An Weihnachten zieht es ja genau deshalb Menschen in die Kirche, die damit eigentlich nichts am Hut haben.

Was genau ist Ihre Aufgabe als Volksmusikpfleger des Bezirks Oberbayern?
Es geht darum, das kulturelle Erbe der oberbayerischen Volksmusik lebendig zu bewahren und weiterzugeben. Mit unseren Lieder- und Notenheften möchten wir gerade jungen Musikanten einen Zugang verschaffen. Wir sind aber auch eine Beratungsstelle zu Liedern und ihren Quellen, bieten Fortbildungen an. Auch für Menschen, die mit Kindern musizieren wollen, zum Beispiel Kindergärtner. Dazu erforschen wir Einflüsse und regionale Besonderheiten der Volksmusik in Oberbayern.

Was sind denn die Vorbehalte gegenüber der Volksmusik?
Es gibt Leute, die halten Volksmusik für rückständig. Das ist vielleicht in der Großstadt ausgeprägter als auf dem Land. Dass viele Weihnachtslieder auch alte Volkslieder sind, ist nicht im Bewusstsein. Oft wird Volksmusik mit volkstümlicher Musik verwechselt. Wenn Florian Silbereisens Schlagershow "Das Frühlingsfest der Volksmusik" heißt, ist das ein Marketing-technischer Begriff. Aber mit Volksmusik hat das nichts zu tun.

Sie veranstalten offene Adventsliedersingen an öffentlichen Orten. Wie läuft das ab?
Da habe ich ein Bläserquartett als Begleitung dabei, damit sich die Leute mehr trauen, auch mitzusingen. Außerdem wird das Ganze im Vorfeld beworben. Und dann steht da schon mal eine Gruppe von zehn Leuten da und singt. Dadurch trauen sich dann auch Vorbeigehende, mitzumachen. Und das ist das, was mir so gefällt. Ich drücke ihnen ein Liederheft in die Hand. Und dann stehen auf einmal 50 Leute da, singen und genießen es.

Können die Leute überhaupt singen?
Da machen Leute mit, die sonst nur unter der Dusche singen. Keiner muss schön oder perfekt singen. Jeder so, wie er mag. Manche summen auch nur ein bisschen mit. Viele Ältere kennen die Lieder zum Teil. Aber es kommen auch viele junge Leute, und denen bringe ich die Lieder bei. Genau dafür bin ich ja da. Mit der Bläserbegleitung geht das ganz einfach.

Haben Sie damit schon Leute überzeugt, unterm Weihnachtsbaum zu singen?
Oft kaufen die Leute danach unser Advent-Liederheft und sagen: "Das machen wir jetzt daheim auch!" Die Liederauswahl darin – Marienlieder, Hirtenlieder, alte geistliche Volkslieder – gefällt ihnen.

Welches Weihnachtslied ist denn ein verborgenes Juwel?
Zum Beispiel "Still o Himmel, still o Erden". Aber auch "O Jubel, o Freud" und "Ach mein Seel fang an zu singen". Das sind wunderschöne Lieder, die aus der alpenländischen Überlieferung stammen und deswegen noch nicht so bekannt sind.

Und welches sollte man auf jeden Fall draufhaben?
"Stille Nacht" sollte schon jeder draufhaben. Am besten mit allen Strophen. Aber ganz ehrlich: Ich weiß auch nicht immer alle Strophen. (lacht)

QOSHE - "Hat mit Volksmusik nichts zu tun": Bayerischer Volksmusikpfleger ... - Ruth Frã¶Mmer
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

"Hat mit Volksmusik nichts zu tun": Bayerischer Volksmusikpfleger ...

7 0
22.12.2023

München - Das Singen von Volks- und Weihnachtsliedern gehört für viele Menschen zum Fest wie der Baum und die Geschenke. Dennoch schwindet diese Tradition, zumeist in den größeren Städten, immer mehr. Was den Zauber von Volksliedern – gerade zur Weihnachtsfest – ausmacht und warum Florian Silbereisen eher weniger mit Volksmusik zu tun hat, erklärt Volksmusikpfleger Leonhard Meixner im AZ-Interview.

AZ: Ich habe ein paar Münchner gebeten, mir spontan ein Weihnachtslied zu nennen. Die meisten sagten "Last Christmas".
LEONHARD MEIXNER: Schade. Man würde erwarten, dass die meisten Stille Nacht sagen. Aber man sieht natürlich, dass die Poplieder im Radio bei den meisten im Ohr hängen. Dazu haben die meisten einen näheren Bezug. Deswegen finde ich es sehr schade, dass wir mit der Volksmusik nicht mehr im Regelprogramm im Radio sind.

Welches ist Ihr liebstes Weihnachtslied?
Im Moment gefällt mir ganz gut ein Hirtenlied "Auf, auf ihr Hirten in dem Feld". Die Hirtenlieder haben meistens einen schönen Melodieverlauf, strahlen voller Vorfreude und vermitteln so eine Aufbruchstimmung.

Was ist daran schöner als Last Christmas?
Es gibt einen Unterschied zwischen Volksliedern und Mainstream-Pop. Im Pop........

© Abendzeitung München


Get it on Google Play