AZ: Frau Kaniber, die CSU stellt sich demonstrativ hinter die Bauernproteste. Sie wurden bei der Kundgebung am Montag auf dem Odeonsplatz vom Bauernpräsidenten Günther Felßner zwar als "Tigerin" im Kampf für die Interessen der Landwirte gelobt, mit Sprechchören gefeiert wurde aber ein anderer: Hubert Aiwanger. Ärgert Sie das?
MICHAELA KANIBER: Nein. Natürlich hat er seinen Fan-Club, weil er ja auch Landwirt ist. Aber man muss wissen, dass sich in der ersten Reihe viele Bauern aus Landshut und Abgeordnete der Freien Wähler mit Parteifahnen positioniert haben. Ich beteilige mich nicht an irgendwelchen Wettbewerben. Aber es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen Hubert Aiwanger und mir: Als zuständige Ministerin muss ich perspektivisch die Zukunft der Landwirtschaft beschreiben. Bei ihm habe ich manchmal den Eindruck, dass er gerne alles hätte wie früher. Aber das macht keinen Sinn, denn die Dinge verändern sich. Man muss den Bauern ehrlich sagen, wo die Reise hingeht und was zukunftsfähig ist. Ich kämpfe da mit offenem Visier – und im Übrigen bin ich auch sehr herzlich aufgenommen worden, was mich gefreut hat.

Haben Sie ein konkretes Beispiel für das, was Sie Hubert Aiwanger gerade vorgeworfen haben?
Vor ein paar Jahren gab es eine fast schon putzige Situation: Damals sagte er im Allgäu in einem Bierzelt, dass wir die ganzjährige Anbindehaltung von Milchkühen wieder fördern müssten und manch ein Landwirt hat gejubelt. Dabei fördern wir die ganzjährige Anbindehaltung im Freistaat Bayern schon seit weit über 30 Jahren nicht mehr – und es ist doch entscheidend, was der Verbraucher verlangt. Darauf muss sich der Landwirt einstellen, wenn er etwas verkaufen will. Die Akzeptanz der Erzeugung ist ganz klar die Lizenz zum Produzieren. Man kann nicht einfach durchs Land ziehen und den Leuten erzählen, was sie gerade hören wollen. Damals haben wir uns schon ein bisschen in die Wolle gekriegt.

Herr Aiwanger betreibt derzeit ein regelrechtes Demo-Hopping. Geht es bei der Unterstützung der Proteste nicht auch darum, wer am Ende die Stimmen der Landwirte erhält – CSU oder Freie Wähler?
Jeder Minister hat seine Arbeitsweise. Mein Ding ist Populismus nicht, mir ist es wichtig, authentisch zu bleiben. Ich will den Hubert Aiwanger nicht nachspielen. Ein Unternehmer aus meiner Heimat hat einmal zu mir gesagt: 'Michaela, Du musst jeden Tag in den Spiegel schauen können und verantworten, was Du entscheidest.' Das nehme ich mir zu Herzen. Ich werde für die Bauern alles tun – aber ich werde sie nicht anlügen. Das Ringen um Zustimmung der Bürger ist eine der Grundlagen der Demokratie, insofern also völlig in Ordnung. Aber dieses Werben muss über ordentliche Arbeit geschehen und nicht nur über markige Sprüche im Bierzelt.

Thema Ehrlichkeit: Wie realistisch ist es denn, dass die Bauern mit ihren Protesten auch eine Rücknahme der auslaufenden Agrardiesel-Subventionen erreichen?
Ich bin massiv enttäuscht, wie die Ampel vorgeht. Am Montag hat die Bundesregierung den Gesetzesentwurf durchgepeitscht, während die Bauern in der Kälte auf ihre Situation aufmerksam gemacht haben. Aber er muss natürlich noch durch den Bundestag und ich kann nur hoffen, dass unter den Ampel-Abgeordneten auch mutige sind. Zumal ich aus vielen Bundesländern höre, dass die Abgeordneten damit nicht glücklich sind. Und was natürlich super ist: Unser Ministerpräsident hat sehr deutlich gemacht, dass er das für die falsche Entscheidung hält, und dem schließen sich viele andere Regierungschefs an, auch von der SPD wie Stephan Weil und Manuela Schwesig. Deswegen wäre es gut, wenn der Bundeskanzler – von dem man ja nichts sieht und hört – mal überlegt, ob all das richtig sein kann. Allein in Bayern sind am Montag 75.000 Menschen aus verschiedenen Gewerken sowie 54.000 Traktoren und Fahrzeuge unterwegs gewesen. Da sollte sich die Ampel schon die Frage stellen, ob sie noch auf dem richtigen Weg ist – oder wer hier der Geisterfahrer ist.

Bei den Demonstrationen wurden Ampeln am Galgen geschwenkt, in Schleswig-Holstein wurde Wirtschaftsminister Robert Habeck von wütenden Bauern daran gehindert, eine Fähre zu verlassen und die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Nötigung. Haben Sie nicht Sorge, dass sich der Protest auch in Bayern radikalisiert?
Zunächst einmal: Ich war echt stolz auf die bayerischen Bauern, weil sie den Trittbrettfahrern und den Rechtsradikalen keine Chance gegeben haben. Dafür haben auch die Verbände mit klarer Kommunikation gesorgt. Was aber mit Herrn Habeck passiert ist, geht gar nicht. Da gibt es nichts zu diskutieren. Es gehört sich einfach nicht, jemanden in seiner Privatsphäre zu bedrängen. Es war aber umgekehrt auch nicht fair, dass man die Bauern von Haus aus in diese Ecke drängen wollte. In Bayern hat alles in einem einwandfreien Rechtsrahmen stattgefunden: Rettungswege wurden freigehalten, niemand in Gefahr gebracht. Das war den Landwirten wichtig. Noch 2019 beim Volksbegehren "Rettet die Bienen" wurden sie teilweise als Wasser- und Bodenvergifter, Tierquäler und Subventionseinstreicher bezeichnet. Mit der Corona- aber auch der Ukraine-Krise haben wir dann gesehen, dass wir die Ernährungssouveränität in Bayern wie Deutschland aufrecht erhalten können, weil wir eine tolle Landwirtschaft haben. Deshalb bin ich froh, wenn die Traktoren durch unsere Stadt fahren, die Verbraucher unseren Ernährern zuwinken und "Daumen hoch" zeigen.

Wo ist eigentlich der Unterschied, ob Menschen auf dem Weg zur Arbeit von festgeklebten Klimaaktivisten oder Traktoren-Kolonnen ausgebremst werden?
Der Unterschied ist riesengroß! Wenn ich mich auf der Straße festklebe, bin ich eine Gefahr – schon, weil ich mich selbst in Gefahr bringe. Ich setze meinen eigenen Körper als Waffe ein, um Dinge zu erzwingen. Das halte ich für einen großen Fehler. Man kann Demonstrationen auch anders, nämlich friedlich führen. Ich war mehr als erschüttert darüber, dass man keinen Respekt mehr hat vor dem Eigentum anderer Menschen, dass man Gemälde oder Baudenkmäler ruiniert – das geht nicht, das ist Sachbeschädigung! Das sind für mich allesamt kulturlose Straftäter. Und ich bin stolz auf unseren Innenminister Joachim Herrmann, dass er auf solche Straftaten mit Präventivhaft reagiert. Ein Landwirt hingegen, der mit seinem Traktor ein friedliches Zeichen setzt, hat das Recht dazu, weil das Demonstrationsrecht ein hohes Gut ist.

Themenwechsel: Seit der Landtagswahl gehört der Bereich "Tourismus" zu Ihrem Ressort. Sie haben angekündigt, stärker für Urlaub in Bayern zu werben. Allerdings werden Orte wie der Königssee oder das Werdenfelser Land schon jetzt quasi überrannt. Was kann man tun, dass der Overtourism nicht noch schlimmer wird?
Wir sollten in Bayern nicht von Overtourism sprechen, den haben wir nicht. Der K̦nigssee ist meine Heimat, liegt in meinem Stimmkreis und ist Рwie andere Рeine Hotspot-Region.

Was bedeutet das?
Es gibt Tage im Jahr, an denen sich die Besucher dort schon ziemlich drängeln. Deshalb muss man klug sein und eine Besucherlenkung hinbekommen, am besten digital, so dass man morgens am Handy die Warnung bekommt: Heute besser einen anderen Punkt in der Gegend besuchen.

Wann würden Sie den Begriff Overtourism denn für gerechtfertigt halten?
Wenn es gar keine Entspannung mehr gibt in den Regionen, nur noch Verkehrschaos herrscht und die Parkplätze und Sehenswürdigkeiten dauerhaft überlastet sind. Aber nicht, wenn es sich nur um tageweise Spitzen handelt. Der Begriff Overtourism schreckt im Übrigen auch ab. Aber es darf nicht so sein, dass wir in vorauseilendem Aktionismus dafür sorgen, dass die Leute von Haus aus nicht mehr kommen. Schließlich profitieren auch die Ortsansässigen durch den Tourismus, weil viel Infrastruktur und Wertschöpfung entstehen.

Venedig verlangt ab April Eintritt von Touristen, Amsterdam hat eine Art "Besucht uns nicht"-Kampagne gestartet. Was halten Sie davon?
Nichts. Ich kenne das aus Dubrovnik, wo der Zugang zur Stadtmauer über 30 Euro kostet. Das ist natürlich auch eine Form der Lenkung, aber wo bleibt da die Teilhabe? Ein Kulturgut sollte für möglichst viele zugänglich sein – ohne Preis-Etikett. Und eine Kampagne wie in Amsterdam würde ich in Bayern niemals unterstützen: Bayern ist ein gastfreundliches Land, uns ist jeder Gast willkommen. Ich finde es abschreckend, wenn ein Land ein solches Bild von sich verbreitet. Wir in Bayern freuen uns über die ganze Welt.

Wo in Bayern sehen Sie touristisch noch "Luft nach oben"?
Zwei Dinge liegen uns in der nächsten Zeit besonders am Herzen: der Gesundheitstourismus, der über die letzten Jahre leider dadurch zurückgedrängt wurde, dass Bade-Kuren nicht mehr bezahlt wurden, was zum Glück noch von der alten Bundesregierung wieder eingeführt wurde. Die Arbeitswelt wird immer stressiger, und das sollte uns schon dazu bewegen, dass wir etwas für unseren Körper und unseren Geist tun. Deshalb werden wir hier eine noch bessere Kampagne fahren: dass man Kuren – auch präventiv – machen darf, und sie von den Krankenkassen bezahlt werden. Wir haben tolle Kur- und Heilbäder, manche allerdings noch mit Investitionsstau und daran muss man flächendeckend etwas ändern.

Und in den Städten?
Wie gesagt: Wir freuen uns über jeden Gast. Auch der Kongress-Tourist lässt Geld da – und internationale Kongresse müssen nicht alle in den Metropol-Regionen wie München, Nürnberg oder Augsburg stattfinden. Auch den Kongress-Tourismus kann man lenken und dafür sorgen, dass etwa Passau, Bad Reichenhall oder andere Regionen davon profitieren. In Bayern ist für jeden Geschmack, jedes Alter und jeden Geldbeutel etwas dabei.

Sie wollen vor allem den Agritourismus fördern. Was versteht man darunter?
Als Landwirtschaftsministerin denkt man immer an die Ur-Produktion von Lebensmitteln und als Wirtstochter den ganzen Tag ans Essen (lacht). In meiner Familie fragen wir schon nach dem Frühstück: Was kochen wir heute? Und ich finde es wichtig, dass die Menschen das essen, was ihnen schmeckt. Wenn ich mir jetzt unsere Urlaubs-Bauernhöfe anschaue, auch die, die schon einen Hofladen haben, fehlt oft nur eine kleine Verbindung: die Gäste auch mit den Produkten vom Hof oder Nachbarhof oder aus der Region zu verköstigen. Andere Länder machen uns das bereits vor - und wir können das bestimmt noch besser.

Zum Klimawandel: Die Schneesaison in Bayerns Skigebieten wird kürzer, die Temperaturen in den Alpen steigen. Viele Skigebiete behelfen sich mit Kunstschnee – und der ist teuer. Ist Skifahren bald nur noch für Wohlhabende möglich?
Auf keinen Fall. Wenn man sich die Jahreskarten anschaut, sind einige andere Sportarten preislich auch nicht viel günstiger. Niemand kann den Klimawandel leugnen. Aber man muss wissen, dass Beschneiungsanlagen in Bayern gar nicht großartig gefördert werden. Aber wenn Bestandsseilbahnen saniert werden, fließen auch mal um die zehn Prozent Förderung ein. Das ist nicht viel. Aber: Wäre es mit Blick auf den Klimaschutz zielführend, wenn in Bayern gar nicht beschneit würde – und die Menschen würden zum Skifahren nach Italien, in die Schweiz und nach Österreich fahren? Diese Frage muss man sich stellen. Dazu muss man wissen: Österreich beschneit zu 50 Prozent, die Schweiz zu 75 und Italien sogar zu 90 Prozent – und Bayern nur zu 25 Prozent. Und das, was wir beschneien, beschneien wir zum größten Teil mit Strom aus Erneuerbaren Energien. Wir sind nachhaltig!

Bleibt die Frage: Wo urlaubt die Tourismus-Ministerin, wenn sie Zeit dazu hat?
Ich bin wahnsinnig gerne daheim – und ich muss gestehen, dass ich außer unserer Hochzeitsreise nach Mexiko und einem Urlaub mit den Kindern in Dubai noch gar nicht so viel von der Welt gesehen habe. Aber ich lebe im wunderschönen Bayern und wir haben durch meine Herkunft Verwandtschaft in Dalmatien. Weil ich die Möglichkeit zum Urlaub in zwei so fantastischen Regionen habe, war es für mich nie ein Thema, dauernd in der ganzen Welt unterwegs sein zu müssen.

Haben Sie trotzdem ein Traum-Ziel?
Ja – aber nicht aus touristischen, sondern eher landwirtschaftlichen Motiven heraus: Indien. Ich finde es beeindruckend, wie sich der Ökolandbau dort entwickelt, aber auch extrem, wie Frauen dort behandelt werden. Deshalb würde ich dort gerne mal in ein Frauenhaus oder Kinderheim gehen und mir die Situation dort vor Augen halten. Wenn ich mehr Zeit hätte, könnte ich mir sofort vorstellen, mich in diesem Bereich zu engagieren.

QOSHE - "Ich werde die Bauern nicht anlügen": CSU-Ministerin attackiert ... - Natalie Kettinger
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"Ich werde die Bauern nicht anlügen": CSU-Ministerin attackiert ...

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15.01.2024

AZ: Frau Kaniber, die CSU stellt sich demonstrativ hinter die Bauernproteste. Sie wurden bei der Kundgebung am Montag auf dem Odeonsplatz vom Bauernpräsidenten Günther Felßner zwar als "Tigerin" im Kampf für die Interessen der Landwirte gelobt, mit Sprechchören gefeiert wurde aber ein anderer: Hubert Aiwanger. Ärgert Sie das?
MICHAELA KANIBER: Nein. Natürlich hat er seinen Fan-Club, weil er ja auch Landwirt ist. Aber man muss wissen, dass sich in der ersten Reihe viele Bauern aus Landshut und Abgeordnete der Freien Wähler mit Parteifahnen positioniert haben. Ich beteilige mich nicht an irgendwelchen Wettbewerben. Aber es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen Hubert Aiwanger und mir: Als zuständige Ministerin muss ich perspektivisch die Zukunft der Landwirtschaft beschreiben. Bei ihm habe ich manchmal den Eindruck, dass er gerne alles hätte wie früher. Aber das macht keinen Sinn, denn die Dinge verändern sich. Man muss den Bauern ehrlich sagen, wo die Reise hingeht und was zukunftsfähig ist. Ich kämpfe da mit offenem Visier – und im Übrigen bin ich auch sehr herzlich aufgenommen worden, was mich gefreut hat.

Haben Sie ein konkretes Beispiel für das, was Sie Hubert Aiwanger gerade vorgeworfen haben?
Vor ein paar Jahren gab es eine fast schon putzige Situation: Damals sagte er im Allgäu in einem Bierzelt, dass wir die ganzjährige Anbindehaltung von Milchkühen wieder fördern müssten und manch ein Landwirt hat gejubelt. Dabei fördern wir die ganzjährige Anbindehaltung im Freistaat Bayern schon seit weit über 30 Jahren nicht mehr – und es ist doch entscheidend, was der Verbraucher verlangt. Darauf muss sich der Landwirt einstellen, wenn er etwas verkaufen will. Die Akzeptanz der Erzeugung ist ganz klar die Lizenz zum Produzieren. Man kann nicht einfach durchs Land ziehen und den Leuten erzählen, was sie gerade hören wollen. Damals haben wir uns schon ein bisschen in die Wolle gekriegt.

Herr Aiwanger betreibt derzeit ein regelrechtes Demo-Hopping. Geht es bei der Unterstützung der Proteste nicht auch darum, wer am Ende die Stimmen der Landwirte erhält – CSU oder Freie Wähler?
Jeder Minister hat seine Arbeitsweise. Mein Ding ist Populismus nicht, mir ist es wichtig, authentisch zu bleiben. Ich will den Hubert Aiwanger nicht nachspielen. Ein Unternehmer aus meiner Heimat hat einmal zu mir gesagt: 'Michaela, Du musst jeden Tag in den Spiegel schauen können und verantworten, was Du entscheidest.' Das nehme ich mir zu Herzen. Ich werde für die Bauern alles tun – aber ich werde sie nicht anlügen. Das Ringen um Zustimmung der Bürger ist eine der Grundlagen der Demokratie, insofern also völlig in Ordnung. Aber dieses Werben muss über ordentliche Arbeit geschehen und nicht nur über markige Sprüche im Bierzelt.

Thema Ehrlichkeit: Wie realistisch ist es denn, dass die Bauern mit ihren Protesten auch eine Rücknahme der auslaufenden Agrardiesel-Subventionen erreichen?
Ich bin massiv enttäuscht, wie die Ampel vorgeht. Am Montag hat die Bundesregierung den Gesetzesentwurf durchgepeitscht, während die Bauern in der Kälte auf ihre........

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