Josef Braml ist promovierter Politologe und USA-Experte aus Regen. Er ist Direktor Europa der Denkfabrik Trilaterale Kommission. In seinem neuen Buch "Die Traumwandler. Wie China und die USA in einen neuen Weltkrieg schlittern" (mit Mathew Burrows) widmet er sich dem drohenden Konflikt der Supermächte des 21. Jahrhunderts. Mit der AZ hat er genau darüber gesprochen:

AZ: Herr Braml, Donald Trump hat bei den Vorwahlen der Republikaner in Iowa mit 51 Prozent einen Erdrutschsieg eingefahren. Hat er die sprichwörtliche Katze bereits im Sack?
JOSEF BRAML: Es gibt im Leben keine Sicherheiten, aber es wäre schon eine enorme Überraschung, sollte er nicht als Sieger aus den Vorwahlen hervorgehen. Und die Chance ist groß, dass er mit diesem Schwung auch Joe Biden deklassiert. Wir sollten uns darauf einstellen, dass Donald Trump wieder Präsident sein könnte – noch verschärfter als beim ersten Mal.

Wie meinen Sie das?
Beim letzten Mal haben uns, die sogenannten "Erwachsenen" vor Schlimmerem, bewahrt: viele altgediente Militärs, die gegengehalten und vieles nicht umgesetzt haben, was er so im Kopf hatte. Das wird diesmal nicht passieren. Er wird nur Loyale um sich scharen. Und was wir mitbedenken sollten: Er selbst hat durch drei Nominierungen die Mehrheiten am Supreme Court zu seinen Gunsten gedreht. Und das Oberste Gericht ist auch die letzte Entscheidungsinstanz bei Machtfragen zwischen Präsident und Kongress.

Es gab Zeiten, da hieß es, RonDeSantis könne ihm gefährlich werden. Der Gouverneur von Florida landete aber bei 21 Prozent, also weit abgeschlagen auf Platz zwei. Was ist passiert?
Für so etwas gibt es immer ein Bündel an Ursachen, aber: DeSantis wirkt hölzern. Außerdem ist er sehr intelligent – und lässt das seine Umwelt spüren. Das mag keiner, nicht in Amerika und auch nicht in Deutschland. Die Menschen wählen lieber Politiker, die volksnäher sind. Wichtiger scheint mir aber das nicht so schlaue Vorgehen einiger Juristen, die von den Demokraten eingesetzt wurden und Trump mittlerweile vier Mal mit strafrechtlichen Anklagen bedrängt haben. Das ist nach hinten losgegangen, was von vorneherein absehbar war.

Inwiefern?
Ich warne schon seit längerem davor, dass so etwas einen Schulterschluss bewirkt. Jedes Mal waren andere Republikaner genötigt, sich hinter Trump zu stellen, auch Ron DeSantis. Hinzu kommt: Der harte Kern von Trumps Anhängerschaft würde auch hinter ihm stehen, wenn er – wie er selbst behauptete – einen Mord auf der Fifth Avenue begehen würde. Wenn die anderen, die Trump verhindern wollen, sich dann auf mehrere Kandidaten verteilen, reicht eine einfache Matheübung, um festzustellen, dass er weit vorne liegen muss.

Wird es am Dienstag in New Hampshire, wo die nächsten Vorwahlen stattfinden, wieder so laufen?
Da wird es schon interessanter, weil dort auch die liberaleren Unabhängigen mitwählen dürfen. Da traue ich Nikki Haley ein besseres Ergebnis zu (die frühere US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen kam in Iowa nur auf 19 Prozent, Anm. d. Red.). Sollte indes Ron DeSantis wieder nicht zulegen können, müsste er begreifen, dass er abgeschlagen ist. Dann könnten sich seine Wähler hinter Nikki Haley stellen. Aber auch für sie wäre das Rennen gelaufen, wenn sie danach in South Carolina, wo sie Gouverneurin war, gegen Trump verlieren sollte.

Lassen Sie uns über den amerikanischen Tellerrand schauen: Ihr aktuelles Buch heißt "Die Traumwandler" – ein Titel, der stark an "Die Schlafwandler" von Christopher Clarke erinnert. Bei Ihnen geht es um China und die USA, bei ihm um die Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges. Damals hat die Diplomatie versagt – und heute?
Die Wahlen in Taiwan könnten der erste Schritt in den Dritten Weltkrieg gewesen sein. Mit William Lai ist ein offener Befürworter der Unabhängigkeit Taiwans von China gewählt worden, da sind im Westen jetzt alle beruhigt. Aber für die Chinesen ist das ein absolutes No Go. Kein chinesischer Führer würde es politisch – vielleicht nicht einmal physisch – überleben, Taiwan durch seine Hände gleiten zu lassen. Die Amerikaner wollen im Übrigen auch nicht, dass Taiwan seine Unabhängigkeit erklärt. Das hat Präsident Biden bei seiner Gratulation deutlich gesagt. Die Amerikaner wissen, dass sie sich in dieser Causa selbst eine Falle gestellt haben.

Welche Falle?
Biden hat vier Mal gesagt, er würde Taiwan verteidigen und damit die bisherige Politik der Zweideutigkeit preisgegeben. Dabei war sie friedensbewahrend. Wenn Amerika sich jedoch dazu bereit erklärt, Taiwan zu verteidigen, liefert es ihm Anreize dazu, die Unabhängigkeit zu forcieren – und Amerika mithineinzuziehen. Sollten die USA Taiwan dann nämlich nicht zur Seite stehen, wäre es das Ende seiner Weltmacht-Rolle. Das ist die Falle, die es sich selbst gestellt hat. So lange William Lai sich bewusst ist, dass er nur 40 Prozent Unterstützung hat und dass er nur gewonnen hat, weil sich die Opposition nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten verständigen konnte, ist alles gut. Aber sollte sich die Stimmung im Land stärker in Richtung Unabhängigkeit drehen – womöglich trägt auch China durch sein unvorsichtiges Verhalten dazu bei –, könnte es sein, dass die Falle zuschnappt.

Hat Joe Biden sich deshalb diesmal anders geäußert?
Wir wissen nicht, ob Bidens wiederholte Zusicherungen, Taiwan im Ernstfall militärisch zu verteidigen, seinem angeschlagenen Gesundheitszustand zuzuschreiben sind, oder ob es sich um einen Strategiewechsel handelt. Obwohl seine Entourage jedes Mal Bidens Äußerungen korrigiert hat, ist die Lage gefährlich und einer der Abwege, auf denen wir in diese große Konfrontation hineinschlittern könnten. Bei Taiwan geht es geopolitisch um die Vormachtstellung in der Region Asien-Pazifik – und es gibt noch einen zweiten beunruhigenden Aspekt.

Welcher wäre das?
Taiwan ist auch im Zentrum der chinesisch-amerikanischen Rivalität wegen seiner hochmodernen Chip-Technologien, von denen angenommen wird, dass sie in Zukunft über die wirtschaftliche und militärische Überlegenheit entscheiden werden. Biden hat Trumps Sanktionen durch den Chips-Act verschärft: keine hochwertigen Chips mehr an China und keine Zusammenarbeit mehr in diesem Bereich. Das war eine wirtschaftliche Kriegserklärung, was in Europa aber keiner verstanden hat, obwohl die USA auch alliierte Länder nötigen, ihre Wirtschaftsbeziehungen mit China im Hochtechnologiebereich abzubauen.

Ist es nicht richtig, gegenseitige Abhängigkeiten und Verwundbarkeiten zu reduzieren?
Wirtschaftliche Zusammenarbeit ist zwar keine Garantie für Frieden. Sonst hätte es schon den Ersten Weltkrieg nicht gegeben und auch nicht den russischen Überfall auf die Ukraine. Alle wirtschaftlichen Abhängigkeiten zu beenden, ist aber trotzdem falsch. Damit wird Krieg wahrscheinlicher. Immanuel Kant hatte nicht so ganz unrecht, als er sagte: Die Kriegswahrscheinlichkeit ist geringer, wenn Handelsstaaten im Ernstfall etwas zu verlieren haben. Der Weg des Decouplings oder euphemistisch als Friendshoring bezeichnet, also nur noch mit Demokratien Handel treiben zu wollen, führt schnurstracks in den Dritten Weltkrieg. Und vor der Klimakatastrophe schützen wir uns so übrigens auch nicht. Das geht nur durch Kooperation.

Macht es bei all dem überhaupt einen Unterschied, ob der nächste US-Präsident jetzt Joe Biden oder Donald Trump heißt?
Was die sino-amerikanische Rivalität angeht, bin ich allgemein sehr beunruhigt. Die beiden Lager werden sich im Wahlkampf jetzt gegenseitig hochschaukeln. Denn in Amerika kann man sich auf fast nichts mehr einigen – außer auf die Animosität gegen China. Es wird darum gehen, wer der härtere "China-Basher" ist – und das ist keine gute Nachricht. Zumal der chinesischen Präsident Xi Jinping ja auch ein äußeres Scharmützel suchen könnte, um von inneren wirtschaftlichen Problemen abzulenken. Bei Trump als Präsident könnte es aber sein, dass er Taiwan einfach fallenlässt, genau wie die Ukraine.

Was würde eine zweite Präsidentschaft Trumps für Europa bedeuten?
Da gibt es zwischen Trump und Biden einen riesigen Unterschied. Zwar ist Bidens Inflation Reduction Act ein wirtschaftlicher Angriff auf Europa, aber unter ihm können wir uns mehr oder weniger auf den militärischen Schutz durch Amerika verlassen. Wobei auch Biden seinen Fokus nach Asien drehen muss und damit Russland in naher Zukunft unser Problem bleiben wird. Am Beispiel Israels zeigt sich zudem, dass Amerikas Ressourcen endlich sind, weshalb wir auch unter Biden unseren Schutz besser selbst gewährleisten können müssen. Aber Trump betrachtet Europa als Feind: "They are worse than the Chinese", lautete sein O-Ton. Er will Europa teilen, um die Einzelteile besser beherrschen zu können. In dieser neuen Weltordnung gibt es nur eine einzige Chance: Europa muss als ein geschlossener Akteur auftreten.

Wie kann das gelingen?
Gehen wir von innen nach außen: Bei uns ist aktuell Schmalhans Küchenmeister. Es werden Zuwendungen gekürzt, die Bauern rebellieren, andere werden folgen. Wenn wir weiter sparen, stärken wir damit die AfD nur noch mehr. Also muss man größer denken – und in Europa gemeinsam Schulden machen, die Einzelstaaten finanziell unterstützen und ihnen im Gegenzug Bedingungen stellen. Das nennt man goldene Zügel und es geschieht bereits: Warum ist die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni denn so zahm? Weil sie Geld kriegt, von dem gemeinsamen 750 Milliarden Euro schweren europäischen Zusatzhaushalt "Next Generation EU". Warum nicht auch den Wiederaufbau der Ukraine durch gemeinsame europäische Schulden finanzieren? Damit könnten wir auch internationalen Anlegern eine Alternative zum Dollar geben.

Und militärisch?
Mit diesem Geld könnten wir uns eine eigene Verteidigung leisten. Aktuell zahlen wir den Amerikanern Tribut und kaufen etwa den modernsten Kampfjet F35, damit wir weiter nuklear teilhaben dürfen. Aber was ist die nukleare Teilhabe wert, wenn Trump erneut ins Weiße Haus einzieht? Wir sollten uns jetzt darauf vorbereiten und mit Frankreich und Polen auf umfangreichere militärische und wirtschaftliche Zusammenarbeit verständigen, die auch andere europäische Länder mitzieht. Das würden jetzt Staatsfrauen und -männer machen, die über die eigene Suppenschüssel hinausschauen. Aber wir haben ja nur Erbsenzähler und Erbsenzählerinnen.

QOSHE - USA-Experte warnt: "Dieser Weg führt schnurstracks in den Dritten ... - Natalie Kettinger
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USA-Experte warnt: "Dieser Weg führt schnurstracks in den Dritten ...

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18.01.2024

Josef Braml ist promovierter Politologe und USA-Experte aus Regen. Er ist Direktor Europa der Denkfabrik Trilaterale Kommission. In seinem neuen Buch "Die Traumwandler. Wie China und die USA in einen neuen Weltkrieg schlittern" (mit Mathew Burrows) widmet er sich dem drohenden Konflikt der Supermächte des 21. Jahrhunderts. Mit der AZ hat er genau darüber gesprochen:

AZ: Herr Braml, Donald Trump hat bei den Vorwahlen der Republikaner in Iowa mit 51 Prozent einen Erdrutschsieg eingefahren. Hat er die sprichwörtliche Katze bereits im Sack?
JOSEF BRAML: Es gibt im Leben keine Sicherheiten, aber es wäre schon eine enorme Überraschung, sollte er nicht als Sieger aus den Vorwahlen hervorgehen. Und die Chance ist groß, dass er mit diesem Schwung auch Joe Biden deklassiert. Wir sollten uns darauf einstellen, dass Donald Trump wieder Präsident sein könnte – noch verschärfter als beim ersten Mal.

Wie meinen Sie das?
Beim letzten Mal haben uns, die sogenannten "Erwachsenen" vor Schlimmerem, bewahrt: viele altgediente Militärs, die gegengehalten und vieles nicht umgesetzt haben, was er so im Kopf hatte. Das wird diesmal nicht passieren. Er wird nur Loyale um sich scharen. Und was wir mitbedenken sollten: Er selbst hat durch drei Nominierungen die Mehrheiten am Supreme Court zu seinen Gunsten gedreht. Und das Oberste Gericht ist auch die letzte Entscheidungsinstanz bei Machtfragen zwischen Präsident und Kongress.

Es gab Zeiten, da hieß es, RonDeSantis könne ihm gefährlich werden. Der Gouverneur von Florida landete aber bei 21 Prozent, also weit abgeschlagen auf Platz zwei. Was ist passiert?
Für so etwas gibt es immer ein Bündel an Ursachen, aber: DeSantis wirkt hölzern. Außerdem ist er sehr intelligent – und lässt das seine Umwelt spüren. Das mag keiner, nicht in Amerika und auch nicht in Deutschland. Die Menschen wählen lieber Politiker, die volksnäher sind. Wichtiger scheint mir aber das nicht so schlaue Vorgehen einiger Juristen, die von den Demokraten eingesetzt wurden und Trump mittlerweile vier Mal mit strafrechtlichen Anklagen bedrängt haben. Das ist nach hinten losgegangen, was von vorneherein absehbar war.

Inwiefern?
Ich warne schon seit längerem davor, dass so etwas einen Schulterschluss bewirkt. Jedes Mal waren andere Republikaner genötigt, sich hinter Trump zu stellen, auch Ron DeSantis. Hinzu kommt: Der harte Kern von Trumps Anhängerschaft würde auch hinter ihm stehen, wenn er – wie er selbst behauptete – einen Mord auf der Fifth Avenue begehen würde. Wenn die anderen, die Trump verhindern wollen, sich dann auf mehrere........

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